Bis vor wenigen Wochen war seine hagere, vornübergebeugte Gestalt bei bedeutsamen Anlässen noch zu sehen: Wichtige Nationalratssitzungen verfolgte Kurt Waldheim vom Balkon aus; beim hochkarätigen Treffen von ehemaligen Staats- und Regierungschefs in der Wiener Hofburg saß der Altbundespräsident in deren Kreis.

Die nach ihm benannte Affäre, die 1986 begann, das politische Österreich bis zum Zerreißen anspannte und international Wellen schlug, ist ein Teil der Geschichte geworden. Waldheims "Vergesslichkeit" über seine Rolle im Zweiten Weltkrieg hat nach Meinung zahlreicher Historiker die öffentliche Debatte über Österreichs Identität angestoßen, nach Waldheims Präsidentschaft (1986 bis 1991) zum Eingeständnis der Mitverantwortung von Österreichern für Verbrechen in der NS-Zeit und zu Entschädigungs- und Restitutionsmaßnahmen geführt

Tatsächlich hat auch Waldheim selbst, der viele seiner Gegenspieler von damals überlebte, in Interviews zum 20. Jahrestag des Konflikts eingeräumt, dass sich damals der Mythos auflöste, Österreicher seien in der NS-Zeit nur Opfer gewesen. "Es gab die Opfer und die Täter", sagte Waldheim, der es freilich bis zum Schluss nicht verstehen konnte, warum gerade er zum Symbol für diese Debatte um Nazis und Kriegsverbrecher geworden ist.

Wehrmacht

Es war 1986, als im Präsidentschaftswahlkampf über den von der ÖVP nominierten früheren UNO-Generalsekretär Waldheim Gerüchte über dessen Vergangenheit zirkulierten. Der profil-Journalist Hubertus Czernin holte sich bei Waldheim die Erlaubnis, in Archiven dessen Wehrstammkarte einzusehen. Er stellte fest, dass Waldheim in der Wehrmacht am Balkan gedient hatte, was in seiner Autobiografie "Im Glaspalast der Weltpolitik" nicht vorkam.

Der junge Oberleutnant diente bei einer Geheimdienstabteilung der Heeresgruppe E, die in Kriegsverbrechen verwickelt war. Mit der Verantwortung, dass er davon nichts wisse und nur seine "Pflicht" getan habe, trat Waldheim in Österreich auch eine Debatte zwischen den Generationen los. Kriegsteilnehmer fühlten sich in ihrer Opferrolle bestätigt, Jüngere waren fassungslos.

In New York, wo eine Generation junger jüdischer Akademiker auf die Aufklärung von Naziverbrechen drängte, wurde Waldheim zu deren Symbol und mit Einreiseverbot in die USA belegt.

"Jetzt erst recht"

Von den Österreichern wurde Waldheim "Jetzt erst recht" gewählt, wobei es aufseiten seiner Unterstützer auch antisemitische Töne gab.

Waldheim versuchte danach immer wieder, seine Rehabilitierung und die Streichung von der "Watchlist" zu erreichen. Schon Anfang 1988 tagte in Wien eine Historikerkommission und stellte fest, dass Waldheim am Balkan keine Befehlsgewalt und wenig Handlungsspielraum besaß.

Wenige Monate später war der Autor dieser Zeilen bei einem Staatsbesuch Waldheims in Saudi-Arabien dabei, der stattfand, als im britischen Privat-TV ein Gerichtsverfahren über Waldheim simuliert wurde. In Saudi-Arabien war es schon spät in der Nacht, als die TV-Richter ihren "Freispruch" bekannt gaben: Am Balkan hätten zwar ungeheure Verbrechen stattgefunden, aus der Nähe lasse sich aber keine Beteiligung ableiten. Waldheim trommelte sofort die mitgereisten Journalisten zusammen und meinte, dass er nun seine Rehabilitierung erwarte. Sie kam damals und auch später nicht. Nur die arabische Presse feierte ihn.

Diktatur

Die Welt hat die Episode weit gehend vergessen, in Österreich bleibt die Erinnerung an einen Mann, der so war, wie viele in diesem Land (und auch in anderen Ländern in Zwangssituation): Sie hatten sich mit der Diktatur arrangiert, um nicht selbst verfolgt zu werden.

Voriges Jahr fand Waldheim aber dann erstmals die Worte, die ihm vieles hätten ersparen können. Statt von Pflichterfüllung zu sprechen, hätte sein "geschätzter Freund" und Vorgänger Rudolf Kirchschläger gesagt, er habe den damaligen Gesetzen gehorcht. (Erhard Stackl/DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2007)