"mein geburtstag gehört mir nicht – dennoch DANKE" heißt ein Gedicht-Zyklus in Elfriede Gerstls jüngstem Band "mein papierener garten". Dank auch ihr.

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Am Dienstag erhält sie den Heimrad-Bäcker-Preis – und am Donnerstag liest sie im Jüdischen Museum.

Wien – "alles was man sagen kann kann man auch beiläufig sagen" steht auf einer von Elfriede Gerstl gestalteten Postkarte. Der Satz ist ihrem Roman Spielräume entnommen und geht dort, nach einer kurzen Verneigung in Richtung Wittgenstein – "der Altmeister möge mir verzeihen" – noch weiter: "oder auch: alles was man sagen kann, muss schließlich nicht gesagt werden."

Einsichten, denen Elfriede Gerstl auch in ihrem Schreiben treu bleibt: Ihr Werk ist schmal wie sie selbst. Und ähnlich zurückhaltend. Wenige kostbare Bände mit Gedichten, einige Hörspiele, ein Roman. Erschienen in den erlesensten Literatureditionen des Landes.

Schon in den Sechzigern, als sie sich im Kreis der Wiener Gruppe bewegte, saß sie bevorzugt schweigend in der illustren Runde im Café Hawelka. Aus Respekt, aus Schüchternheit. Aus Mangel an Selbstdarstellungsfuror. Auch ein Interview anlässlich der Verleihung des Heimrad-Bäcker-Preises am 19. Juni und ihres am Samstag (16.6.) sich ereignenden 75. Geburtstages, reizt sie eher weniger, schon gar nicht zur "Quatschsucht, diesem unqualifizierten Übel" (Spielräume).

Ein wenig, bemerkt sie, im sommerleeren Inneren des Café Korb geraden Rückens auf einem grünen Kissen thronend, komme ihr ein solches Ansinnen vor, als verspräche man ihr eine Geburtstagstorte. Den Teig aber solle sie, bitte schön, selbst rühren. Und das Schlagobers möglichst auch. Großzügig veranlagt, gibt sie das Interview doch. Und einige bunte Postkarten als Draufgabe.

Etwa die "elfriede gerstl medien-problem-karte": "se san net zum dahypen". Vierzig Jahre lang, während deren ein Wahrgenommenwerden ihrer Literatur – nicht zuletzt aus pragmatischen finanziellen Gründen – existenzwichtig gewesen wäre, hatte die Öffentlichkeit vor ihren prägnanten Kurztexten meist die Augen verschlossen. Ihr erster Gedichtband – Gesellschaftsspiele mit mir – erschien 1962 im Kulturamt der Stadt Linz. Bezahlte Lesungsmöglichkeiten gab es schlicht keine. Auch keine Aushilfsjobs, etwa in einer Buchhandlung: "Se ham Matura. Se san mir zu teuer."

Ihre vier Hörspiele Berechtigte Fragen, eine Auftragsarbeit des Süddeutschen Rundfunks, wurden bis heute nicht im ORF-Radio gesendet. 1973 erschienen sie als Band der edition literaturproduzenten. Mit Mutter, Kind und Ehemann Gerald Bisinger teilte sich Elfriede Gerstl daher Anfang der Sechziger Zimmer-Küche-Kabinett. Grund genug, mit 10 DM bestückt nach Berlin zu fahren, wo bereits Oswald Wiener im Exil wartete, und dort auf Glück und billige Wohnungen zu hoffen.

Ein Fünf-Jahres-Ausflug, von dem sie den grandiosen Roman Spielräume mitbrachte: An Konrad Bayers sechstem sinn und Oswald Wieners verbesserung von mitteleuropa geschulte, spielerisch experimentelle Prosa um die Protagonistin Grit und deren Künstlerfreunde in Berlin und Wien. 99 Seiten, prall gefüllt mit klugen und klügsten Sätzen – und viel Witz.

Überleben in Wien

Selbstmitleid, so viel kann als gesichert gelten, ist Elfriede Gerstls Sache rein gar nicht. Über ihre Kindheit hat sie kaum je mehr als einige Sätze geäußert: Nur durch einen Trick ihrer Mutter entging die jüdische Tochter eines Zahnarztes dem zur Deportation bereitstehenden Lastwagen. Jahrelang überlebten Mutter und Tochter hinter Rolläden in leeren Wohnungen in Wien. "Schlimm war, dass wir so leise sein mussten (man konnte fast nur auf dem Bett liegen), und dass es zum Lesen der wenigen Bücher (z.B. Lederstrumpf und Schillers Balladen) gar so dämmrig war. Nur an richtig sonnigen Tagen fiel ausreichend Licht durch die Löcher in dem Rouleau" schrieb sie nüchtern über die tödliche Bedrohung dieser Zeit.

Entschädigungen für geraubten großbürgerlichen Besitz sah die Österreichische Republik der Fünfzigerjahre nicht vor. "sieben mal wurde unsere einreichung für eine gemeindewohnung abgelehnt, beim achten mal kam ein angebot für kagran, da waren wir schon in berlin. niemand kann behaupten, dass mich das demokratische nachkriegsösterreich in irgendeiner weise bevorzugt hätte", schrieb sie dazu einmal trocken.

Lieber kein Selbstmitleid also. Stattdessen Liebe für Menschen, die ihr nahe stehen: für ihre Tochter etwa und die zwei Enkel, Anita und Peter, denen sie das hinreißende, von Angelika Kaufmann illustrierte, Buch die fliegende frieda schrieb und widmete.

Und eine Liebe für das Schöne. Für schöne Kleider beispielsweise, die Elfriede Gerstl sammelt und trägt. Kleider der Zwanziger-, auch der Dreißiger- und Vierzigerjahre, der Fünfziger ...

Eine Liebe, die gebieterisch Raum fordert. Bis heute gegnügt ihr für die eigene, zarte Person eine 47-Quadratmeter-Wohnung. Ihre Hüte, Blusen und Mäntel logieren auf 90 Quadratmetern. Einmal monatlich lädt sie Freundinnen dort zum Jour fixe. Bei einem Glaserl Wein werden die kostbaren Sammelstücke probiert – oder großzügig verschenkt.

Kleiderflug

Weshalb zumindest ihren Lesern das schönste Geschenk vielleicht Batya Horn macht, die Verlegerin der edition splitter: Pünktlich erscheint eine erweiterte Neuauflage des in kostbaren Silberglanz gehüllten Bandes Kleiderflug. Schreiben – Sammeln – Lebensräume, in dem Elfriede Gerstl sechs Lebensjahrzehnte entlang der Kleiderliebe in ein Langgedicht schrieb: "Echte Kunstseide: gut gekleidet – das entscheidet. / Wie gesagt zum Glück gehört Chic."

Am kommenden Donnerstag, dem 21. Juni, um 18.30 Uhr im Jüdischen Museum liest Elfriede Gerstl aus dem Band. Auch das ein Geschenk. Wieder mal von ihr für uns. (Cornelia Niedermeier/ DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.06.2007)