Es war dieses Vermächtnis mit dem Titel "Ein letztes Wort", das auch Christoph Kardinal Schönborn als Ausgangspunkt seiner Predigt während des Requiems wählte. Auch sie drehte sich ganz um jenen Begriff, der zum Leitmotiv der Trauerfeierlichkeiten zur Beisetzung von Ex-Bundespräsident Kurt Waldheim wurde: Versöhnung.
Schließlich hatte Waldheim in seinem Abschiedsbrief seine Kritiker darum gebeten. "Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist", zitierte der Kardinal aus der Bergpredigt. Die sei als "unbedingter Dauerauftrag zu Versöhnung" zu sehen.
Der Stephansdom, von der Exekutive mit Stahlgittern weiträumig abgeriegelt, hatte sich kurz vor neun nur zögerlich gefüllt. Bunt gekleidete Touristen, neugierig geworden durch den Auflauf vor dem Haupttor, mischten sich unter die Trauergäste. Freunde, Verwandte und die Repräsentanten saßen im vorderen Teil des Doms, hinten nahm das "Volk" Platz - schließlich hatte sich Waldheim zum Abschied einen Gottesdienst als "Volksmesse" gewünscht.
Projektionsfläche
Die Regierung erschien vollständig bis auf Kanzler Alfred Gusenbauer, der erst in den Morgenstunden vom Gipfel aus Brüssel heimgekehrt war. Er verabschiedete sich zur Mittagszeit am Ballhausplatz, der zweiten Station des Trauerkonvois, vom Altbundespräsidenten. Ein weiterer Stopp in der UNO für den Ex-UNO-Generalsekretär, dann erfolgte die Beisetzung in der Präsidentengruft am Wiener Zentralfriedhof.
Es lag am Agnostiker Bundespräsident Heinz Fischer, die historische Rolle Waldheims noch einmal zu thematisieren und Schönborns durch und durch christliche Versöhnungsbitte in einen weltlichen Kontext zu setzen. Fischer beschrieb den Toten als "Projektionsfläche für schlechtes Gewissen im Zusammenhang mit unserem Umgang mit der NS-Zeit", um noch einmal auf die umstrittensten Worte des Toten zu sprechen zu kommen: Jene von der "Pflichterfüllung".
"Wir müssen eingestehen, wie wenig Respekt wir die längste Zeit gerade jenen erwiesen haben, die sich dieser Pflichterfüllung entzogen haben oder zu entziehen versuchten", gab er zu bedenken. Ein Wort, gerichtet auch an die zahlreich im Stephansdom erschienen Vertreter des dritten Lagers, die sich gegen Zahlungen für Wehrdienstverweigerer gestemmt hatten. Spätes Vermächtnis
Während Fischers Rede wurde vielleicht am deutlichsten, dass dieses Begräbnis mehr als der routinemäßig organisierte Staatstrauerakt für einen Ex-Präsidenten war: Es war auch der Versuch, ein umstrittenes Kapitel österreichische Zeitgeschichte offiziell mit einem jüngsten Akt zu versehen.
Bis zuletzt war es Waldheim schwer gefallen, die richtigen Worte zu finden. Er hatte von Fehlern gesprochen, gleichzeitig aber immer wieder seinen zögerlichen Umgang mit seiner eigenen Geschichte, sich nicht erinnern zu wollen oder zu können, versucht zu verteidigen und zu rationalisieren.
Sein Vermächtnis - das, wie Peter Rabl im Kurier richtig bemerkte, in der Form in seiner "Authentizität durch das Fehlen einer Unterschrift und des Datums eingeschränkt" und in dem "in vielen Formulierungen die Handschrift des langjährigen Ghostwriters unübersehbar" ist -, dieses Vermächtnis wurde nun quasi zum Drehbuch für den jüngsten, in der Hoffnung vieler Anhänger Waldheims vielleicht auch letzten Akt des österreichischen Schaustücks namens Waldheim.
Fischer nahm ebenso Bezug darauf: "Auch der nunmehr verstorbene Altbundespräsident hat dazugelernt. Er hat berührende letzte Worte zu Papier gebracht, er hat Fehler einbekannt und er hat vor allem seine Hand auch in Richtung seiner Kritiker und Gegner ausgestreckt. Er hat Versöhnung angestrebt. Ich plädiere dafür, diese Hand nicht auszuschlagen."
Nachsatz: "Und ich plädiere für weitere ernsthafte und gemeinsame Anstrengungen zum Zwecke einer um Objektivität bemühten Aufarbeitung der Grauzonen unserer jüngeren Geschichte."
Symbol bis zuletzt
Hunderte Zaungäste säumten schließlich Waldheims letzten Weg auf dem Wiener Zentralfriedhof, die meisten von ihnen älterer Semester. Während einige ihren Enkelkindern eine kleine Geschichtsstunde gaben oder versuchten, möglichst viel von dem Ereignis zu erspähen, standen manche einfach nur abseits. Und trauerten.