Buchcover: Suhrkamp
Die analytische Philosophie in der angloamerikanischen Tradition hat sich längst von den Feldherrenhügeln des Geistes verabschiedet und arbeitet unter Tage in einer Art akademischem Bergwerk, in dem es von Philosophen nur so wimmelt. Hier werden keine Gletschervisionen mehr über die Köpfe eines staunenden Publikums geflammt, es wird nicht ins Wesen geschaut oder stumm ins Unaufhellbare gestarrt. Hier wird gewühlt und genagt. Jeder steckt in seinem Stollen und treibt sich Millimeter für Millimeter ins Erdreich des Geistes.

Diese sukzessive Aufarbeitung und Wegräumung des Geistes, zu der auch die analytische Geistphilosophie ihren Beitrag leistet, ist nun nicht allein Landgewinnung für ein stets anschwellendes akademisches Publikationsgewimmel, sondern hat durchaus ihren Wert. Denn der Geist ist diese unendliche Provokation in der Natur, niemals bloß bei sich bleiben zu können, sondern stets darauf zu drängen, sich zu entäußern und sich selbst auch einmal als Ding zu verstehen. Das ist ja die Komplikation. In diesem Sinne hat schon Hegel die aberwitzige phrenologische Einsicht, dass der Geist ein Knochen ist, als notwendige Stufe der Selbstoffenbarung des Geistes anerkannt, und in genau diesem Sinne ist auch die Fragestellung der analytischen Geistphilosophie durchaus geistreich: Wie kann der Geist je Hirn und wie das Hirn je Geist sein?

John Searles Geist. Eine Einführung ist nun ein überaus brauchbarer Grundriss dieser unterirdischen Landschaften. Dass uns mit Professor Searle aus Berkeley dazu eine der Oberwühlmäuse den Weg weist, ist natürlich ein großer Gewinn, denn Searle kennt sich unter Tage nicht nur prächtig aus, sondern hat einen Großteil der Schächte und Stollen selbst geschlagen. Die Einführung ist deshalb auch parteiischer und kämpferischer geraten, als man es von einem Exemplar dieses Genres erwarten würde. Das verleiht dem Ganzen aber ein ungewohntes Maß an Lebendigkeit und Lesbarkeit. Der deutsche Titel des Werkes führt freilich ein wenig in die Irre. Denn es geht ja weniger um Geist im Sinne der kontinentaleuropäischen Geistphilosophie, als um "mind" im Sinne der "Philosophy of Mind".

Mit ,Geist‘ meinen wir hier das, was im Kopf ist", schreibt Searle dann auch. Was ist aber im Kopf? Eine überraschend weiche, beinahe breiige Substanz, ein wenig wie dicker Haferschleim oder warme Butter. Die Krux ist nun, wie sich in diesem Brei Gedanken, Wahrnehmungen und Wünsche abspielen, und was in diesem Zusammenhang überhaupt mit "abspielen" gemeint sein könnte. Sind die genannten kognitiven und konativen Zustände identisch mit bestimmten Regionen des Hirnes, sind sie Eigenschaften oder Prädikate des Hirnmaterials, supervenieren sie dem Hirnmaterial, oder sind sie Illusionen, denen gar keine Realität zukommt? Sind sie vielleicht Funktionen eines Programms, das als Software auf dem Hirn wie auf einem Computer läuft? Sind sie kausal vom Hirnmaterial verursacht und können sie wiederum Änderungen im Hirnmaterial verursachen?

Das Problem lässt sich auch wie folgt darstellen: Eine Erdbeere etwa kann sich nicht auf eine andere Erdbeere beziehen. Ich aber kann mich auf die Erdbeere beziehen, indem ich sie wahrnehme, schön finde oder essen will. Wie ist das möglich? Insbesondere wenn man davon ausgeht, dass sich meine Wahrnehmungen und Wollungen allesamt in meinem Hirn abspielen. Wie kann sich also mein Hirn als Ding auf eine Erdbeere als Ding beziehen, wenn Dinge als Dinge sich nicht auf andere Dinge beziehen können?

Wie kann in der Welt je Weltbezug, Semantik stattfinden? So könnte man in aller Kürze das Problem der Intentionalität zusammenfassen, eines der Wurzelprobleme der analytischen Geistphilosophie.

Searles Antwort ist nun, dass die meisten Fragen dieser Art unsinnig sind, von falschen Voraussetzungen ausgehen, und dass der Anschein der unlösbaren Komplikation verschwindet, sobald man die richtigen Fragen stellt und die richtigen Unterscheidungen trifft. Man könne zum Beispiel nicht ohne weiteres von dem Umstand, dass ich mich auf eine Erdbeere beziehe, darauf schließen, dass sich mein Hirn als bloßes Ding auf eine Erdbeere als Ding bezieht. In dieser Manier umreißt Searle sukzessive die eigene Position des biologischen Naturalismus: Kognitive Zustände und Intentionalität sind zwar wirkliche Phänomene, die sich nicht eliminativ auf Hirnzustände reduzieren lassen, sind aber im Gehirn als Eigenschaften des Gehirnsystems realisiert und daher kausal auf Gehirnprozesse reduzierbar. Wem diese Lösung ein wenig wie ein fauler Kompromiss zwischen traditionellen Positionen vorkommt, der hat eine ganze Schar Searle-Kritiker auf seiner Seite. Dass diese Lösung jedoch einen beinahe perfekt balancierten Ausgangspunkt für eine Einführung in einen komplexen Jargon bietet, das sollte außer Zweifel stehen. (Christoph Kletzer / ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27./28.05.2007)

John R. Searle , "Geist. Eine Einführung". Übersetzt vonSibylle Salewski. € 27,60 Euro/323 Seiten. Suhrkamp,Frankfurt 2006.