Das Hotel auf dem Gelände des Weinguts Marques de Riscal.

Foto: Marques de Riscal
Grafik: Der Standard
Mit surrendem Geräusch schließen sich die Türen. Estibaliz drückt auf den untersten Knopf. In Windeseile rast die gläserne Liftkabine ins achte Untergeschoss hinab. "Bitte hier entlang." Adrettes Kostüm, zurückgesteckte Haare, eine Stimme, die weiß, was sie will: "Und beachten Sie, dass das Fotografieren hier unten strengstens verboten ist".

In 32 Meter Tiefe ist es plötzlich eiskalt. Es riecht nach futuristischer Metrostation, nach Fort Knox, nach einem geheimen Versuchslabor, in dem Q gleich seine neuesten Errungenschaft vorführen wird. Zwischen gigantischen Betonsäulen stöckelt die strenge Miss Moneypenny quer durch den Raum.

Unzählige Stahltanks und Eichenfässer sind meterhoch gestapelt. In ihren fetten Bäuchen schlummern edle Tropfen roten und weißen Weines. "Wir produzieren 800.000 Flaschen pro Jahr", sagt Estibaliz mit beinahe britischem Understatement, "damit sind wir ein vergleichsweise kleines Weingut für diese Gegend."

Wie viele andere Weingüter in Rioja hat sich auch die Bodega Baigorri in der Ortschaft Samaniego zu einem regelrechten Luxustempel gemausert. Nationale und internationale Architekten von Rang und Namen wurden hergeholt, um ihre kühnsten Träume kess und unverfroren in die Landschaft zu stellen.

Die Bodega Baigorri, ein Werk des spanischen Architekten Iñaki Aspiazu, ist eine Kristallbox inmitten linierter Weingärten. Dass sich unter dem zukunftsträchtigen Besucherraum eine Hightech-Maschinerie auf sieben Stockwerken verbirgt, lässt sich beim besten Willen nicht erahnen. Doch der Abgang in die Tiefe hat einen guten Grund. "Die Schwerkraft als Pfad", nennt Weinbauer Jesús Baigorri sein Konzept ganz stolz, "indem das Weingut in die Tiefe gebaut ist und der Wein einzig und allein der Schwerkraft folgt, können wir auf Pumpen, Schläuche und Maschinen aller Art verzichten." Am Ende kommt's der Traube zugute: Sie wird geliefert, plumpst ein paar Meter in die Tiefe, um dort gepresst zu werden und bahnt sich ihren Weg anschließend durch die verschiedensten Tanks und Stockwerke. Jahre später wird der Wein im untersten Geschoß dann in Flaschen abgefüllt, etikettiert und auf Weltreise geschickt.

Rioja zählt zu den fruchtbarsten Gegenden der Iberischen Halbinsel. Unter Sommeliers und Gourmets gilt die südlichste Spitze des Baskenlandes schon seit langer Zeit als gastronomische Hochburg - an kaum einem anderen Ort in Spanien kann man so gut essen (und trinken) wie hier.

Klassischer Wein und kreativ designte Cuvées stehen hier ebenso auf der Speisekarte wie deftige Bohnengerichte neben luftig-schaumigen Experimenten aus der molekularen Küche: karamellisierter Hummer, der mit einem aufgedonnerten Knoblauch-Schäumchen daherkommt, und pochierte Eier, in deren Inneren plötzlich gehobelte Trüffelspäne zum Vorschein kommen.

Die Herren, die diese Gerichte auf den Teller zaubern, sind Francis Paniego und José Ramón Piñeiro. Die einstigen Schüler des großen Molekularmeisters Ferran Adría kochen heute im Restaurant der Bodega Marqués de Riscal um die Gunst der weit gereisten Gäste. Der Jüngere der beiden, Piñeiro, ist gerade 26 Jahre alt.

Doch die anspruchsvolle Küche ist nur das Tüpfelchen auf dem I. Denn wie die Bodega Baigorri setzt auch das altehrwürdige Weingut Marqués de Riscal, das jedes Jahr neun Millionen Flaschen produziert, auf die Architekturkarte. Vor ein paar Jahren lud man den amerikanischen Architekten Frank O. Gehry nach Elciego. Ganz nach dem Motto "Was in Bilbao funktioniert, das geht auch in Rioja" wurde Gehry um einen Entwurf für ein Hotel auf dem Gelände der Bodega gebeten. Es heißt, nicht zuletzt habe man ihn mit einem edlen Tropfen seines Jahrgangs bezirzt. Und wir sprechen immerhin vom Jahre 1929.

Die Einwohner der 900-Seelen-Gemeinde haben nur einen Namen für das Ding - und nennen es schlichtweg "la cosa". Atemberaubend winden sich farbige Edelstahlbänder um das Hotel und schnalzen wie volltrunkene Zungen in die Landschaft. Die drei Farben Rosé, Silber und Gold sollen an die klassische Gran-Reserva-Flasche erinnern, die die Bodega Marqués de Riscal traditionellerweise in einem güldenen Drahtnetz verlässt. Von der Flasche bis zur Architektur hat man es sichtlich verstanden, dem Corporate Design bis ins letzte Detail zu frönen.

"Gehry ist in der Lage, mit seinen Bauten Emotionen zu transportieren", erzählen die beiden Pressesprecherinnen Vanessa Ferrer und Ainara de Dios López, "und deshalb haben wir uns für ihn entschieden." War das der einzige Grund? Na ja. Seit dem Guggenheim-Museum wisse man über Gehrys Talent Bescheid. "Ich brauche Ihnen nichts zu verheimlichen. Dieser Mann hat einfach das Potenzial, ganze Städte aus dem Dornröschenschlaf zu reißen."

Ob sich die Investition von 80 Millionen Euro, die in die Sanierung der alten Lagerhallen und ins neue Starwood-Luxushotel geflossen sind, gelohnt hat? "Früher hatten wir in der Bodega um die 7000 Besucher pro Jahr", erzählt López, "seit der Fertigstellung haben wir 3000 Besucher pro Monat." Das nennt sich Bilbao-Effekt.

Das Kalkül mit dem aufsehenerregenden Ungetüm von Gehry ist jedenfalls aufgegangen: "Der Andrang an Schaulustigen war so groß, dass wir das Gelände mittlerweile von Sicherheitspersonal bewachen lassen." Heute ist der Zutritt nur nach Voranmeldung möglich.

Selbst der größte Gehry-Feind wird über die perfekte Symbiose von Tradition und 21. Jahrhundert kein böses Wort verlieren können. Wie Stanniolpapier funkelt die stählerne Haut der Bodega in der Sonne. Schon von Weitem tanzen die Reflexionen auf dem Horizont und betören den Autofahrer.

Doch Rioja wäre nicht Rioja, wenn nicht einige Kilometer weiter bereits der größte Konkurrent lauerte. Die Bodega Ysios in Laguardia produziert zwar nur läppische 1,5 Millionen Flaschen jährlich, dafür gehört Ysios zur riesigen Domecq-Gruppe, einem Zusammenschluss aus insgesamt zwölf Weingütern.

Diego Pinilla, Geschäftsführer der Bodega Ysios, setze in diesem Falle auf den größten Stolz Spaniens - auf den Architekten Santiago Calatrava. Die unverwechselbare Welle ziert nicht nur den Blick in die Weingärten, sondern auch die elliptische Weinetikette, die für Ysios so typisch ist. Calatrava ist eine Vermarktungskanone. In die Sackgasse zur Bodega Ysios verirren sich mit Abstand die meisten Reisebusse: Architekturverbände aus der Schweiz, jung gebliebene Pensionisten aus Frankreich, wissbegierige Studenten diverser Weinakademien.

Die spanischen Weinbauern befinden sich in einem riesigen Wettstreit. Ihre Waffe ist die zeitgenössische Architektur. Der viel zitierte Architekturtrend, der sich im Vergleich über die österreichischen Weingüter ausgebreitet hat, sieht dagegen mickrig aus. "Hoch qualitative und auffällige Architektur hat ein gutes Image", sagt Vanessa Ferrer von der Bodega Marqués de Riscal, "letztlich schlägt sich dieses Image in unserem Umsatz nieder - und das zählt." In diesem Punkt sei die Power von Architektur nicht zu unterschätzen. War Rioja bis vor kurzem lediglich die Hochburg von Weinliebhabern und Gourmets, so ziehen die jüngsten Marketingbemühungen Touristenscharen aller Herren Länder an. Schon gibt es im Internet "Reiseangebote für Architekturinteressierte". (Wojciech Czaja/Der Standard/Rondo/15.6.2007)