Nachbildung für die Ausstellung im Kunsthistorisches Museum im Schloß Ambras: Ein Papiervorhang verbarg das "Bildnis eines Krüppels"

Foto: Kunsthistorisches Museum, Schloß Ambras
Innsbruck - Es sind winzige Papierreste in der Mitte eines gut 400 Jahre alten, lange Zeit nicht beachteten Gemäldes, die auf dessen ungewöhnliche Geschichte und auf den Blick auf Behinderung verweisen: das Verstecken und Zeigen, das Hin- und Wegsehen.

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts befindet sich das "Bildnis eines behinderten Mannes" auf Schloss Ambras bei Innsbruck, in der kuriosen Kunst- und Wunderkammer des früheren Landesherrn Erzherzog Ferdinand II. Kein Kunsthistoriker, kein anderer Forscher hat sich je näher dafür interessiert, obwohl es unter viel beachteten Objekten hing und lange Zeit für Irritationen gesorgt haben mag.

Porträt eines nackten behinderten Menschen

Erst neuerdings weckte die "Missgeburt eines Mannes dessen nackender Leib mit einem rothen papier bedekt ist", wie in der Inventarliste des Schlosses von 1788 festgehalten, Forscherinteresse. "Uns ist sonst kein historisches Porträt eines nackten behinderten Menschen bekannt", sagt der Innsbrucker Erziehungswissenschaftler und Integrationspädagoge Volker Schönwiese. Weder der Maler, noch der Dargestellte sind namentlich bekannt.

Lange war nur Kopf zu sehen

Lange Zeit war vom "Bildnis eines Krüppels" nur der Kopf zu sehen. Der Rest des nackten Männerkörpers mit seinen Fehlbildungen an den Füßen war mit Papier abgedeckt. Die roten Papierreste in der Bildmitte erinnern daran. Am unteren Rand war das Papierstück nicht befestigt: Es konnte angehoben werden für einen neugierigen Blick. Eine Nachbildung dieser Inszenierung aus einer Kopie des Bildnisses und rotem Papiervorhang ermöglicht dieses Schau-Spiel in der Ausstellung. "Wegschauen und Hinschauen sind Phänomene, die behinderte Menschen gut kennen", sagt Schönwiese.

Blick auf Behinderung

Gemeinsam mit Kollegin Petra Flieger hat er ein Rechercheprojekt zum Ambraser Gemälde und zum historischen wie gegenwärtigen Blick auf Behinderung initiiert, an dem auch eine Gruppe von nicht-professionell forschenden Menschen mit Behinderung der Selbsthilfeorganisation "Selbstbestimmt Leben" beteiligt war.

Die Ergebnisse sind Grundlage einer von der Kunsthistorikerin Margot Rauch kuratierten Ausstellung auf Schloss Ambras, in der neben anderen historischen Bildern ("Elisabet Stulta", die törichte Elisabet von 1578) auch zeitgenössische Arbeiten zum (Körper)Bild von Behinderung gezeigt werden. Rauch sieht den heutigen Reiz des Bildes in einer Ambivalenz: "Die selbstbewusste Art, mit der der Dargestellte die Betrachter anblickt, passt nicht so recht zur Darstellung der Hilflosigkeit seiner Körperstellung."

Auch Blinden wird in der Ausstellung ein Blick auf das Bildnis einzigartig ermöglicht. Eva Papst vom Blindeninstitut Wien und der Web-Entwickler Johannes Reiss haben ein Tastbild des Gemäldes angefertigt. Farben und Farbnuancen werden dabei unterschiedlichen Druckebenen zugeordnet: je dunkler die Farben, desto stärker der Druck. Bis 30. Juni ( Benedikt Sauer/ DER STANDARD Printausgabe 28.6.2007)