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Der schiitische Ingenieur Safaa A. Hussain ist seit drei Jahren stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater im Irak.

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Täglicher Terrorismus in Bagdad: Hier traf es sechs vor einer Tankstelle in ihren Autos Wartende.

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Die US-Armee müsse mindestens zwei weitere Jahre im Irak bleiben, sagt der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater im Irak, Safaa A. Hussain, zu András Szigetvari.

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STANDARD: Die Gewalt im Irak wirkt oft vollkommen unüberschaubar. Lassen sich die Vorgänge strukturieren?

Hussain: Seit der Etablierung des modernen irakischen Staates in den 1920ern stützten sich die verschiedenen Regimes immer auf die sunnitische Minderheit. Kurden und Schiiten wurden unterdrückt. Als Saddam kam, wandte er die gleiche Politik nur brutaler und grausamer an. Und dann brach dieses Herrschaftsystem plötzlich zusammen. Die Sunniten mussten zusehen, wie die Schiiten die Macht übernahmen.

Ein wichtiger Faktor dabei war, dass Schiiten und Kurden, weil sie ja in Opposition waren, immer ihre Parteien – wenn auch im Exil – hatten. Nur die Sunniten hatten keine Parteien. Sie brauchten also dringend Leute, die die sunnitische Öffentlichkeit organisieren konnten. Und wer waren diese Leute? Baathisten. Und jene, die immer gut motivieren können: Kleriker. So entstand auf sunnitischer Seite ein Mix aus religiösen Gruppen und Baathisten, die nicht glauben, dass sie die Schlacht verloren haben.

STANDARD: Ein klassischer Bürgerkrieg also zwischen Schiiten und Sunniten um die Macht?

Hussain: Dazu kommen islamistische Fraktionen, wie Al-Kaida. Und der Einfluss aus dem Ausland. Einerseits unterstützen Privatpersonen und Gruppen Al-Kaida. Ich rede nicht von Staaten, daher weiß ich auch nicht, wie man diese Unterstützung unterbinden soll. Dann gibt es die Hilfe arabischer Nachbarländer für Aufständische. Ein anderes Problem betrifft speziell Syrien und den Iran. Beide betrachten die Anwesenheit der US-Armee im Irak als Bedrohung. Und zumindest Syrien erleichtert den Transfer von Militanten in den Irak.

STANDARD: Schaden oder nützen die US-Soldaten im Irak?

Hussain: Die USA machen im Irak eine Job, der getan werden muss. Die irakische Armee hat ihre Logistik noch nicht aufgebaut. Es fehlt an Luftunterstützung und Artillerie. Die irakische Armee braucht die USA. Der zweite Punkt ist, dass die US-Soldaten oft als neutraler angesehen werden. Auch wenn das besser geworden ist, wurden etwa die Truppen des irakischen Innenministeriums von vielen als rein schiitische Miliz betrachtet.

STANDARD: Wie lange werden die USA noch bleiben?

Hussain: Ich denke, Ende des Jahres wird eine Entscheidung in Washington zu treffen sein. Die Entscheidung wird aber mehr von Überlegungen der US-Innenpolitik geleitet sein als auf Grundlage der Fakten im Irak getroffen werden. Die Einschätzung der Experten im irakischen Sicherheitsapparat ist, dass wir die Unterstützung der USA noch mindestens zwei Jahre brauchen werden.

STANDARD: Die US-Armee gab vergangene Woche bekannt, dass sie sunnitische Gruppen für den Kampf gegen Al-Kaida mit Waffen ausrüstet. Eine gefährliche Taktik.

Hussain: Darin liegt eine Gefahr und eine Chance. Die Chance ist, dass lokale Gruppen Al-Kaida bekämpfen. Das ist bereits in der Provinz al-Anbar geschehen, wo die irakische Regierung Geld und die USA Waffen geliefert haben. Dort hat sich die Situation komplett verändert. Große Teile der Provinz sind jetzt sicher. Das Problem ist, dass Anbar fast nur von Sunniten bewohnt wird. Sunnitische Stämme in Anbar zu bewaffnen, war also nicht so ein Problem. Aber dort, wo die USA jetzt Waffen verteilen, in den Provinzen Diyala oder Salah ad-Din, leben auch Schiiten und Kurden. Das ist gefährlicher. In schwierigen Situation müssen solche Risiken vielleicht eingegangen werden.

STANDARD: Kann die Sicherheitslage verbessert werden?

Hussain: Ja. Wir müssen vor allem in unsere nachrichtendienstliche Fähigkeiten investieren. Die meisten Gelder gehen derzeit in die Sicherheitskräfte. Wir müssen aber besser wissen, wo wir gegen wen kämpfen. (DER STANDARD, Printausgabe, 19. Juni 2007)