STANDARD: Wäre es für Polen akzeptabel, wenn ein anderes Land seine Forderungen gleich mit einer Vetodrohung verbinden würde?

Buras: Ich selbst bin kein Anhänger von Veto-Drohungen. Insofern fällt es mir leicht zu sagen, dass dieser Stil völlig inakzeptabel ist. Im aktuellen Streit geht es aber um die grundsätzliche Frage des EU-Machtsystems. Das ist von der Bedeutung her mit keinem anderen Thema vergleichbar.

STANDARD: Die Vetodrohung ist also prinzipiell richtig?

Buras: Nein. Prinzipiell richtig wäre es gewesen, das Thema der Stimmengewichtung auf die Gipfel-Agenda zu setzen. Falsch hingegen wäre ein Veto gegen die Regierungskonferenz. Legt Polen tatsächlich sein Veto ein, ist seine Politik gescheitert. Das Problem ist nur, dass die polnische Forderung sehr spät kommt. Das Thema "Machtverteilung im EU-Rat" gilt als abgeschlossen. Die Lösung, also die doppelte Mehrheit, ist aber kein gerechtes System. Es bevorzugt eindeutig die großen Staaten.

STANDARD: Warum will auch Polens größte Oppositionspartei, die liberalkonservative Bürgerplattform, für die Quadratwurzel sterben?

Buras: Eigentlich geht es gar nicht um die Quadratwurzel. Weder die Regierung noch die Opposition würden tatsächlich für die Quadratwurzel sterben. Es geht darum, die Debatte um die Stimmgewichtung erneut aufzunehmen. Das ist das Ziel. Die Quadratwurzel ist nur der Türöffner.

STANDARD: Genau das will die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verhindern. Die Furcht, dass die Diskussion dann wieder drei oder vier Jahre dauern könnte, teilen die meisten anderen Staaten.

Buras: Mit einer Bevölkerungszahl von 82 Millionen Menschen ist Deutschland für die Nachbarn ein wirtschaftlicher und politischer Machtkoloss. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Kanzlerin Merkel zumindest anerkennen könnte, dass es in der EU ein "Deutschland-Problem" gibt. Das würde einen Kompromiss sicher erleichtern.

STANDARD: Wieso machte eigentlich die erste Parole "Nizza oder der Tod", die 2003 der damalige Oppositionsführer Jan Rokita prägte, so große Furore in Polen?

Buras: Das wirkte nur durch die Medien so. In Wirklichkeit war schon damals ein großer Teil der Bevölkerung gegen das polnische Veto, ebenso wie jetzt auch. Mehr als die Hälfte der Polen will einen europäischen Verfassungsvertrag.

STANDARD: Polnische Politiker fordern immer wieder, dass sie von den EU-Partnern ernst genommen werden möchten. Kann man Politiker ernst nehmen, die für Nizza, die Quadratwurzel oder was auch immer sterben wollen?

Buras: Das wird der Gipfel zeigen. Immerhin hatten auch Charles de Gaulle und Margaret Thatcher mit Alleingängen in der EU Erfolg. Für Polen gilt: Wenn es gelingen sollte, mit oder trotz dieser sturen Haltung Verbündete für die weitere Diskussion der Machtfrage im EU-Rat zu gewinnen, hat sich die Vetodrohung in dieser Frage ausgezahlt.

*****

Zur Person Der Politologe und Publizist Piotr Buras (33) ist Deutschlandexperte und Mitarbeiter am renommierten Warschauer Zentrum für Internationale Beziehungen. (Gabriele Lesser/DER STANDARD, Printausgabe, 22.6.2007)