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Regisseur Richard Linklater: "Das Leben entfaltet sich nicht linear."

Foto: Getty Images
Wien - Innerhalb des nur vage zu begrenzenden Felds des US-Independent-Kinos ist Richard Linklater eine der wenigen fixen Größen. Zum einen liegt das an Slacker, seinem 1991 mit nicht viel mehr als Taschengeld und dem Scheck eines deutschen TV-Senders finanzierten Film: Er gab einer Generation von lieber endlos in Cafés und Pubs plaudernden, denn aktiv zur Tat schreitenden Menschen pointierten Ausdruck - und wurde damit zum Prototyp genau jenes randständigen US-Kinos, das seitdem ständig für tot erklärt und ebenso oft wieder neu entdeckt wird.

Zum anderen bleibt Linklater einfach unberechenbar. Navigierend zwischen studionahen Arbeiten wie der Jack-Black-Komödie School of Rock - seinem bisher größten kommerziellen Erfolg -, einem Film über die Verstrickungen der Lebensmittelindustrie, Fast Food Nation, oder A Scanner Darkly, einer im Rotoskopie-Verfahren animierten Philip-K.-Dick-Adaption, vertritt er glaubwürdig den Typus des Writer-Directors, der sich an persönlichen Vorlieben hält. Lieber mit Low-Budget-Filmen das Recht auf den Final-Cut behalten, als sich in anonymen Großproduktionen verausgaben - diese Devise macht wohl erst die wahre Indie-Mentalität aus.

Wie Linklater seine Stoffe findet, die stets auf konkrete Lebensrealitäten verweisen, darauf will er im Standard-Interview nur ausweichend antworten: "Es ist kein super- intellektueller Zugang, sondern ein eher instinktiver. Aber es gibt keinen Grenzwert für das, was für mich filmreif ist. Das lässt mir auch die Freiheit, über jedes Thema einen Film machen zu können." Im Falle von Fast Food Nation war Eric Schlossers Sachbuch-Bestseller vor allem ökonomisch entscheidend: Linklater wollte schon lange einen Film über Industriearbeit machen, fand aber keinen Finanzier.

"Niemand will in Hollywood sehen, wie Menschen arbeiten", sagt Linklater und verweist auf seine eigene Wurzeln im Arbeitermilieu von Texas, wo er noch immer lebt. "Ich kenne diese Industrie-Jobs und habe selbst auf einer Ölraffinerie gearbeitet. Mir geht es immer darum, meine eigenen Gefühle und Überlegungen zu solchen Themenkomplexen darzustellen. Dass das in Hollywood selten geschieht, liegt vielleicht daran, dass die wenigstens Menschen dort einen solchen biografischen Hintergrund haben. Es ist eine OberschichtWelt, die die Medien kontrolliert. Keine Freaks wie ich, die sich irgendwie durchschlagen."

Es gibt im gegenwärtigen US-Kinos nicht viele Filmemacher, die so nahe an den Verwerfungen der Gegenwart bleiben, ohne das eitel auf ihre Fahnen heften zu müssen. Linklaters Filme sind keine Themenfilme und nie allzu erpicht darauf, aus dem eigenen Milieu herauszuschreiten, um bedeutungsvoller zu erscheinen. Selbst in A Scanner Dark-ly bleibt die Perspektive auf eine Gruppe von Menschen beschränkt, die sich im Alltag verliert und über keine Sicherheiten mehr verfügt.

Abseits des Mainstreams

"Die Graphic Novel ist eigentlich eine Art Gettoliteratur, immer ein wenig abseits vom Mainstream. Bei mir hängen die Figuren herum, reden oder reparieren Autos, das hat mit den Blockbustern dieses Genres sehr wenig zu tun. Und Philip K. Dick schrieb immer darüber, wie Menschen durch veränderte Realitäten affiziert werden. Die Technologie stand nicht im Vordergrund. In A Scanner Darkly erzählt er sehr persönlich von seinem eigenen Umfeld."

Mit seinem dystopischen Blick auf eine von Bespitzelung und Paranoia bestimmte Lebenswelt fügt sich das bereits 1977 geschriebene Buch treffend ein in die Kontrollgesellschaft nach 9/11. "Man sieht, wie die Realität des Buches sich immer mehr bewahrheitet, leider mit Zustimmung der Bevölkerung. Die Zukunft passiert jetzt." Plötzlich legt sich über das Gespräch eine Polizeisirene: "Sehen Sie, sie haben meine Nummer angezapft und wissen, dass ich mit Ihnen rede. Wir haben noch fünf Minuten, bis sie da sind."

Ein schönes Beispiel für Linklaters Ironie, aber auch für die Allgegenwart von Verschwörungstheorien, die bereits in Slacker von dem Versuch zeugen, einer zunehmend wirrer erscheinenden Wirklichkeit noch Sinn abzugewinnen. "Was ist schon Verschwörung?", fragt Linklater, "Meistens ist sie ja auch nur eine Realität, die marginalisiert wird. Verschwörung plus eine Generation ist meistens schon Realität. Über globale Erwärmung hörte ich zum Beispiel 1981 das erste Mal - damals war das konspirativ."

Vom Hinterfragen von Realität und ihren vermeintlichen Gewissheiten zeugen Link- laters Arbeiten auch in der Art und Weise, wie sie ihre Erzählungen anlegen. Sie meiden den geraden Weg und nähern sich dafür dem mäandernden Verlauf des Denkens an. Mitunter wird unklar, was Wirklichkeit, was Tagtraum oder was Trugbild ist. "Ich habe immer eine Erzählweise zu finden versucht, die sich am Lauf des Lebens orientiert. Es gibt viele Zufälle und nicht alles ergibt wirklich Sinn. Allerdings fügen sich die Dinge dann doch irgendwie zusammen. Auch ich bin letztlich nur ein Geschichtenerzähler. " (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, Printausgabe, 09./10./06.2007)