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Angela Merkel und die Bremser:

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Der scheidende britische Premier Tony Blair ...

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und Polens Präsident Lech Kaczynski.

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Auf dem EU-Gipfel in Brüssel wehrten sich Polen und Briten bis zuletzt. Der deutsche Vorsitz versuchte mit maximalen Zugeständnissen, auf eine Kompromissformel zu kommen.

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Kurz vor 22 Uhr kam es zum Eklat: Ratspräsidentin Angela Merkel ließ am EU-Gipfel in Brüssel verlauten, dass sie notfalls ohne die renitenten Polen einen Beschluss für das Mandat einer Regierungskonferenz über den EU-Reformvertrag beschließen wolle. Warschau hätte dann erst im Herbst wieder "die Chance, sich einem europäischen Konsens anzuschließen", sagte Merkel Freitagnacht. Sie habe sich intensiv um die polnischen Anliegen bemüht und zuletzt weitgehende Zugeständnisse gemacht. Allein diese Ankündigung galt als ein diplomatischer Affront ersten Ranges.

Der polnische Präsident Lech Kazcynski hatte zuvor - tatkräftig unterstützt von seinem Zwillingsbruder und Premier Jaroslaw Kaczynski in Warschau - alle Kompromissbemühungen der deutschen Präsidentschaft abgelehnt. Nach einer Nachtsitzung und einem so genannten Beichtstuhlgespräch am Freitagvormittag hatte Merkel angeboten, die für Polen günstige Stimmgewichtung von Nizza bis 2014 fortzuschreiben.

Angebote an Warschau

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy legte zudem eine Notbremsen-Klausel auf den Tisch, die den Polen im Verein mit anderen mittleren und kleineren Ländern die Möglichkeit geboten hätte, unliebsame Beschlüsse im Rat zu verzögern. Außerdem sollte Warschau (und das nach Einwohnerzahl gleich starke Spanien) sieben zusätzliche Abgeordnete im europäische Parlament erhalten. Auch ein Entgegenkommen in Fragen der Energiesolidarität half nichts.

Schon Freitagfrüh erklärten Diplomaten auf den Gängen des Brüsseler Ratsgebäudes: "Mit den Polen haben wir ein psychologisches, mit den Briten ein substanzielles Problem". Warschau sehe seine Forderungen nicht als Verhandlungsmasse, "Quadratwurzel oder Tod" sei keineswegs eine leere Formel gewesen. Die Polen hätten die Frage zu einer nationalen Angelegenheit stilisiert - "die glauben wirklich daran". Schwedens Außenminister Carl Bildt sagte es so: "Die Polen reden so, als kämen sie von einem anderen Planeten."

Gar nicht dabei

Die Briten indes verhielten sich nach Meinung verschiedener Delegationen so, als würden sie gar nicht zur EU gehören. Tony Blair lehne durchaus charmant, aber beinhart in der Sache, die gemeinsamen Grundlagen der Union einfach ab, obwohl er selbst den ursprünglichen Verfassungsentwurf 2004 in Rom unterzeichnet hat. London sei gegen die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte-Charta und wolle auch weitere Integrationsschritte in der Außenpolitik (Stichwort EU-Außenminister) zumindest beschneiden.

Noch in der Nacht zum Freitag hatte die deutsche Präsidentschaft folgende Devise ausgegeben: Zuerst die Polen "knacken", danach sind die Briten dran. Das Kalkül ging nicht auf. Die Polen blieben hart, die Briten kamen bis Freitagmitternacht nie wirklich in die Verlegenheit, ernsthaft allein verhandeln zu müssen. Viele Gipfelteilnehmer hatten darauf gesetzt, dass Tony Blair auf seinem letzten EU-Gipfel nicht als "Sprengmeister der Union" in die Annalen eingehen wolle. Bis Freitagmitternacht sah es dagegen tatsächlich so aus, dass in Warschau die Lunte für den großen Knall gezündet wurde.

Dramatische Lage

In der dramatischen Situation wurden einige Mitgliedsländer nervös. Litauen und die Tschechen kritisierten die deutsche Taktik, Polen zu isolieren. Frankreich ersuchte Angela Merkel, Warschau doch noch länger Zeit zur Besinnung zuzubilligen.

Aus dem EU-Parlament kam indes Beifall für die deutsche Strenge. Der Grüne Johannes Voggenhuber bezeichnete den deutschen Entschluss als "Quantensprung"."Das ist die Gegenwehr Europas, um nicht vom Nationalismus überwältigt zu werden." Ein solches Vorgehen wäre "das Ende von faulen Kompromissen". Merkel sei bereit, "den Gordischen Knoten zu zerschlagen". "Sie ist eine große Kanzlerin, die einzige Europäerin auf der Bühne." Als Alternative gäbe es nur einen gescheiterten Gipfel, der "ein implodierendes Europa" zur Folge hätte. Das Land, das jetzt nicht mitmache, sei eben draußen.

"Polen nicht mehr Mitglieder der EU"

Präsident Lech Kaczynski schien sich Freitag kurz vor Mitternacht vor einer solchen Perspektive nicht zu fürchten. Es könnte eine Entwicklung in Gang gekommen sein, sagte er laut polnischen Diplomaten, an deren Ende "Polen nicht mehr Mitglied der EU sein möchte".

Dennoch - Merkels Drohung sorgte letztlich für Bewegung und brachte die Kaczynskis zum Einlenken. Den Durchbruch in den Verhandlungen erreichten dabei der neue französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der scheidende britische Premier Tony Blair in nächtlichen Telefongesprächen zwischen Brüssel und Warschau. Den komplizierten Kompromiss auf den Weg gebracht haben soll der dienstälteste Regierungschef in der EU, der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker.

Wenn es nicht alle noch einmal mit Polen versucht hätten, "wären wir im Desaster auseinander gegangen", sagte Merkel - sichtlich abgekämpft - zum Abschluss. Dass der neue EU-Vertrag nicht so glanzvoll wie der neue Verfassungsvertrag sein wird, steckte sie mit einer Portion trockenen Humors weg. "Es wird davon auszugehen sein, dass trotzdem noch Europafahnen wehen und die Europahymne gespielt wird." (DER STANDARD, Printausgabe 23./24.6.2007 /APA/red)