Vollkommen panisch, so wie im Film "Lola rennt". Angst aktiviert Körperkraft, ständige Fehlalarme führen zu psychischen Störungen.

Grafik: MEDSTANDARD

Angststörungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Bei Gefahr wird unser Gehirn zur hochkomplexen Notfallzentrale. Der Befehl lautet: Leben retten, Kampf oder Flucht.

Angstzentrale aktiviert

Die Amygdala (Mandelkern), die "Angstzentrale" im limbischen System, aktiviert das Nervensystem, Stresshormone wie etwa Adrenalin werden ausgeschüttet, alle Energien gebündelt. Schärfste Aufmerksamkeit, Herz und Atmung auf Hochtouren, die Muskulatur in Höchstspannung – der Körper ist bereit, der Gefahr zu entkommen.

"Fehlalarm" Angstörung

Fatalerweise läuft dieses Notfallprogramm auch ab, wenn keine reale Gefahr besteht, sondern eine Angststörung. Als "Fehlalarm" bezeichnet Wenzel Müller im Ratgeber "Wege aus der Angst" die Reaktion der Amygdala auf innere Reize, auf eingebildete Gefahren. Ohne zu wissen, warum, entwickeln Menschen überbordende Ängste.

Panikattackenambulanz

"Wie ein Blitz aus heiterem Himmel tritt plötzlich Angst auf", beschreibt Peter Berger, Leiter der Panikattackenambulanz an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie, die Panikattacken.

Breites Spektrum

"Im Vordergrund stehen körperliche Symptome – Beklemmungsgefühl, Herzklopfen, Herzrasen, es wird einem heiß-kalt, man hat das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen, sterben zu müssen." Bis zu einer halben Stunde kann der Spuk dauern, oft geht die Attacke ohne Intervention vorbei. Kehren die Attacken wieder, spricht man von Panikstörung.

Generalisierte Angststörung

Ähnliche Symptome wie die Panikattacke zeigt die Generalisierte Angststörung. "Sie tritt aber nicht so plötzlich auf, sondern über den ganzen Tag verteilt", erklärt Peter Berger. "Die betroffenen Menschen wachen schon mit Angst auf, hegen alle möglichen Befürchtungen, Arbeit oder Familie betreffend, obwohl kein Grund für diese Ängste besteht." Körperliche Symptome sind vorherrschend: ein flaues Gefühl im Magen, Übelkeit, Rücken- oder Nackenschmerzen, Dauerverspannungen.

Zwei Angsttypen

Die Suche nach den vermeintlich organischen Ursachen treibt die Betroffenen von einem Arzt zum anderen. Diese "besorgte Furcht" zeige sich in einer erhöhten Aktivität der linken Hirnhälfte, während die "erregte Angst" der Panik-Patienten sich in der rechten Hälfte bemerkbar macht, entdeckten Wissenschafter der University of Illinois über Magnetresonanz-Aufnahmen. Die biologische Bestätigung der beiden Angsttypen soll die Effizienz der medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlung verbessern.

Chronisch: Die Angst vor der Angst

Angststörungen können eine folgenschwere Eigendynamik entwickeln, chronisch werden. Peter Berger: "Die Menschen haben Angst vor der Angst, kommen in eine Angstspirale. Sie beginnen Situationen zu vermeiden, die Angst auslösen könnten." Rückzug und Vermeidungsverhalten können Unsicherheit und Ängste aber langfristig verstärken.

Arbeitsunfähigkeit, häufige Krankenstände, Beziehungsprobleme bis hin zur sozialen Isolation sind die Folgen. "Angststörungen sind Einstiegsstörungen in Depressionen, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch", sagt der Linzer Psychologe und Therapeut Hans Morschitzky.

Mögliche Ursachen

Als mögliche Ursachen von Angststörungen gelten Veranlagung, erworbene Einstellungen, biochemische Fehlschaltungen, innere Konflikte, Beziehungsprobleme, negative Kindheitserlebnisse und Traumata.

Macht der Erziehung

"Angststörungen hängen oft mit frühkindlichen Verlassenheits- und Trennungserfahrungen zusammen", sagt Georg Weinländer, Leiter des Department für Psychosomatik in Rankweil/Vorarlberg. Eine Beziehungskrise, das Gefühl, es könnte zu einer Trennung kommen, genüge dann meistens schon als Auslöser.

Weinländers Therapieansatz: "Wir versuchen frühkindliche Erfahrungen aufzudecken, indem wir eine biografische Anamnese unter Berücksichtigung der seelischen Entwicklung machen." Angststörungen würden so für die Betroffenen erklärbar.

"Gesundes Selbstvertrauen

Kann man Angststörungen vorbeugen? Menschen mit "gesundem Selbstvertrauen" schaffen den Umgang mit Ängsten, sagt Hans Morschitzky. Selbstwirksamkeit (self- efficacy), den Glauben, eigenen und Erwartungen anderer entsprechen zu können, gelte es bereits dem kleinen Kind zu vermitteln. Untersuchungen zeigten, dass Personen mit starkem Glauben an die eigene Kompetenz und Effizienz größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen und mehr Erfolg im Berufsleben aufweisen.
(Jutta Berger/MEDSTANDARD/11.06.2007)