Schöne Frauen leben in Albanien in ständiger Angst: Ornela Vorpsi schildert die Realität schonungslos.

Foto: D. R. Libre de droits
Wien - "Gewisse Regeln entstehen in der Mentalität eines Volkes auf ganz natürliche Weise, sie wachsen wie die Blätter am Baum. Diese Regeln beruhen bei uns allesamt auf einer einzigen Annahme: Ein hübsches Mädchen ist eine Hure, ein hässliches - die Ärmste! - ist keine." Das nennen wir uns einen viel versprechenden Romanbeginn. Willkommen in Enver Hoxhas Albanien, dem Land voller kleiner Bunker, und bis 1990 wahrlich ein Bunkerstaat. Geführt von einem Diktator, der mit Jugoslawien brach, mit Russland, am Ende auch mit China. Eine isolierte Nation, in der jeder Hauch von Opposition sofort erstickt wurde.

Hier ist Ornela Vorpsi aufgewachsen. 1969 in Tirana geboren, bekommt sie freilich schnell mit: Nicht die politische Lage und schon gar nicht die Tatsache, dass es im per Proklamation "ersten atheistischen Staat der Welt" dahinvegetiert, bewegt das Volk. Einzig und allein das "Herumhuren" sorgt für Gesprächsstoff und befeuert die Fantasie.

Hier wird den Mädchen schon im Volksschulalter prophezeit: "Du wirst einmal eine große Hure werden, ja ... ja." Die Tanten sagen das Schicksal voraus, der Großvater will ständig das "Mäuschen" sehen: "Wäscht du es selber, oder lässt du es von deinem Papa waschen?" Ab der Pubertät lebt Frau in ständiger Angst, in ein Gebüsch gezerrt zu werden. Viele kommen bei Abtreibungen um.

Die Mutter ist eine Schönheit, also auch eine Hure, dazu psychisch labil. Der Vater sitzt im Gefängnis, nachdem er Zweifel am Reichtum der Kartoffelernte angemeldet hatte, schon das eine ungeheuerliche Kritik an Hoxhas Regime. Das Kind zieht sich zurück in ein Reich der Fantasie und tauscht den Familienschmuck gegen russische Romane und Grimms Märchen ein.

In Das ewige Leben der Albaner rechnet Ornela Vorpsi aus der Ferne mit ihrer Heimat ab. Schon seit Jahren lebt sie als Fotografin in Paris, nachdem sie 1991 mit ihrer Mutter nach Italien geflüchtet war. Geschrieben hat sie ihr Debüt auf Italienisch, das schaffe für sie die nötige Distanz.

Vorpsi beschreibt Albanien in einer knappen, dennoch bisweilen schwülstig raunenden Prosa als Land aus einem bösen Märchen. "Mutter Partei" hat ein Reich voller Hass und Gewalt geschaffen, dessen Niedertracht die Autorin durch die Augen eines Kindes betrachtet. Dieser Kunstgriff erlaubt einen scheinbar naiven Blick und dadurch eine nur umso schonungslosere Schilderung der Realität.

"Alles ist wahr, auch wenn ich nicht alles selbst erlebt habe", sagt Vorpsi über ihren Roman, der eigentlich eine lose Abfolge kurzer Episoden ist. Gewidmet hat sie das Buch dem Wort Bescheidenheit, das in albanischen Wörterbüchern nicht vorkommt: "So ein Mangel kann sonderbare Auswirkungen haben auf die Entwicklung eines Volkes."

Auch der Tod scheint in Albanien nicht zu existieren. Die Menschen sind "bewässert vom Raki und desinfiziert vom Peperoni in den allgegenwärtigen eingelegten Oliven". Stirbt doch einer, dreht sich die Meinung über ihn um 180 Grad: "Die Deinen fressen dir zwar das Fleisch auf, heben jedoch deine Knochen auf." Zudem dienen die Knochen den Kindern als Spielzeug.

Doch auch der Westen, dessen Filmstars in Albanien heimlich vergöttert wurden, ist nicht das Paradies. Das wird Vorpsis Erzählerin bei der Ankunft in Italien schlagartig klar. Ein Mann spricht ihre Mutter an, die glaubt, er mache sich als Kofferträger erbötig. Die Tochter jedoch versteht, was er sagt: "Wie viel willst du fürs Bumsen?" Albanien ist überall. (Sebastian Fasthuber/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 6. 2007)