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Albin Kurti bei einer Demonstration für Selbstbestimmung im Jahr 2005.

Foto: AP/Visar Kryeziu

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Unterstützer der Bewegung "Vetevendosje" protestieren im März 2007 gegen die Inhaftierung von Albin Kurti.

Foto: REUTERS/Hazir Reka

Verhaftung auf einer Demonstration.

Albin Kurti, Vorsitzender der politischen Bewegung "Vetevendosje" (Bewegung für Selbstbestimmung) steht derzeit in Pristina unter Hausarrest. Er ist als Hauptorganisator der Proteste im Kosovo angeklagt, bei denen im Februar zwei Menschen ums Leben gekommen sind. "Vollkommen zu Unrecht", behauptet Kurti im derStandard.at- Interview mit Manuela Honsig-Erlenburg und klagt an, dass diejenigen, die die tödlichen Gummigeschosse abgefeuert haben, nicht belangt werden. Seiner Meinung nach gehe es den Behörden nur darum, ihn politisch aus dem Verkehr zu ziehen.

"Vetevendosje" werde weiter auf das Recht auf Selbstbestimmung pochen und will Ende Juni erneut zu Demonstrationen aufrufen, erklärt Kurti am Telefon, und beteuert, als einzige wahre Opposition im Kosovo eine wichtige demokratiepolitische Rolle zu spielen.

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derStandard.at: Anfang Juni mussten Sie sich erstmals vor Gericht wegen der Eskalationen der Februar-Demos verantworten. Wie ist die erste Verhandlungsrunde ausgegangen?

Kurti: Ich stehe immer noch unter Hausarrest. Zwei Polizisten bewachen die Tür meines Appartments, einige weitere das Gebäude. Ich wurde aus dem Gefängnis entlassen, weil der Eindruck erweckt werden soll, dass ich ohnehin frei bin. Man will mit meiner Anklage das eigentliche Verbrechen vertuschen. Und zwar, dass rumänische Polizeikräfte der UNMIK (UN-Mission in Kosovo, Anm.) die tödlichen Geschosse abgefeuert haben. Die sind mittlerweile längst wieder in ihrem Land während hier die Opfer verfolgt werden. Das eigentliche Ziel der Verantwortlichen ist es, mich aus dem politischen Prozess in Kosova zu entfernen.

Weder die Ermittler noch die Richter haben während der Verhandlungen übrigens tatsächlich über den Verhandlungsgegenstand gesprochen. Ihre einzige Sorge schien zu sein, was ich in Zukunft vorhabe. Sie sahen mich als Bedrohung, der 10. Februar (Anm. Datum der Ausschreitungen) war von Anfang an ein Vorwand, um mich festnehmen zu können.

derStandard.at: Warum werden Sie Ihrer Meinung nach als Bedrohung betrachtet?

Kurti: Die "Bewegung für Selbstbestimmung" ist die einzige Opposition in Kosova. Die Parteien, die in Kosova maßgeblich sind, sind längst von UNMIK vereinahmt, das Verhandlungsteam auf Linie gebracht. Die UNMIK will keine oppositionelle Stimme, wir sind im Land ein Hindernis.

derStandard.at: Auch abseits der Geschehnisse des 10. Februar wird Ihnen allerdings einiges vorgeworfen. Sie werden auch als "Terrorist" bezeichnet und sollen zum Beispiel gute Verbindungen zur UCK (albanische paramilitärische Organisation, aufgelöst 1999, Anm.) gehabt haben. Wie stehen Sie dazu?

Kurti: Ich war nie ein Terrorist. Im Gegenteil, ich habe den Terrorismus des Milosevic-Regimes bekämpft. 1997 und 1998 habe ich Demonstrationen gegen das Regime von Milosevic organisiert. Deshalb saß ich auch mehr als eineinhalb Jahre in einem serbischen Gefängnis. Und nochmals: Unsere Demonstrationen sind friedlich. Erst die gewalttätigen Interventionen der Polizei lassen die Situation eskalieren. Diese Anschuldigungen werden erhoben, um meinen Prozess hinauszuzögern.

derStandard.at: Auch die UCK-Verbindungen reine Fantasie?

Kurti: Nach 1998 habe ich sechs Monate lang als Sekretär für das Büro von Adem Demaci (bis März 1999 Sprecher der UCK und im Februar bei den Demos, Anm.) gearbeitet. In dieser Zeit habe ich mich schon um eine gute politische Lösung für Kosova bemüht.

derStandard.at: Die Bewegung "Vetevendosje" stellt sich vehement gegen den Ahtisaari-Vorschlag einer international überwachten Unabhängigkeit. Was ist Ihre Alternative und gibt es überhaupt eine?

Kurti: Wir wollen eine Deadline für die UNMIK-Herrschaft im Kosovo und ein Referendum. Die Zukunft Kosovas darf einfach nicht einer Handvoll Politiker überlassen werden, die Bevölkerung will selbst entschieden. Kosova war das ganze 20. Jahrhundert hindurch ein Opfer Serbiens und jetzt sollen wir einer Lösung zustimmen, die aus Kosova wieder ein volkommen funktionsuntüchtiges Land macht?

Eine "überwachte Unabhängigkeit" bedeutet nur Unabhängigkeit für die Überwacher. UNMIK würde nach der Umsetzung des Ahtisaari-Plans de facto durch die EU ersetzt, die danach die Oberbefehlsmacht hat. Und wieder würden Polizei, Wirtschaft und Gerichtssystem fremdkontrolliert. Der neue Oberbefehlshaber stünden wieder über der Regierung, den Abgeordneten und auch über dem Gesetz. Das ist nicht demokratisch. Im günstigsten Fall werden wir zu einem zweiten Bosnien. Das wollen wir aber nicht.

derStandard.at: Die internationale Gemeinschaft sorgt sich um den Schutz der serbischen Minderheit.

Kurti: Meiner Meinung nach wird sich mit einer selbstständigen Unabhängigkeit auch das Verhältnis zwischen Albanern und Serben bessern. Die Qualität der Beziehung zwischen Serben und Albanern lässt sich nämlich am Grad der politischen Entfernung zu Belgrad messen. Die schlechteste Atmosphäre zwischen Albanern und Serben herrschte während des Milosevic-Regimes, als Kosova unter vollkommener Kontrolle Belgrads stand. Sobald Serbien in dieser Hinsicht nicht mehr als Bedrohung gesehen wird, werden die Probleme allmählich verschwinden. Mit den anderen Minderheiten wie mit Bosniern oder Türken gibt es auch keine Spannungen. Und zwar deswegen nicht, weil weder Bosnien noch die Türkei uns besetzen wollen.

derStandard.at: Ein internationales Monitoring ist in Ihren Augen also nicht nötig?

Kurti: Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn internationale Organisationen die Rechte der Minderheiten in Kosova überwachen, nur die UNMIK wollen wir nicht hier haben. Für gute Beziehungen zwischen den Gruppen ist außerdem wirtschaftliche Entwicklung unverzichtbar. Mit der hier herrschenden Arbeitslosigkeit und Armut werden selbst Brüder zu Feinden. Wir sind eine der ärmsten Regionen in Europa und haben gleichzeitig einen der offensten Märkte. Das ist die Schuld der UNMIK, die sich überhaupt nicht um eine Finanzpolitik gekümmert hat, die die ansässige Wirtschaft stärken könnte.

derStandard.at: Die wirtschaftliche Situation wird sich allerdings nicht über Nacht verbessern.

Kurti: Wir sind jetzt ärmer als direkt nach dem Krieg. Niemand investiert hier, solange Kosova nicht unabhängig ist. Kosova hat viele Experten und Fachkräfte, die derzeit allerdings im Ausland arbeiten. Ich denke, dass diese Leute zurückkommen würden, sobald Kosova ein eigenständiger Staat ist.

derStandard.at: Glauben Sie nicht, dass die Erwartungen, die man in die Unabhängigkeit setzt, zu hoch sind?

Kurti: Die Erwartungen sind sehr hoch, das stimmt. Das liegt auch daran, dass die Politiker - statt mit der Bevölkerung darüber zu sprechen - mit serbischen Regierungsvertretern in Wien oder Belgrad verhandeln und damit die Unabhängigkeit aufs Spiel setzen. Damit betrügen sie die Menschen. Ehrliche Verhandlungen können nicht darauf hinauslaufen, dass sich Pristina für eine der beiden Fremdpositionen in den Verhandlungen auf internationaler Ebene entscheiden muss.

derStandard.at: Das Kosovo ist auch abhängig von Geld der EU.

Kurti: EU-Geld fließt zwar nach Kosova, aber nicht in die Entwicklung, sondern in die Bürokratie.

derStandard.at: Wie sehen Sie die Zukunft des Kosovo?

Kurti: Für die unmittelbare Zukunft bin ich eher pessimistisch. Auf lokaler Ebene stecken wir in der Situation mit UNMIK fest, die unsere Politiker korrumpiert hat. Auf der Ebene des UN-Sicherheitsrates sind wir der Spielball der unterschiedlichen Interessen. Es ist Zeit, dass die Bürger von Kosova sagen, was sie möchten. Der beste Weg dafür sind friedliche Demonstrationen. Wir wollen den internationalen Bürokraten und auch denen vor Ort sagen, dass wir uns nicht mundtot machen lassen.

derStandard.at: Wie sehen Sie die Rolle Russlands, das ja als Schutzmacht Serbiens gilt und nun im UN-Sicherheitsrat mit einem Veto gegen den Ahtisaari-Plan droht?

Kurti: Russland wird meiner Meinung nach sein Veto-Recht auch nutzen. Nur eine Anmerkung: Im April 1999 gab Milosevic der New York Times ein Interview in dem er sagte, wenn er internationale Truppen in Kosova akzeptiere, dann nur die der UNO. Er wusste genau, dass eine Lösung des Konfliktes im UN-Sicherheitsrat von Russland blockiert werden würde. Heute haben wir immer noch die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen.

derStandard.at: Sie meinten, Sie würden sich nicht mundtot machen lassen. Was sind die nächsten Schritte von "Vetevendosje"?

Kurti: Wir werden am 30. Juni die nächste Demonstration organisieren, um gegen die Verhandlungen zu protestieren. Wir wollen die Diktatoren draußen haben und wir wollen ein Referendum. Unsere Bewegung will der Welt sagen, was die Leute hier wollen, nämlich die Unabhängigkeit. Man kann das nich oft genug betonen.

derStandard.at: Wie weit würden Sie dabei gehen?

Kurti: Die Demonstrationen werden friedvoll sein, falls Sie das ansprechen. Wir werden genügend Ordner haben, die dafür sorgen, dass das Ganze nicht aus dem Ruder läuft und keine Gewalt und Infiltrierung passiert. Wie die Demonstrationen verlaufen werden, hängt aber auch von der Polizei ab. Die Polizeikräfte wissen sehr wohl, wie sie die Leute provozieren können. Wir werden aber alles tun, um Ausschreitungen zu verhindern.

derStandard.at: Können Sie eine Demo aus dem Hausarrest heraus überhaupt organisieren?

Kurti: Ich bin sehr eingeschränkt, aber einige Dinge kann ich tun. Ich kann hier Leute treffen, Internet und Telefon benutzen, bin also im Hausarrest für die Bewegung nützlicher als in der Gefängniszelle. Für mich persönlich ist es aber schlimmer. In der Zelle hatte ich wenigstens meine Ruhe. Hier werde ich ständig beobachtet, jeder der hierher kommt, wird genau überprüft. Das wirkt einschüchternd. Meine Verhandlung wird frühestens im Herbst weitergehen. Wie sie ausgeht, wird wohl von den politischen Entwicklungen abhängen. (derStandard.at/18.6.2007)