Der Bauplan des Menschen ist flexibel, Ernährung ein Faktor, der ihn prägt, sagt die Nutrigenomik.

Grafik: MEDSTANDARD
Das Leben ist in vieler Hinsicht ungerecht. Der eine kann beim Essen kräftig zulangen und bleibt trotz Schweinsstelzen und Tiramisu gertenschlank, der andere geht davon auf wie ein Krapfen. Schlimmer noch: Er bekommt davon mit der Zeit Arteriosklerose, Bluthochdruck und Herzprobleme. Medizin, Ernährungswissenschaft und Biologie sind gemeinsam Krankheitsursachen auf der Spur.

"Ich bin halt so veranlagt",...

... finden sich Übergewichtige mit dem leidigen Gewichtsproblem ab, während sie von schlanken Mitmenschen häufig als faul, inkonsequent oder willensschwach geschimpft werden.

Doch tatsächlich ist die Neigung zu Adipositas auch genetisch bedingt, wie Nutrigenomik-Forscher heute wissen. "Bei vielen übergewichtigen Menschen sind gewisse Gene anders beschaffen als bei Normalgewichtigen", erklärt Jürgen König, Professor für Spezielle Humanernährung an der Fakultät für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien.

Wir wissen es nicht

Wie stark sich die Gene auf die Entstehung von Fettleibigkeit auswirken, sei aber unklar. Die Einschätzungen reichen von einem fünf- bis 30-prozentigen Einfluss. "Faktum ist", sagt König, "dass wir es nicht wissen."

Gene und Ernährung

Neben der Adipositas gibt es weitere Zusammenhänge von Genen und Ernährung. König forscht mit seinem Team gerade am genetischen Einfluss auf die Fähigkeit des Organismus, Folsäure aufzunehmen. Dieses B-Vitamin spielt eine wichtige Rolle für viele Körpervorgänge, von der Blutbildung bis zum Gesamtstoffwechsel.

Ein Mangel kann sogar zu bestimmten Fehlbildungen von Neugeborenen führen. "Man vermutet heute, dass die verminderte Verwertbarkeit von Folsäure, die bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung vorkommt, genetische Ursachen hat", erklärt König. Und genau dem will man auf die Spur kommen.

Forschen im Bereich der Nutrigenomik

Nicht nur die Ernährungswissenschafter, auch die Mediziner forschen im Bereich der Nutrigenomik. Karine Sargsyan, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, leitet an der Medizin-Universität Graz das EU-Projekt "Nutrition and Bioefficacy". Untersucht werden sollen die Wechselwirkung von Ernährung und Genexpressionen bei Adipositas, Typ 2 Diabetes Mellitus, sowie Adipositas-assoziierte Leberstoffwechselveränderungen.

Wir stehen erst am Anfang

Ziel des Projektes, das sich derzeit in der Anfangsphase befindet, sei es, Hinweise auf eine ideale, personalisierte Ernährungsform als Vorbeugung beziehungsweise Heilung dieser Erkrankungen zu erhalten. Auch individuell abgestimmte Nahrungsmittelergänzungen, etwa in Pulverform als Unterstützung, sind für Sargsyan durchaus denkbar. Sie ist überzeugt davon, dass die Nutrigenomik erst am Anfang steht. "Etwa ein Drittel der Bevölkerung wäre bereit, auf eine personalisierte Ernährung umzuschwenken", zitiert sie eine Studie des Institute for Future.

Komplexes System

Hannelore Daniel, Professorin für Ernährungsphysiologie an der Technischen Universität München, warnt vor voreiligen Versprechungen: Gerade beim Übergewicht spielen eine ganze Reihe von Genen eine Rolle. "Derzeit schätzt man, dass rund 300 Gene Adipositas beeinflussen, wobei die Zahlen laufend nach oben korrigiert werden", weiß Daniel. Sie forscht aktuell am Einfluss von Flavonoiden auf die Gene.

Wirkung der Flavonoide

Diese sekundären Pflanzenstoffe in Obst und Gemüse, so hört man heute vielfach, seien wahre Wundermittel. Sie könnten Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern und sogar Krebs vorbeugen. Doch auch hier liegt die Sache leider etwas komplizierter: "Von den rund 7000 Flavonoiden, die es gibt, kennen wir eine Hand voll gut. Über manche wissen wir etwas mehr, über den weitaus größten Teil wissen wir absolut nichts."

Grundsätzliches gilt - trotz Individualität

Nur weil einige Flavonoide im Reagenzglas einen Einfluss auf Krebszellen haben, könnten wir nicht behaupten, dass sie Krebs hemmen, dämpft die Ernährungswissenschafterin allzu euphorische Hoffnungen. Außerdem würden die grundlegenden Empfehlungen einer ausgewogenen Ernährung mit viel Obst und Gemüse und wenig tierischen Fetten auch bei individualisierten Ernährungsempfehlungen weiter gelten.

Nicht die Lösung aller Probleme

Genauso wie die Tatsache, dass wir uns ausreichend bewegen müssen, wenn wir gesund bleiben wollen. "Die Nutrigenomik wird sicher viel bewirken, aber sie ist nicht die Lösung aller Probleme", sagt Daniel. "Sie wird Erklärungen bieten und Risiken des Einzelnen aufzeigen können. Sie wird auch Empfehlungen besser auf einzelne Bevölkerungsgruppen abstimmen können." Ob sich die Leute dann daran halten, sei wieder eine andere Frage. (Sabina Auckenthaler/MEDSTANDARD/18.06.2007)