"Herald Tribune"-Chefredakteurin Alison Smale.

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STANDARD: Was ist „guter“ Journalismus?

Smale: Am ehesten eine Kombination aus Wahrheitsfindung und fesselnder Berichterstattung.

STANDARD: Die FH-Journalisten haben ihr Studium beendet. Was nun?

Smale: Sie sollten herausfinden, wo ihre journalistischen Interessen liegen. Es ist wirklich schwierig, einen Job zu finden; eine Idee wäre etwa, bei internationalen Nachrichtenagenturen anzufragen.

STANDARD: Herausforderungen für Journalismus heute?

Smale: Wie eh und je: es richtig zu machen.

STANDARD: Lesen wir in 50 Jahren Zeitung noch auf Papier?

Smale: Ich denke ja, bezweifle aber, dass es in mehreren Ländern als die günstigste Art gesehen wird, Nachrichten den Lesern zu übermitteln.

STANDARD: Lernten Sie in Ihrem vorhergehenden Job bei der „New York Times“ Jayson Blair kennen? Wären Plagiate heute genauso möglich?

Smale: Ich kannte Blair in der Tat, obwohl ich beruflich nur kurz mit ihm zu tun hatte. Er dürfte ein unterhaltsamer Kollege gewesen sein. Was ich von seinen Reportagen oder Texten sah, las ich wie jeder normale Leser, in der Times. Ich bin sicher, dass es heute gegenseitige Kontrollmechanismen gibt, die so einen Fall verhindern würden – und ich baue darauf, dass es in der International Herald Tribune ebenso funktioniert.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Zukunft von Qualitätszeitungen?

Smale: Generell werden Qualitätszeitungen Wege finden müssen, in dieser Welt wichtig zu bleiben. Ich glaube fest daran, dass eine gute, eindringliche, wahre Geschichte noch immer zählt. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 26.6.2007)

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STANDARD: Was ist guter Journalismus?

Smale: „Guter“ Journalismus kann verschiedene Formen annehmen. Sicher ist es, wie es in der englischsprachigen Welt am ehesten praktiziert wird, eine Kombination aus Wahrheitsfindung – indem man die grundlegenden Fragen beantwortet, Wer, Was, Wo, Wann, Wie und Warum – und fesselnder Berichterstattung. Das bedeutet oft gut schreiben. Fast immer heißt es, eine scharfsinnige Beobachtungsgabe für das eigene Umfeld zu entwickeln. In unserer multimedialen Welt bedeutet es auch in zunehmendem Maß – auch wenn man nicht für das Fernsehen arbeitet, z.B. – eine Geschichte auch visuell zu erfassen, für Video, oder Grafik, ja, sogar, was den Audiobereich betrifft.

Der beste Journalismus setzt sich zusammen aus der nötigen Flexibilität, die erlaubt, dass man von einem neuen Fakt in eine andere Richtung getragen wird und der Strenge und Disziplin, alles auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen, egal, wie sehr das die Geschichte verderben könnte.

STANDARD: Die jungen FH-Journalisten haben ihr Studium beendet. Was nun?

Smale: Sie sollten herausfinden, wo ihre größten journalistischen Interessen liegen, und diese verfolgen. Wollen sie über Wirtschaft schreiben? Wollen sie für das Fernsehen arbeiten? Vor allem sollten sie dort einen Job suchen, wo ein starker Chefredakteur oder eine journalistische Persönlichkeit mit entsprechender Führungsqualität ihnen den Unterschied zwischen dem Journalismus als Beruf und dem nahezu unkontrollierbaren Informationsfluss, wie er heutzutage im Internet stattfindet, näher bringt.

STANDARD: Was sollten sie tun, um einen Job zu kriegen? Ich weiß nicht, wie es in den USA ist, aber in Österreich liegen die Jobs im Kommunikationsbereich nicht gerade auf der Straße. Haben Sie Ratschläge?

Smale: Es ist wirklich schwierig, einen Job zu kriegen. Ich hatte großes Glück, ich bekam direkt nach meinem Studium an der Stanford University ein Praktikum in einer Nachrichtenagentur, daraus wurde fünf Monate später ein Job.

In meinem Fall war es sehr hilfreich, dass ich eine unter englischen und amerikanischen Auslandskorrespondenten selten zu findende Sprache beherrschte, und zwar Deutsch! Es ist eine gute Idee, bei internationalen Nachrichtenagenturen anzufragen. Da es durch die EU leichter geworden ist, außerhalb Österreichs und überall in Europa zu arbeiten, ist es eine hervorragende Idee, Möglichkeiten in größeren Märkten auszusondieren.

Deutschland ist als Wahl nahe liegend, aber man sollte Frankreich, Spanien, Großbritannien, Irland und andere Länder nicht vergessen. Vielleicht sollte man sich auch vornehmen, Gelerntes nach Hause zu bringen.

STANDARD: Die größten Herausforderungen für Journalisten heute?

Snale: Die eigentliche Herausforderung ist die selbe wie immer: es richtig zu machen. Tatsächlich ist es so, dass wir den Rohentwurf der (Welt)Geschichte schreiben. Das Problem ist, dass wir nicht immer wissen, wie unsere Geschichten enden. Daher ist es sehr wichtig, einen (großen) Instinkt für eine Story zu entwickeln, und auf die eigene innere Stimme zu hören, die so gut wie immer verrät, wie mit einer Geschichte umzugehen ist, die sowohl vom journalistischen Standpunkt aus aufregend als auch verantwortungsvoll ist.

STANDARD: Welche Art von Zeitung werden wir in 50 Jahren lesen? Wird es sie noch in Druckform geben?

Smale: Ich denke, dass es Zeitungen in Papierform auch in fünfzig Jahren geben wird, ich bezweifle aber, dass es in mehreren Ländern als die günstigste Art gesehen wird, Nachrichten den Lesern zu übermitteln. Zeitungen entstanden aus einer speziellen Technologie – der Druckpresse. Die Sachen, die wir in einer Zeitung zu lesen erwarten, erfahren wir schon seit Jahrzehnten auch aus dem Radio und TV.

Nun hat uns das Internet völlig neue Möglichkeiten eröffnet – unter den vielbesuchten Websites finden sich jedoch solche, die von Zeitungen betrieben werden: die New York Times, die International Herald Tribune, der Guardian, Der Standard, und viele andere. In 50 Jahren wird es zweifellos ganz andere Technologien geben. Was aber Menschen immer brauchen werden, ist irgendeine Möglichkeit, herauszufinden, was in der Welt passiert – und wenn ich zwar denke, dass lesergenerierte Inhalte und mit Handys aufgenommene Videos ihren Platz haben, bezweifle ich stark, dass sich jeder auf Blogs verlassen wird, um sich zu informieren.

STANDARD: Wir haben in Europa immer mehr Gratiszeitungen, die von geringer Qualität sind. Wie können Qualitätsblätter damit umgehen, was würden Sie raten?

Smale: Einerseits ist das Wachstum von Gratiszeitungen großartig für uns, es bedeutet, dass die Zahl der ZeitungsleserInnen selber wächst. Generell werden „Qualitätszeitungen“ Wege finden müssen, in dieser – und für diese – Welt wichtig zu bleiben. Ich glaube fest daran, dass eine gute, eindringliche, wahre Geschichte noch immer zählt. Aber es ist auch wahr, dass guter Journalismus teuer ist.

Jetzt liegt unsere Schwierigkeit darin, sowohl Print- als auch digitale Plattformen für diesen Journalismus zu finanzieren, da die Werbungen in Printmedien weniger werden und die wesentlich billigere Internet-Werbung zunimmt.

Interessanter Trend: In den USA erlebt der Online-Verkauf kein explosionsartiges Wachstum mehr. Ein weiterer interessanter Fakt ist der lautstarke Aufruf, das Wall Street Journal zu kaufen, auch wenn die Aktien von Qualitätszeitungen an den Börsen (Verluste) leiden. Aus diesen beiden Tatsachen kann man schließen, dass die Zukunft für Qualitätsjournalismus im Printbereich noch immer rosig aussieht – aber nur in Verbindung mit neueren Medien und wenn Redakteure und Journalisten entsprechend flexibel bleiben.

STANDARD: Was für Trends sehen sein im US-Medienmarkt?

Smale: Die Trends im amerikanischen Medienmarkt sind gut in der Geschichte um Rupert Murdochs Angebot für das Wall Street Journal. Es zeigt, dass Qualitätszeitungen, Qualitätsjournalismus selber, und Wirtschaftsnachrichten als wertvoll angesehen werden. Immer mehr Menschen lesen Nachrichten online. In einem großen Land wie den USA ist es eine gute Alternative zur manchmal problematischen Zeitungszustellung (dieses Problem wird um ein Vielfaches größer, wenn es darum geht eine internationale Tageszeitung wie die IHT zu drucken und auszuliefern!). Und, ja, das Interesse an und Promi-Nachrichten und Reality-TV ist enorm.

Ich staune immer wieder über die Bereitschaft der Menschen, anderen bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten zu beobachten – Stichwort YouTube, aber auch gewisse TV-Formate. Trotzdem wird am Ende über „West Wing“ oder „ Die Sopranos“ am meisten geredet, was wiederum zeigt, dass gut konzipierte Geschichten definitiv ihren Platz haben, seien sie nun Fakt oder Fiktion.

STANDARD: Bevor Sie Chefredakteurin der IHT wurden, waren Sie Leiterin des Ressorts Außenpolitik in der New York Times. Sind sie jemals Jayson Blair begegnet, der wegen seiner Plagiate dem Ruf der NYT großen Schaden zufügte? Egal ob ja oder nein: Glauben Sie, dass so etwas heute ebenso gut passieren könnte? Vielleicht sogar in der IHT?

Smale: Ich kannte in der Tat Jayson Blair, obwohl ich beruflich nur kurz mit ihm zu tun hatte. Was ich von seinen Reportagen oder Texten sah, las ich wie jeder normale Leser, in der Times. Was er getan hat, war zutiefst erschütternd. Damals hätte ich nicht gedacht, dass so etwas in der New York Times möglich wäre. Ich bin sicher, dass es heute gegenseitige Kontrollmechanismen gibt, die so einen Fall verhindern würden – und ich baue darauf, dass es in der IHT ebenso funktioniert.

Aber ich denke schon, dass wir eines nicht vergessen dürfen: Im Internetzeitalter, im Zeitalter allgegenwärtiger, jederzeit zugreifbarer Informationen, ist es für junge Journalisten speziell einfach, einige Knöpfe zu drücken und Infos aus verschiedenen Quellen einzuholen, ohne dass diese hinterfragt werden. Dass man dies tun kann, heißt nicht, dass man es auch tun soll. Es ist für unseren Beruf sehr gefährlich – und wenn jemand niedrige Moralvorstellungen hat, kann man nur hoffen, dass man es früh genug herausfindet, bevor diese Moralvorstellungen auf einen selbst zurückfallen.

STANDARD: Kennen sie österreichische Zeitungen?

Smale: Ich habe fast zwölf Jahre in Wien gelebt, und zwar von 1987 bis 1998. Während dieser Zeit wurden mir Die Presse, Der Standard nach seinem Erscheinen, Profil, News (in seinen Anfängen) vertraut. Ich las auch einige regionale Zeitungen, die Oberösterreichischen Nachrichten, die Salzburger Nachrichten, die Vorarlberger Zeitungen, die Kleine Zeitung. Kurier und Krone waren natürlich Teil der Tageslektüre.

Alle Bereiche des ORF, Radio wie Fernsehen, ernteten meine Bewunderung, manchmal auch Kritik. Die APA war als erste Nachrichtenquelle natürlich unentbehrlich. Am fairsten ist es, wenn ich behaupte, das jedes einzelne dieser Medien zu unterschiedlichen Zeiten mit wichtigen Geschichten herauskam, die auch Menschen außerhalb Österreichs erfahren sollten, und mir als wertvolle Quellen dienten für den Bericht, den ich damals für die Associated Press von Wien aus koordinierte.