Sechs Geliebte in der gleichen Stadt: Hermann Broch hielt die "Kraft" seiner Neurosen nicht nur für sich, sondern auch für die Frauen und sein Werk, um das es ihm hauptsächlich ging, für gefährlich.

Foto: Trude Geiringer/Suhrkamp Verlag
So leicht ist es auch wieder nicht, gegen die sechzig zu gehen, an der literarischen Ewigkeit zu arbeiten und sechs Geliebte zu haben. Noch dazu, wenn sie in der gleichen Stadt leben, intellektuell anspruchsvolle und sexuell fordernde Persönlichkeiten sind und jede von ihnen gerne die Einzige wäre. Da ist der Aufwand, mit allen und allem zurande zu kommen, mit dem Alter, der Arbeit, der Organisation des Geschlechtslebens, schon ein gewaltiger, und darüber wird das Leben statt interessanter nur immer schwieriger: Der Liebhaber spürt den körperlichen Verfall, fürchtet seine künstlerische Bestimmung zu versäumen und verfängt sich in dem Netz, das er selbst gesponnen hat und aus dem er nun kein Entrinnen mehr weiß. "Kurzum, es ist eine Hölle der Gejagtheit, einer Gejagtheit, in der es immer wieder um die Sicherung der Arbeit geht, da einzig und allein in dieser meine Existenz als solche, nicht nur die physische, zentriert ist."

Die Hölle, Hermann Broch hat sie sich selbst gezimmert und es sich heimelig in ihr eingerichtet. Sie war mit den Gespenstern seines schlechten Gewissens möbliert, mit denen zu hadern seine Lieblingsbeschäftigung wurde. Denn Broch, alles andere als ein leichtlebiger Verführer, war geradezu vernarrt in sein schlechtes Gewissen; nichts beschäftigte ihn inniger als die Frage, warum gerade er für dieses quälende Gefühl so begabt sei, wie er es sich beständig erhalten könne und was das für ihn und die Frauen bedeutete, um die er stets mit widersprüchlichen Signalen zu werben begann. Eine jede ließ er vorab wissen, dass sie sich mit ihm ein arges Kreuz schultern würde, dass er schrecklich an dem Unglück leide, das er über sie bringen werde, und dass es eigentlich die "Nullogamie" war, die er ersehnte; "an den Schreibtisch anzugatten", asketisch in seiner Arbeit zu verschwinden, das wäre sein wahres Lebensziel gewesen, aber da er dafür zu viril war, musste es eben der Liebesreigen sein. Auf jede einzelne Geliebte hat er sich in der Hoffnung eingelassen, endlich jene Ordnung in sein Leben zu bringen, die ihm ungestörtes Arbeiten an seinem großen Werk erlaube, aber mit jeder neuen wurde es schlimmer: Statt am literarischen Werk arbeitete er sich daran ab, seine Beziehungen zu arrangieren, die Frauen, die an ihm und ihrer Liebe litten, mit exzessiven Selbstanklagen zu trösten und gerade dadurch auf verquere Weise an sich zu binden; und das schlechte Gewissen, in das er darüber geriet, selbst zu analysieren.

Die Briefe an die Geliebte Ruth Norden und seinen Psychoanalytiker Paul Federn, die der deutsch-amerikanische Germanist Paul Michael Lützeler aus dem verstreuten Nachlass sorgfältig ediert und hinreißend verschmitzt kommentiert hat, sind in vielerlei Hinsicht aufschlussreich: Sie zeigen Broch im Gespräch mit einer politisch hellwachen Partnerin, einem väterlichen Freund - und ihn selbst auf dem Weg zur politischen Wende seines Lebens; sie lassen erkennen, wie er sich die demokratische Neuordnung Europas nach dem Sturz des Faschismus dachte; sie gewähren Einblick in die Werkstatt eines großen Schriftstellers, der um seine Romane Der Tod des Vergil und Die Schuldlosen ringt und die tägliche Panik niederkämpfen muss, zu sterben, ohne zur Vollendung gelangt zu sein; und sie bezeugen, trotz der Perfidie, mit der er die Frauen an sich fesselte, gerade indem er sie auf Distanz hielt, den Humanismus eines Autors, der sich hilfsbereit und vorurteilsfrei für zahllose Kollegen verwendete und sich unter die moralische Verpflichtung stellte, jeden Brief, den ihm Leser oder Bittsteller schickten, zu beantworten.

Faszinierende Lektüre bieten diese Briefe, geschrieben zwischen 1934 und 1950, aber vor allem deswegen, weil man sie als Roman lesen kann, als Roman eines vertrackten Scheiterns, dessen Held sich nicht zu entwickeln vermag, sondern am Ende so unglücklich ist wie zuvor und nur älter, nicht klüger geworden ist. Der Ich-Erzähler dieses Romans, in dem sich der Protagonist fortwährend die Fallen stellt, in die er tappen wird, ist Hermann Broch, ein Erotiker mit selbstanalytischer Obsession, der sich schließlich nicht mehr um die Befriedigung, nur um die Befriedung seiner Geliebten sorgt. Rastlos jagt er von der einen zur anderen, um sie zu beschwichtigen und der dritten von seinem Scheitern berichten zu können. Wie er die Frauen gegeneinander ausspielt, trickst er sich freilich selbst aus, und dass er auch dieses begriffen hat, davon künden dann die Briefe, die er an seinen Psychoanalytiker schrieb; zu diesem, einem der treuesten Schüler von Sigmund Freud, war er nicht zuletzt deswegen gegangen, weil er sein Verhältnis zu Frauen selbst als gestört empfand und die "Kraft meiner Neurosen" für gefährlich hielt; gefährlich für die Frauen und für sein Werk, um das es ihm hauptsächlich ging. Um an diesem in Ruhe arbeiten zu können, wollte er seine Sexualität "in der Ehe disziplinieren", nur wusste er selbst nicht mehr, mit wem er sie schließen sollte.

1938 kam Broch, der nach dem "Anschluss" in Österreich kurzfristig inhaftiert wurde, von England aus mit dem Schiff nach New York. In seiner Begleitung befand sich die Wiener Sozialarbeiterin Jadwiga Judd, die ihn bei seinen ersten Schritten im englischen Exil hilfreich begleitet hatte. Auf einen Termin für die Hochzeit hatten sie sich schon geeinigt. Aber in den USA wartete ja Ruth Norden auf ihn, wie alle von Brochs Freundinnen rund 20 Jahre jünger als er, eine aus Berlin stammende Intellektuelle, mit der er seit Jahren brieflich konversierte und die er mit verfänglichen Briefen schon längst auf sein Kommen vorbereitet hatte. Kokett bezeichnete er sich in den Briefen an Ruth als "alten Mann", der unter dem "Gnaden-Fluch" stehe und seine künstlerische Schaffenskraft mit bitterer Einsamkeit zu bezahlen habe. Der Briefwechsel mit ihr ist von Anfang an auf eine intime Beziehung hin angelegt und steckt zugleich voller Warnungen, dass ihn um seiner Kunst willen keine Frau je aus seiner Einsamkeit reißen dürfe. Was er Ruth insgeheim mitteilte: Eine Geliebte brauche ich, die mir nicht zu nahe tritt.

Etliche Jahre hat sich die gebildete Ruth Norden, die in den USA rasch Karriere machte, leidend in diese Rolle gefügt; als der Krieg zu Ende war und sie an ihrer Selbstopferung gar zu sehr litt, überredete Broch sie mit allerlei politischen Argumenten, nach Deutschland zurückzukehren und dort am Aufbau eines demokratischen Pressewesens mitzuarbeiten. Strikte verlangte er von ihr: "Ruf mich nicht an!", aber wenn sie es dennoch tat, bedankte er sich umgehend mit den Worten: "Das war nicht nur sweet of you, sondern auch süss." Kaum dass sie weg war, begann er sie wieder zu hofieren.

Von Ruth Norden wusste seine Verlobte Jadwiga Judd vermutlich nichts; die Ehe verweigerte sie, als sie hinter das Verhältnis kam, das Broch bald nach der gemeinsamen Ankunft in New York mit der amerikanischen Autorin Frances Colby Rogers eingegangen war. Instinktiv scheint "der alte Mann" darauf geachtet zu haben, dass unter seinen Geliebten immer eine Frau, die ihn intellektuell anzog, mit einer konkurrierte, die er für sexuell attraktiv hielt. An dieser Konkurrenz litten aber nicht nur sie, sondern auch er selbst - und seine redlich analysierten Gewissensqualen wurden so groß, dass er am Ende mit den Partnerinnen für geistvolle Gespräche nicht mehr diskutieren und bei den anderen keinen sexuellen Ausgleich mehr finden konnte. Die Impotenz ist daher das Thema vieler Briefe an Paul Federn, und wenn man genau hinhört, ist unter der männlichen Panik, von ihr befallen zu werden, fast so etwas wie Hoffnung zu vernehmen, durch sie endlich vom leidigen sexuellen Begehren selbst befreit zu werden.

Am wenigsten gemocht hat er von seinen Geliebten wohl die amerikanische Lyrikerin Jean Starr Untermeyer, die die Sisyphos-Arbeit auf sich nahm, den Tod des Vergil zu übersetzen. Sie war als Einzige ungefähr gleich alt wie Broch, der sie in einem verzweifelten Brief als "bourgeoise Hysterika" charakterisierte, "der jedes Feingefühl mangelt" und die es sich sogar herausnahm, ihn mit handgreiflichen Szenen der Eifersucht zu behelligen. Doch bittere Ironie, kaum hatte er sich von "der Untermeyerin" getrennt, war sie es, die er sich imaginieren musste, um mit den anderen Geliebten den Beischlaf vollziehen zu können. Ausgerechnet bei ihr erlebte er noch den Triumph der "Vollpotenz", was er selbst als regelrechte "Perversion" beurteilte, für die er sich "zutiefst schäme". Paul Federn übrigens, dem er das alles beichtete, war er ähnlich widersprüchlich wie den Geliebten zugetan; er trachtete, so rasch wie möglich vom Analysanden zum Freund zu werden.

1948 kehrte Ruth Norden, enttäuscht darüber, dass die amerikanische Regierung im Kalten Krieg dazu überging, alte Nationalsozialisten auf verantwortliche Posten zu setzen, nach New York zurück. Jadwiga Judd, die Bildhauerin Irma Rothstein, Frances Colby Rogers, Jean Starr Untermeyer waren zu diesem Zeitpunkt als Heiratskandidatinnen schon aus dem Rennen. Aber da war noch Annemarie Meier-Graefe, Grafikerin und Witwe eines berühmten Kunsthistorikers, zu der er ein dezidiert "unplatonisches Verhältnis" unterhielt und die ihm geeignet erschien, der "Lust-Pflicht und Pflicht-Lust", die ihm sein schlechtes Gewissen gegenüber Ruth auferlegte, zu entrinnen.

Gleichwohl blieb Ruth bis zu seinem Tod im Jahr 1951 seine Geliebte; zu ihrem vierzigsten Geburtstag klagte er in der Glückwunschkarte bitterlich darüber, "dass ich unglücklich bin, weil ich unfähig bin, Dir diesen Tag (samt aller anderen) schöner zu machen". Erst nach seinem Tod wird Ruth Norden erfahren, dass der Mann, der sich der Ehe mit ihr verweigerte, weil er sie nicht vollends ins Unglück stürzen wollte, seit 1949 in geheimer Ehe mit Annemarie Meier-Graefe verheiratet war. Merkwürdig genug, haben alle seine Geliebten Broch ein ehrendes Angedenken bewahrt. In ihren Erinnerungsbüchern berichten sie nur nebenhin von ihren Enttäuschungen, ihrer Verzweiflung, viel aber von dem edlen, dem unglücklichen Mann, der um ihretwillen so oft von seinem schlechten Gewissen gequält wurde. Dass er die Frauen unglücklich macht, ist das größte Unglück des Mannes. (Karl-Markus Gauß / DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.6.2007)