In den durchsichtigen Kammern (oberes Bild) wird das Wachstum alpiner Pflanzen bei wärmeren Temperaturen simuliert - diese tun ihnen gar nicht gut. Unten ist der Grasmugel zu sehen, der im Gloria-Projekt beobachtet wird.

Foto: Brigitta Erschbamer
Foto: Brigitta Erschbamer
Es ist ein Rätsel, dessen Lösung nur Eingeweihte kennen, und Brigitta Erschbamer, Professorin am Institut für Botanik der Universität Innsbruck, ist sicherlich keine von diesen, die das Geheimnis verraten werden.

Es sind die Namen der vier Gipfel in den Dolomiten, die seit 2001 für das internationale Forschungsprojekt Gloria unter die Lupe genommen werden, die das Rätsel aufgeben. "Die Gipfel sollen unberührt bleiben, sie sind touristisch uninteressant, ohne menschlichen Einfluss und auch ohne Beweidung". Deswegen treffen wir uns auch nicht im Gebirge, sondern in Erschbamers schmalem Büro am Institut in der Sternwartestraße, um über Klimaforschung zu sprechen.

"Global Observation Research Initiative in Alpine Environments" - Gloria - ist ein weltweites Netzwerk von ökologischen Beobachtungsstationen, mit denen Auswirkungen des Klimawandels auf Vegetation und Tierwelt beobachtet werden können. "Wir beobachten die Veränderung an der Grenze des Lebens, wo die Erwärmungseffekte am stärksten wirken", sagt Georg Grabherr, Leiter des Departments für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie der Universität Wien und Erfinder von Gloria. Von der ersten Station am Tiroler Schrankogel ging das Projekt ins Hochgebirge vom Kilimanjaro, bis in die Arktis. In Europa startete Gloria 2001, die errichteten 18 Stationen werden 2008 wieder besucht und die Ergebnisse der Gipfel untereinander verglichen.

"Die Theorie ist, dass sehr seltene Pflanzen wie das Dolomiten-Kugelschildchen, aussterben könnten, weil sie nur lokal verbreitet und in einem bestimmten Gebirgsstock vorkommen," formuliert Erschbamer eine These, die sie in Österreich überprüft.

Die Methodik ist "einfach": Auf den vier ausgewählten Gipfeln, der unterste befindet sich knapp oberhalb der aktuellen Waldgrenze, der höchste in der nivalen Stufe (Schneegrenze), wird fünf Meter unter dem höchsten Punkt in allen Himmelsrichtungen eine Fläche abgemessen, in der eine Bestandsaufnahme gemacht wird. Damit man einen Vergleich hat, wurden in Österreich unberührte Gipfel in den Südalpen (Dolomiten) und Zentralalpen (Naturpark Texelgruppe) ausgesucht. Herumtrampeln ist hier also nicht förderlich. Der Sinn dieser Frequenzanalyse ist, dass man wiederkommt. Erschbamer ist den anderen Stationsbetreuern vorausgeeilt und hat schon fünf Jahre nach dem Start, 2006, die Gipfel in den Dolomiten wieder besucht.

Erstaunlich schnell

"Dafür, dass fünf Jahre ein kurzer Zeitraum sind und alpine Pflanzen langsam wachsen, haben wir schon recht gute Ergebnisse erzielt," sagt Erschbamer. In der oberen alpinen Stufe, auf über 2700 Metern, hat sich am meisten getan. Um neun Prozent hat sich die Vegetation am höchsten Gipfel geändert, wenn man Artenverluste und Artengewinne gegeneinander aufgerechnet. Am niedrigsten Gipfel gab es im Vergleich dazu nur ein Prozent Artenzunahme, am nächsthöheren drei Prozent, und in der höheren alpinen Stufe zehn Prozent, zeigt Erschbamer auf die in Grundfarben eingefärbten Zonen auf ihrem Computerbildschirm. Einerseits war es für die Forscher überraschend, dass unten, wo man damit gerechnet hat, dass die Waldunterwuchs- und Wiesenarten aus dem Tal hinaufkommen, am wenigsten Änderung passierte. Doch andererseits ist das auch logisch, denn unten gibt es eine hohe Deckung der bereits vorhandenen Pflanzen. In der alpinen Stufe, die nur spärlich bewachsen ist, bleibt für Pflanzen noch viel mehr Raum zum Besiedeln.

Die Art, die es am höchsten nach oben geschafft hat und deren Wanderung als ein deutliches Zeichen des Klimawandels gesehen werden kann, ist die Lärche. Normalerweise kommt sie bis 2100 Höhenmetern vor. Lärchenkeimlinge sind aber auf 2750 Metern gefunden worden. Von einer Masseninvasion könne man hier aber keineswegs sprechen, sagt Erschbamer, und auch ob sie sich halten, ist die Frage. "Deswegen ist die Wiederholung wichtig."

Wärme nicht förderlich

Brigitta Erschbamer wollte mit einem weiteren Projekt die Klimaänderung nachweisen und hat im Gletschervorfeld des Rotmoosferners im Bereich des Alpenhauptkammes im hinteren Ötztal ein Experiment gestartet. Sie hat das Minimalszenario der Temperaturerhöhung von 1,5 Grad mithilfe von durchsichtigen Kammern, die nach oben offen sind, simuliert und stimuliert. Die Vergleichsfläche musste ohne Kammer auskommen, die Arten auf beiden Flächen waren die gleichen. "Und da möchte man meinen, dass eine Temparturerhöhung für das Wachstum der Pflanzen förderlich sein würde. Ist es aber nicht," präsentiert Erschbamer ein Ergebnis. Das Lebendgebärende Alpenrispengras, dessen Samen noch auf dem Fruchtknoten der Mutterpflanze austreibt und als fertige Pflanze zu Boden geht, konnte sich im Kontrollfeld ohne Kammer besser entwickeln. Durch die Erwärmung drohe der Verlust der Artenvielfalt, schließt Erschbamer daraus. "Wir wissen gar nicht, welches Potenzial in den Arten steckt, die bald verschwinden könnten." Die Bedeutung der Inhaltsstoffe des Edelweißes für die Medizin seien erst vor kurzem entdeckt worden, gibt sie zu bedenken.

Und sie zeigt doch Erbarmen mit der Neugier und lüftet das Geheimnis: "Wir haben den Gipfeln Phantasienamen gegeben." Einer von diesen ist der "Grasmugel". (Marijana Miljkovic/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 6. 2007)