Gewalt gegen Frauen ist keine Frage der Herkunft. Meist flüchten die Opfer mit ihren Kindern ins Frauenhaus
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In den letzten Jahren wurden immer mehr Fälle von Gewalt gegen Frauen bekannt - vor allem, weil sie thematisiert wird.

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Wien/St. Pölten - Vier Weißrussinnen binnen zweier Wochen. Alle kamen aus derselben Gegend und suchten kürzlich das Frauenhaus St. Pölten auf, schildert dessen Leiterin Maria Imlinger - sie brachten damit eine scheinbar neue Form von Zwangsheirat ans Tageslicht. Die Frauen waren mit betagten Österreichern verheiratet und mit Eheverträgen ausgestattet, die ihnen etwa gerade 60 Euro Taschengeld pro Monat zustanden.

"Wir vermuten, dass sich die Männer damit eine teure Pflege ersparen wollten", sagt Imlinger. Generell seien Zuwächse von sehr jungen zur Heirat gezwungenen Frauen zu verzeichnen, berichtete die Frauenhaus-Leiterin anlässlich einer von der Medienwerkstatt Wien veranstalteten Diskussion zum Thema Gewalt gegen Frauen.

Auch mehr Angebote für Täter

Zehn Jahre nach Einführung des Gewaltschutzgesetzes habe sich die Situation von Gewaltopfern, zumindest rechtlich gesehen, um einiges verbessert, waren sich Imlinger und Sonja Fiegl, Bezirkspolizeikommandantin von Tulln, einig. Aber auch Tätern stehen heute mehr Therapiemöglichkeiten offen, betonte Heinrich Kraus von der Männerberatungsstelle Wien.

Gab es im Bezirk Tulln vor zwei Jahren noch elf Wegweisungen und Betretungsverbote, waren es 2006 bereits 26. "Die Fallzahlen sind im Steigen begriffen, nicht weil es mehr Gewalt gibt, sondern weil sie mehr thematisiert wird", ist Fiegl überzeugt. Zudem sei das österreichische Recht international beispielgebend, da es Wegweisungen auch schon bei der Androhung von Gewalt ermöglicht. Fiegl: "Die psychische Verfassung der Frauen ist ausschlaggebend."

Dennoch gestaltet sich die Arbeit der Exekutive in ländlichen Gebieten weit schwieriger als in der Stadt. In manchen Bezirken, etwa im Waldviertel, würden fast keine Betretungsverbote ausgesprochen, obwohl es hier wohl kaum weniger Gewalthandlungen gebe, verweist Imlinger darauf, dass sich in kleinen Orten Täter und Exekutivbeamte oft nahe stehen.

Alle Schichten

70 bis 90 Frauen suchen pro Jahr das Frauenhaus St. Pölten auf, für eine Zeitspanne von einer Nacht bis zu einem Jahr, sehr oft mit ihren Kindern. Die Frauen kommen aus allen sozialen Schichten, rund 30 Prozent haben Migrationshintergrund. "Der Boden der Gewalt liegt darin, dass es keine Gleichberechtigung gibt", erläutert Imlinger. "Es ist nicht so, dass sie auf einen individuellen Huscher eines Mannes zurückzuführen ist." Bei Gewalt in der Familie spiele fast immer ökonomischer Druck und Isolierung der Frau eine große Rolle, ob nun das Handy kontrolliert oder der Kontakt mit anderen Menschen eingeschränkt werde bis hin zum regelrechten Einsperren. "Das kommt bei Österreichern genauso vor wie bei Zuwanderern", schildert die Frauenhaus-Leiterin.

Opfer verteidigen Täter

Gewalttätige Männer würden erst ein Unrechtsbewusstsein bekommen, wenn die Exekutive einschreitet. Und die ist immer wieder damit konfrontiert, dass Opfer die Täter verteidigen, wie Bezirkskommandantin Fiegl beteuert. Strafen allein seien jedenfalls zu wenig, betonte der Psychologe Kraus, der bereits 300 Männer betreut hat. Dabei würden sich gewalttätige Männer sehr selten freiwillig bei einer Beratungsstelle melden, sondern eher auf Druck der Frau beziehungsweise auf Anordnung des Gerichts oder des Jugendamtes. Bei 30 Prozent der Männer spiele Gewalt "eine entscheidende Rolle", aber auch Armut und Straffälligkeit seien Risikofaktoren. "Alkohol ist bei häuslicher Gewalt weit überbewertet", meint Imlinger. "Alkohol dient als Ausrede für Täter und für Opfer. Männer, die betrunken schlagen, sind auch nüchtern keine wertschätzenden Partner." (Karin Krichmayr, DER STANDARD Printausgabe, 11.6.2007)