Die Leidenschaft eines Karikaturisten: Jake Gyllenhaal als Robert Graysmith, für den der Zodiac-Fall zum Lebensthema wurde. Daneben als seine Frau: Chloë Sevigny.

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Ein Ensemble zunehmend irritierter Ermittler verzettelt sich in Vergeblichkeit und Frustration.

Wien – Jeder Zeit ihre Unholde. Für jede Gesellschaft Erzählhaltungen, die gleichsam auswählen, was der Kampf gegen die Dämonen über sie selbst aussagen könnte.

Serienmörder zum Beispiel und die Jagd auf sie: Da konnte man schon mit einsamen Gesetzeshütern (Dirty Harry) die Janusköpfigkeit von "Gut" und "Böse" ausloten. Man konnte den serial killer als eine perverse Spielart des negativen Superhelden zum ultimativen Rebellen oder gar letzten Stilisten (Hannibal Lecter) erheben. Oder man zeigte die Welt als biblischen Sündenpfuhl (Seven), in dem ein finsterer Engel der Vergeltung auf den Plan tritt. Wie immer bei Genre-Gemälden und -Filmen gilt: Entscheidend ist die Einstellung, mit der man sich immer gleichen Grundmotiven nähert.

Zodiac, der jüngste Thriller von US-Regisseur David Fincher trifft diesbezüglich interessante Entscheidungen vor einem reichhaltigen Hintergrund. Einerseits wurde ja der tatsächliche Fall eines Serienmörders, der ab 1969 Polizisten und Medien jahrzehntelang mit codierten Botschaften in die Irre führte, schon mehrfach Vorlage und Vorbild für Bücher und Spielfilme (siehe etwa Spike Lees Summer of Sam). Andererseits dürfte sich die wahre, vergebliche Recherche nach dem Täter weniger spektakulär gestaltet haben, als es uns die Popkultur gerne weismachen will.

Gegen die Zeit

Finchers Zodiac konzentriert sich auf den Alltag, der quasi im Immer-weiter-Erzählen Stoff für Mythen und Helden wird. Er porträtiert Männer, die von Ticks getrieben sind, die man später gerne "Obsessionen" nennen mag. Und er zeigt, dass der Hauptgegner dieser Männer eigentlich die Zeit ist: Lebenszeit, in der man irgendeinmal keine Kraft mehr hat. Medial strukturierte Zeit, in der die Schlagzeile von heute morgen überboten werden soll.

Da wäre also der Starjournalist Paul Avery (Robert Downey Jr.) vom San Francisco Examiner, einer der Adressaten der Zodiac-Briefe, der irgendwann zwischen Drogenproblemen und persönlichen Eitelkeiten "seinen" Fall abgeben muss. Da wäre der Polizist Dave Toschi (Mark Ruffalo), der nicht selten vor Regelwerken des eigenen Berufsstands klein beigeben muss. Und da wäre der schüchterne Karikaturist Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal), der sich dem Fall und den damit einhergehenden Dechiffrierungen mit einer autistischen Leidenschaft nähert, die ihn später Frau und Familie kosten wird.

Dass keiner der hier genanten Herren über die gesamte Zeit der unterschiedlich intensiven Investigationen permanent eine "Hauptrolle" spielte: David Fincher und der Drehbuchautor James Vanderbilt unterschlagen es nicht. Insofern wirkt Zodiac phasenweise wie ein mäanderndes Ensemblestück für ewige Nebendarsteller, in dem recht eigentlich die zentrale Figur abhanden gekommen ist.

Das ist, wenn man so will, Stärke und Schwäche dieses Films zugleich: So wie seine Protagonisten verzettelt er sich mitunter in Informationen und Dialogen, die in diesem Jahr, jenem Monat, an exakt dem und dem Tag sich ereigneten. Gleichzeitig entkommt er aber den Pflichten des hoch budgetierten Mainstream-Kinos auch nicht ganz, muss also in Mordszenen Schaulust und Hochspannungsbedarf einlösen, und – vor allem in einer sehr konstruierten Verknüpfung von Anfang und Ende – die Behauptung wagen, es gebe so etwas wie eine Auflösung.

Dies alles ist im Prinzip aber nur Beiwerk zu einer existenziellen Melancholie, die sich in Zodiac vor allem atmosphärisch manifestiert.

Wenig Spielraum

Selten wurde etwa die Stimmung eines Großraumbüros, aus dem man irgendwann mit der legendären Kartonschachtel unterm Arm wieder abtreten muss, besser dargestellt: Der permanent von Telefonen hochgepeitschte Geräuschpegel, Menschen mit hohen Ambitionen und wenig Arbeits- und Spielraum.

Wirklich grandios ist Fincher dann, wenn sich dieser nervöse Lärm und die Konzentration, möglicherweise sogar auf falsche Details, zu Beklemmungsszenarien ausweiten, die weniger über einen "Fall" als über eine tiefer gehende Verunsicherung erzählen: Da wäre zum Beispiel ein Besuch beim einem alten Kinovorführer, rund um den plötzlich die ganze Angst-Erinnerungs-Maschine Film verrückt zu spielen scheint. Und da wären zwei Begegnungen mit einem großen, schwerfälligen Mann (John Caroll Lynch), der wohlgemerkt ein Täter sein könnte.

Wenige ungewohnte Gesten und ein jäh sich aufhellender Blick erzählen immerhin von einem Potential, das sich unheilvoll entladen will. Das ist fast gespenstischer als Anthony Hopkins im Schweigen der Lämmer. Der Rest ist Interpretation, in einem Film, der die Rätsel, die er aufgibt, noch mehr in der Schwebe hätte halten können. (Claus Philipp/ DER STANDARD, Printausgabe, 02./03.06.2007)