Abwarten und Bier trinken. The National aus dem New Yorker Hipster-Grätzl Williamsburg gibt sich trotz aller Streicheleinheiten für ihr neues Album "Boxer" gelassen.

Foto: Edel / Abbey Drucker
Und "Boxer" gilt als eines der Alben des Jahres 2007. Das könnte sich bewahrheiten.


Wien – Dass sich Bruce Springsteen als unbezahlter Konsulent für vergleichsweise unbekannte Bands verwendet, ist doch eher ungewöhnlich. Dementsprechend erstaunt waren die fünf Männer von The National, als "The Boss" ihnen nach einem ihrer Konzerte zwei Geheimnisse anvertraute. Das erste: Er sei Fan. Das zweite: Was er täte, um ein großes Stadion in die Hand zu bekommen: "Du musst für den Typen in der allerletzten Reihe spielen. Wenn man den erreicht, hat man gewonnen."

Matt Berninger, die grundelnde Baritonstimme der Formation aus New York, nahm derlei sachdienliche Hinweise trotz aller Freude ob der Anerkennung eher skeptisch auf. In einem Interview meinte er, dass es gar nicht der Ehrgeiz seiner Band sei, Stadien zu bespielen. Erstens. Und Springsteen hätte diesen Tipp einst auch schon U2 gegeben. Das kann man sich als zweitens denken.

Passieren könnte es The National trotzdem. Immerhin haben die fünf Jungs aus dem New Yorker Hipster-Grätzl Williamsburg zuletzt gemeinsam mit den Shooting Stars der letzten Jahre, den kanadischen Arcade Fire, ausverkaufte Konzerte gegeben; und das am Freitag erscheinende neue Album Boxer (Vertrieb: Edel) wird zumindest in den USA schon als eines der definitiven Werke des heurigen Jahres betrachtet. Zurzeit spielt man an vier Abenden zu Hause: "Sold out as hell", wie die New Yorker Stadtzeitung Village Voice vermerkt.

Schon seit dem Album Alligator aus dem Jahr 2005 wird The National als nächstes großes Ding gehandelt. Schon wieder, könnte man da berechtigt skeptisch meinen. Wird doch nahezu täglich eine neue nächste Popsensation geboren – zumindest medial. Doch die Einschätzung bezüglich The National könnte sich insofern bewahrheiten, als das Alligator kein Werk war, das mit großem Getöse einschlug.

"Slow Burner"

Vielmehr erwies es sich als "Slow Burner", als Werk, das eine gewisse Anlaufzeit brauchte, um sich durchzusetzen. Nachhaltigkeit hat in einem tendenziell kurzlebigen Geschäft noch niemandem geschadet, und Alligator verkauft mittlerweile im hohen sechsstelligen Bereich.

Nach einem noch sehr traditionell angelegten Frühwerk mit relativ konventionellen Zutaten aus (Country-)Rock und Gitarrenrock eher britischer Prägung, gelang ihnen auf Alligator eine betörende Mischung aus Kammer-Pop, dem man noch etwas die Räude der Garage anmerkte, aus der dieser ursprünglich kam.

Dort setzt nun Boxer an und nach, verzichtet jedoch weit gehend auf die Brüche, die den Vorgänger so aufregend erscheinen ließ. Offenbar wollte man nicht einen zweiten "Slow Burner" in die Welt setzen, sondern doch deutlicher als zuletzt auftreten.

Das gelingt vorzüglich. Und zwar ohne dafür bloß auf Lautstärke als billigst sich anbietendes Hilfsmittel zu setzen. Stattdessen schaffen The National mit meist sich steigernden und auf die Wirkung der Repetition bauenden Songs ein letztlich erhebendes Werk, welches das bereits vergebene Lob in jedem Stück nachvollziehbar macht.

Die Skepsis gegenüber dem Lebensentwurf als immer noch verunsicherter "thirtysomething" bestimmt auch hier wieder die Inhalte – und damit auch die Form. Immerhin weiß man in diesem Alter schon um die Notwendigkeit der Rückschau, der Rast, der Geduld und zieht im günstigsten Fall die Vielfalt der Einfalt vor.

Hier schlägt sich das in einer breiteren Instrumentierung – Akkordeon, Klavier, Streicher – ebenso nieder wie in einer aufwändigeren Produktion. Trotzdem geht dabei nicht die Intimität der Stücke und der erwähnte "Chamber-Pop"-Charakter verloren. Ob die prognostizierte Welteroberung mit Boxer gelingt und Springsteens Tipp irgendwann Anwendung findet, wird sich weisen. Überraschen würde es nicht. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.5.2007)