Zur Person
Florian Überall (53) ist Professor der Medizinischen Biochemie am Biozentrum der Medizinischen Universität Innsbruck und leitet in der Abteilung für Medizinische Biochemie die Arbeitsgruppe Nutrigenomik und Funktionelle Bioinformatik.

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STANDARD: Warum ist gerade der Einfluss der Ernährung auf die Gene interessant?

Überall: Die Zukunft maßgeschneiderter Ernährung hängt ursächlich von der Aufklärung des Genoms ab. In fast allen Life-Science-Bereichen wird es heute auf den geordneten Bauplan und Unregelmäßigkeiten, so genannte Polymorphismen, untersucht. Derzeit sind über 300 Genome publiziert, vom Menschen bis zur Hefe. Diese großen Projekte waren die Voraussetzung, dass Fragestellungen wie die Wechselwirkung von Ernährung und Genom überhaupt möglich sind. 3,2 Milliarden DNS-Bausteine in rund 100 Billionen Körperzellen stehen zur Untersuchung. Anderseits: Kein Umweltfaktor wirkt sich so beständig auf unsere Gesundheit aus wie die Ernährung. Deshalb ist es interessant zu fragen, welche Rolle die Gene hier spielen und ob unser genetischer Code mit unserem Speiseplan kompatibel ist.

STANDARD: Wo steht die Nutrigenomik mit ihren Erkenntnissen derzeit?

Überall: Ganz am Anfang. Wir kennen einzelne Gene und ihre Bedeutung für die Wirkung von Nahrungsmitteln im Körper. Von einer Gesamtinterpretation sind wir meilenweit entfernt.

STANDARD: Es gibt heute bereits Institutionen, an die man eine Speichelprobe schicken und analysieren lassen kann, welche Ernährung zu einem passt. Wie seriös ist das?

Überall: Wenn diese Tests behaupten, sie könnten individuelle Ernährungsempfehlungen ermitteln, ist das Unsinn. Was meist gemacht wird, ist, dass der Arzt einige bereits bekannte Gene ankreuzt, in einem Speziallabor wird dann deren Beschaffenheit untersucht. Man kann dann sagen, dass ein bestimmtes Gen, zum Beispiel Cytochrom P450 Isoenzym, in dieser oder jener Variante vorhanden ist. Dadurch sind zwar sehr allgemeine Aussagen in Bezug auf die Neigung zu Übergewicht möglich, aber die summativen Einflüsse von Nahrungskomponenten sind sehr komplex und entziehen sich noch einer personalisierbaren Diagnostik.

STANDARD: Wo liegen die Schwierigkeiten in der Erforschung des Zusammenhangs von Genom und Ernährung?

Überall: Eine große Herausforderung ist, dass bei den wenigsten Phänomenen nur ein einziges Gen eine Rolle spielt, sondern meist eine ganze Reihe von Genen. Außerdem wissen wir noch sehr wenig über die Zusammenhänge der verstoffwechselten Nahrungskomponenten und dem Genom. Man kann sich die Forschungen derzeit etwa so vorstellen: Wenn ich in einem Heuhaufen nach der roten Nadel suche, werde ich sie irgendwann finden. Wenn ich nach der gelben suche, finde ich auch diese. Die Schwierigkeit liegt darin, herauszufinden, welche Nadeln überhaupt für den Stoffwechsel relevant sind und ob die gelbe Nadel mit der roten in einer molekularen Beziehung steht.

STANDARD: Derzeit kann man also noch keinen konkreten Nutzen aus der Nutrigenomik ziehen?

Überall: So stimmt das auch nicht. Für die Laktose-Intoleranz - die weltweit gesehen übrigens der Normalfall ist - ist zum Beispiel eine Variation in einem einzigen Gen verantwortlich. Wir sprechen von einem veränderten Allel. Laktose-Unverträglichkeit geht häufig mit Histamin-Intoleranz und Fruktose-Unverträglichkeit einher. Diese ungünstigen Konstellationen können wir nun in einem Belastungsversuch auch genetisch untersuchen. Ob alle drei festgestellten Unverträglichkeiten schließlich auftreten und in welchem Ausmaß sie genetisch bedingt sind, wird sich zeigen.

STANDARD: Wo sehen Sie die Zukunft der Nutrigenomik?

Überall: Ich glaube, dass in den nächsten zehn Jahren viele Fragen zum Zusammenspiel von Ernährung und genetischem Code beantwortet werden. Die größte Hoffnung sehe ich in der Präventionsforschung. Wir werden Markergene auffinden, die Unverträglichkeiten auf Lebensmittel oder Zusatzstoffe anzeigen können. Die Kunst wird sein, den Speiseplan mit dem genetischen Code abzugleichen. Die Intuition und die Analytik der Forscher ist gefordert. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2007)