Auf Namensuche: Anna Lea Staudacher.

Foto: DER STANDARD/privat

Auch "Schriftinterferenzen" tragen zur schrittweisen oder drastischen Veränderung von Namen bei, wie Auszüge aus Taufmatriken belegen.

Abb. aus : Staudacher, Öst. Namensforschung, 2004
Was liegt alles in einem Namen? Sehr viel, wie Anna Lea Staudacher festgestellt hat. Sie verfolgt die Namensgebungen und -veränderungen bei Juden und Christen in der Monarchie, bei Findelkindern und Künstlern. Und sie stößt auf drastische Spuren der jeweils herrschenden religiösen und sozialen Normen.

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Im Findelhausprotokoll Nr. 1847 vom 7. Juni 1817 steht, wie Anna Schullerstrasser zu ihrem Namen gekommen ist: Sie wurde "in der Stadt Schullerstrasse No 431 gefunden".

In der Taufmatrik zu St. Stefan vom 28. Jänner 1776 ist über einen zum Katholizismus Konvertierten zu lesen: "Lazarus Löwel, ein Jud, 17 Jahr alt, gebürtig zu Pöching in Böhmen - des Neugetauften Namen sind Wenceslaus Pechinger."

Der Lehramtskandidat Heinrich Knödl, jüdischer Herkunft, stellte 1907 ein Gesuch um Namensänderung in Knödt, da sein Name geeignet sei, "ihn speziell in seinem Lehrberufe dem öffentlichen Spott auszusetzen" - nachzulesen im Niederösterreichischen Landesarchiv. Dort steht auch, dass der Fall "keiner weiteren Erörterung" bedurfte und in wenigen Tagen erledigt wurde.

Anders hingegen wurde 1906, festgehalten im selben Archiv, Ernst Löwy beschieden: Seinem Antrag wurde nicht stattgegeben, weil "die Namensänderung nicht zur Bemäntlung der eigenen Konfession und Irreführung des Publikums dienen soll".

Menschen bekommen aus verschiedenen Gründen Namen zugeschrieben, leben mit ihnen schlecht oder recht, wollen sie leicht oder radikal verändern, werden dabei von Amtswegen unterstützt, toleriert oder behindert. Was sich von der Ferne wie eine Ansammlung von Formalakten und einigen kuriosen Anekdoten anhört, wächst bei genauerem Hinschauen zu einem geradezu dramatischen Stück Sozialgeschichte, das Ursachen und Wirkungen im gesellschaftlichen Gebilde und erst recht in Einzelschicksalen erkennen lässt.

Anna Lea Staudacher hat sehr genau hingeschaut. Die Historikerin arbeitet an der Uni Wien und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an einem komplexen Themengebiet, das Namenkunde im weiteren Sinn umfasst (inklusive Konvertiten, Findelkindern, Namensveränderungen und -wechsel), ebenso jüdische Geschichte, präzise Identifikation und Interpretation von archivarischem Material, Schriftkunde und Paläografie, das heißt die Beschäftigung mit der Authentizität von alten Schriften.

"Namen", sagt Staudacher, "lassen Rückschlüsse auf die nationale Herkunft des Gesuchstellers und damit auch auf seine Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich verachteten Minderheit zu. Sie können "assoziativ auf Intelligenz und auch - zumeist negative - Charaktereigenschaften verweisen". Und sie können ihre Träger nicht nur der Lächerlichkeit und dem Spott der Mitmenschen ausliefern, "sondern in dieser Funktion der Ausgrenzung auch deren Existenz und Fortkommen gefährden".

Staudacher promovierte über Sozialrevolutionäre und Anarchisten im Österreich des späten 19. Jahrhunderts. Dabei beschäftigte sie sich näher mit der diesbezüglichen Rolle polnischer Juden. Nach einem Stipendium des Wissenschaftsministeriums am Historischen Institut beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom vertiefte sie sich in die Materie; 1989 begann sie eine Mitarbeit an der Austrian Jewish Biography ATJB des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich, seit 1996 ist sie am Akademie-Institut "Österreichisches Biographisches Lexikon".

Sie legte eine Datenbank an, und damit begannen die Fragen: Wer war überhaupt Jude im habsburgischen Österreich? Wie war die Quellenlage in Cis- und Transleithanien, wo fand man Eintragungen, wo die Religionsaustritte und Konversionen?

Im Laufe ihrer Forschung drang Staudacher immer tiefer in eine Materie ein, die ohne Bezug zur Zeitgeschichte, zu den toleranten bis diskriminierenden Strömungen und Eckdaten überhaupt nicht zu verstehen ist.

Zum Beispiel das Toleranzpatent Josefs II. 1782: Fünf Jahre später hatten die zum Habsburgerreich hinzugekommenen galizischen Juden die Möglichkeit, einen Familiennamen anzunehmen. Wer dann keinen hatte, dem wurde er aufgezwungen. Von daher rührend die abfälligen "Hämenamen", die bis heute Teil der Folklore schlechter Witze sind. "Es waren allerdings nur wenige Beamte", sagt Staudacher, "die sich ein Körberlgeld verschafft haben - die Wohlhabenden konnten sich loskaufen."

Schlechte Witze

Die anderen konnten immerhin eine Änderung beantragen. Ging die zunächst nur bei einer Taufe leicht über die Bühne, war es ab 1868 theoretisch jedermann möglich, eine neue Identität wenigstens auf dem Papier anzunehmen.

Praktisch konnte sich das ein Christ namens Saurüssel ebenso zunutze machen wie ein Jude namens Nierenstein. Angesichts des wachsenden Antisemitismus um die Jahrhundertwende war jedoch schon der Name Kohn - Protagonist auch eines spöttischen Gassenhauers - ein Stigma und wurde daher gerne abgelegt. Diesbezügliche Ansuchen wurden aber von antisemitischen Beamten ebenso gerne zurückgewiesen. Wer dennoch durchkam, hatte die Wahl zwischen geringfügigen (aus Levi wird Löwe) und drastischen, geradzu "völkischen" Veränderungen (aus Pollatschek wird Nordenthal).

Wie groß der Anteil solcher Änderungen war, lässt sich aufgrund der unvollständigen Quellenlage nur schwer schätzen. Im Zuge ihrer Recherchen legte die Historikerin aber immer verwickeltere Details zu Namensgebungen und -änderungen frei. Etwa die Zwangstaufe weggelegter jüdischer Kinder bei gleichzeitiger Stigamtisierung; oder die schrittweisen Veränderungen von Namen durch falsche Lesarten der Kurrentschrift, schlampiges Abschreiben oder Zuhören beim Protokollieren. So wurde aus Bunzl Penzel und aus Brinitzer Prinitza. Einer Familie wurde es nach Kitzeles - Kitzales - Kiczales - Kiczalas zu dumm: Sie ließ ihren Namen auf Schmidt ändern.

Neben dem Antisemitismus ortet Staudacher ein zweites Hauptmotiv für Änderungen, nachzuweisen bei vielen Eheschließungen: "die Liebe". (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 13. Juni 2007)