Zur Person
Kolinda Grabar-Kitarovic wurde im Jahr 1968 in Rijeka geboren. Den Großteil ihrer Kindheit verbrachte sie in den USA, in Zagreb studierte sie Englisch und Spanisch. Im Jahr 1992 wurde sie Beraterin im Wissenschaftsministerium, ein Jahr später wechselte sie ins Außenministerium, war drei Jahre Botschafterin in Kanada und zog im Jahr 2003 für die jetzige Regierungspartei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) ins Parlament ein. In der neuen Regierung unter Premier Ivo Sanader wurde sie zunächst Europaministerin, seit zwei Jahren ist sie nun Außen- und Europaministerin.

Foto: Sonja Fercher
In Kriegen sind Frauen und Kinder die ersten Opfer von Kriegen. So lautete die immer wieder kehrende Feststellung auf der Nahost-Frauenkonferenz, die am Mittwoch und Donnerstag in Wien tagte - und die auch auf die Jugoslawien-Kriege Anfang der 90er Jahre zutrifft. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt die kroatische Außenministerin Kolinda Grabar-Kitarovic, welche Lehren aus diesen Kriegen für die Länder des Nahen Ostens gezogen werden können. Außerdem nimmt sie zum EU-Beitrittsprozess Kroatiens Stellung, der ihrer Ansicht nach schneller voran gehen könnte, und berichtet über Fortschritte bei den Reformen. Das Interview führte Sonja Fercher.

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derStandard.at: Sie haben an der Frauenkonferenz in Wien teilgenommen. Welche Lehren können aus der Rolle und den Erfahrungen von Frauen im Friedensprozess auf dem Balkan gezogen werden?

Kolinda Grabar-Kitarovic: Vor allem aus der kroatischen Erfahrung können viele Lehren gezogen werden. Von den mehr 7.000 kroatischen Gefangenen waren rund 12 Prozent Frauen und viele von ihnen waren Opfer von physischem und psychischem Missbrauch sowie von sexueller Gewalt. Ausgehend von diesen Erfahrungen versuchen wir andere Ländern zu unterstützen.

derStandard.at: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Grabar-Kitarovic: Die Bürgermeisterin von Vukovar etwa - die selbst in Vukovar war, als die Stadt belagert wurde und besetzt war - hat hier eine Initiative gestartet. Erst kürzlich war eine Delegation irakischer Parlamentarierinnen auf ihre Einladung in Kroatien. Davor war eine afghanische Delegation zu Besuch. Sie besichtigten die kroatischen Institutionen und sahen sich an, was Kroatien im Bereich der Gleichberechtigung der Geschlechter und im Kinderschutz getan hat.

Ich glaube - oder hoffe -, dass die Situation in Vukovar der irakischen Delegation einen Hoffnungsschimmer gegeben hat, dass es eine Zukunft in Frieden und Versöhnung gibt, die noch vor ihnen liegt, genauso wie dies in Vukovar der Fall war. Wer hätte damals angesichts des menschlichen Leids und der Zerstörungen schon daran geglaubt, dass die Menschen zurückkehren würden?

derStandard.at: Ein anderes Thema: Glauben Sie daran, dass das Ziel eines Beitritts im Jahr 2009 noch erreichbar ist?

Grabar-Kitarovic: Wir hoffen, dass noch dieses Jahr so viele Kapitel wie möglich geöffnet werden können, dass das nächste Jahr dann das Jahr der Schließung von Kapiteln wird, wir im Jahr 2009 den Beitrittsvertrag unterzeichnen und den Beitrittsprozess beginnen können.

Aber letztlich kommt es nicht darauf an, ob dies ein paar Monate früher oder später geschieht, so lange der Zeitrahmen und der Weg dorthin klar ist. Allerdings glaube ich fest daran, dass wir am Ende dieses Jahrzehnts Mitglied sein werden.

derStandard.at: Sie kritisierten Mitte Mai, dass die Verhandlungen nicht so schnell voran gehen, wie sie sich das wünschen würden. Haben Sie Sorge, dass die Verhandlungen verschleppt werden könnten, Stichwort Debatte über die Aufnahmefähigkeit der Union und Verfassungsstreit?

Grabar-Kitarovic: Nein. Im Allgemeinen bin ich zufrieden mit den Verhandlungen, wir wären aber gerne schneller, denn wir haben sehr ambitionierte Ziele.

derStandard.at: Anfang des Jahres kündigte ihre Regierung das ehrgeizige Vorhaben an, noch innerhalb der ersten sechs Monate 56 Gesetze an die EU-Vorgaben anzupassen. Wie weit ist dieses Vorhaben gediehen?

Grabar-Kitarovic: Wir haben uns dieses Zeitlimit gesetzt, weil dieses Jahr noch Wahlen stattfinden werden. Meines Wissens haben wir bislang mehr als 20 davon umgesetzt und es gibt rund 220 Begleitgesetze, die wir noch dieses Jahr beschließen wollen.

Der Integrationsprozess aber lässt sich nicht nur an der Anzahl der beschlossenen Gesetze messen, entscheidend ist die Implementierung.

derStandard.at: In vielen Ländern ist eine EU-Müdigkeit feststellbar, auch in Kroatien?

Grabar-Kitarovic: In den Umfragen hat sich der Prozentsatz der Beitrittsbefürworter bei über 50 Prozent eingependelt. Natürlich war dieser Wert vor Jahren schon einmal höher.

derStandard.at: Wie wollen Sie dem begegnen?

Grabar-Kitarovic: Wir müssen die Informationskampagne fortsetzen. Was immer wir tun ist immer noch nicht gut genug. Wir müssen beispielsweise die Zivilgesellschaft mehr einbeziehen, ebenso die akademische Community.

derStandard.at: Anderes Thema: Kosovo. Erst Anfang Mai betonte Präsident Mesic in Wien, Kroatien trete für eine Lösung auf der Basis des Ahtissari-Plans ein. Schließt dies auch die Unabhängigkeit der Provinz ein?

Grabar-Kitarovic: Ich werde keine Spekulationen über eine mögliche endgültige Lösung anstellen, so lange diese endgültige Lösung nicht auf dem Tisch liegt. Natürlich wäre es am besten gewesen, wenn die beiden Seiten auf dem Verhandlungsweg selbst zu einer Lösung gekommen wären.

Wir glauben, dass möglichst bald eine Lösung gefunden werden muss, denn niemand kann ein Interesse daran haben, diese hinauszuzögern.

Weil wir aber Frieden und Stabilität in der Region wollen, lehnen wir eine Lösung ab, die weitere Probleme verursachen könnte. Wir unterstützen den Ahtissari-Plan als Kompromiss und hoffen auf einen Konsens innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Aus unserer Sicht wäre es besonders wichtig, wenn die EU eine gemeinsame Position finden würde, und dass es im Sicherheitsrat einen Konsens gibt. Ich denke, dass Südosteuropa die Rechnung dafür bezahlen würde, wenn sich die internationalen Gemeinschaft nicht einigt. (Sonja Fercher, derStandard.at, 1.6.2007)