Foto: Festwochen/Bardel
Wien – Ein König ohne Land steht am Ende bei Shakespeare. In seinem letzten Werk Der Sturm erleiden der König von Neapel und der Herzog von Mailand fern ihrer Machthöfe auf offener See Schiffbruch. Sie stranden – geleitet von der Zauberhand Prosperos – unversehrt auf einer leeren Insel und müssen erfahren: keine Macht ohne Territorium, keine Herrscherpose ohne Beherrschte.

Die diesfalls als Imperialismuskritik verstandene märchenhafte Fabel des Shakespeare’schen Sturm hat der neuseeländische Regisseur Lemi Ponifasio für seine fast gleich lautende Performance Tempest – Sturm aufgegriffen. Aber nur vorgeblich. Denn was beim Festwochengastspiel am Mittwoch aus dem leeren Bühnendunkel trat, waren weder König Alonso noch Ariel und schon gar keine Miranda, sondern Tänzer des Ensembles MAU, die in Stampfschritten ihrer Heimat Aukland eine (ihre) Geschichte der Unterdrückung erzählten.

Klar: Man sieht bei Bühneninterpretationen längst von einer puren Verbalkopie des Textes ab (siehe Jelinek); dass man aber kolonialistische Inselstaatpolitik gleich als Shakespeare (" Nach William Shakespeare" ) feil bietet, ist dann doch nichts anderes als Etikettenschwindel. Keine Silbe Shakespeare also, und doch ein Drama: Eben jenes der Maori-Einwohner auf Neuseeland, die noch in den 60er-Jahren aufgerufen waren, vor Spielfilmbeginn im Kino das God Save The Queen anzustimmen.

Erzählt wird – von ihm selbst – die Geschichte des Tame Iti, einem Maori-Mann, Jahrgang 1952, der als Sozialarbeiter und Botschafter des Stammes der Ngai Tuhoe zu einem der unnachgiebigsten Streiter für sein Volk und dessen Kultur geworden ist.

In Ponifasios Tempest – Sturm hält dieser stämmige kleine Mann mit Gesichtstätowierung (genannt Moko) Fürsprache für sein Volk – und bleibt dabei über jeden Verdacht auf Ethno-Kitsch erhaben: Aus einer randlosen, bis auf zwei Holzbänke leeren und von Helen Todd famos beleuchteten Bühne in der Halle G im Museumsquartier, tritt er mit geweiteten Augen heraus, lässt auf Maori (seit 1990 als offizielle Sprache anerkannt; hier untertitelt) "Strophen" seines Schicksalsliedes hören.

Dabei streckt er immer wieder – pazifischer Tanzpraxis folgend – die Zunge heraus. Die schiere Befremdung der Performance tut allein schon genügend Wirkung. Die existenzielle Bedrohung haftet den kräftigen, gedrungenen Körpern und ihren beharrlichen, minimalistischen Bewegungen auf berückende Weise an. MAU, das sind Tänzer, die ihre Geschichte am Leib tragen, aber keinen Shakespeare auf der Zunge. Auch gut. (Margarete Affenzeller/ DER STANDARD, Printausgabe, 19./20.05.2007)