Frauen bei einer Wahlkampfveranstaltung der mitregierenden islamistischen Partei MSP-Hamas in Algier, vergangene Woche. Das Familienrecht ist in Algerien an den Koran angelehnt.

Foto: Wandler
Am Donnerstag wählen die Algerier ein neues Parlament. Die Partei FLN von Premier Belkhadem gilt als Favorit. Die Opposition fürchtet die weitere Islamisierung des Landes.

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Der Aussichtspunkt ist belebt wie nie. Die Menschen, die sich hier oben unweit des Regierungspalastes von Algier versammeln, genießen nicht etwa den herrlichen Blick über die Bucht der algerischen Hauptstadt. Sie bestaunen ein weit menschlicheres Wunder: die Reparaturarbeiten am Regierungssitz, der am 11. April Opfer einer Autobombe wurde. "Sie können ja, wenn sie wollen", raunen die Schaulustigen angesichts des Fortgangs der Arbeiten.

Wenn am Donnerstag die Algerier zu den Parlamentswahlen gehen, soll so wenig wie möglich an die Anschläge erinnern, die 33 Menschen das Leben kosteten und mehr als 200 Verletzte forderten. Gleichzeitig demonstriert die Regierung Härte. An Schlafen ist in den letzten Tagen in Tizi Ouzou, der Hauptstadt der Berberregion, kaum zu denken. Heftige Explosionen erschüttern die Berge rund um die Stadt. Die Armee macht mit Kampfhubschraubern Jagd auf den islamistischen Untergrund. Allein am Montag wurden 13 Terroristen getötet. Durch Bombenattentate sollen aber auch sechs Soldaten ums Leben gekommen sein. Mehrere hundert Kämpfer der Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf (GSPC), die sich seit Jänner Al-Kaida Maghreb nennen, haben sich in den Bergen verkrochen. Hier planten sie die Bomben von Algier und andere Anschläge.

Trotz der heftigen Reaktion seitens der Armee suchen viele Menschen in Kabylei die Schuld für das erneute Aufflammen der Gewalt bei Präsident Abdelaziz Bouteflika und Regierungschef Abdelaziz Belkhadem. "Sie haben unsere Selbstverteidigungsgruppen völlig demobilisiert", beschwert sich Bousad Boudiaf, Kandidat der Berberpartei Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD).

Keine Munition mehr

Bewaffnete Bürgerwehren schützten jahrelang die Dörfer vor terroristischer Gewalt. "Seit Beginn der Aussöhnung mit dem islamistischen Untergrund bekommen sie keine Munition mehr", erklärt Boudiaf. Die unwegsame Kabylei wurde zum idealen Rückzugsgebiet für den islamistischen Untergrund. Überfälle auf Polizei und Armee nehmen zu. Entführungen sind an der Tagesordnung.

Keiner hat Bouteflikas Aussöhnungspolitik nach dem langjährigen Bürgerkrieg, der 200.000 Menschenleben forderte, so unterstützt wie der Vorsitzende der ehemaligen Einheitspartei FLN und Regierungschef, Belkhadem. Tausende von islamistischen Untergrundkämpfern kehrten in die Gesellschaft zurück. Die Armee des Islamischen Heils (AIS), der bewaffnete Arm der Islamischen Heilsfront (FIS), legte die Waffen nieder. Nur die Gruppen für Predigt und Kampf machten weiter.

Belkhadem wird, daran zweifelt niemand, am Donnerstag die Wahl gewinnen. Er regiert seit 2005 mit einer breiten Koalition aus FLN, einer Abspaltung der ehemaligen Einheitspartei, der RND, sowie der islamistischen MSP-Hamas. Der Regierungschef umwirbt das traditionalistisch, islamistische Lager.

Als "Bart-FLN" beschimpft die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) Belkhadem und die Seinen. "Bouteflika und Belkhadem islamisieren das Land zunehmend", beschwert sich deren Sprecher Karim Baloul. "Alles ist darauf ausgelegt, uns vom Rest der Welt abzuschneiden, uns den demokratischen Geist auszutreiben", meint Baloul, dessen FFS zum Wahlboykott ruft, um an der "Maskerade nicht mit schuld zu sein".

Keine Gegentendenz

Schon 1984 sorgte Belkhadem für die Einführung eines an den Koran angelehnten Familienrechts, das den Frauen jede Freiheit nimmt. Und er ging bei den Wahlen 1991 auf die Islamisten zu. Der Plan ging schief, sie gewannen, die Wahlen wurden von der Armee abgebrochen. Algerien versank im Chaos.

"Mit Bouteflika sitzen wir im TGV der Islamisierung", erklärt auch der Schriftsteller Boualem Sansal. Neuerdings wird der Ruf zum Gebet im Fernsehen übertragen. Französischsprachige Privatschulen mit laizistischen Inhalten wurden geschlossen. Auf die Frage, ob die Islamisierung zu stoppen sei, zeigt sich Sansal pessimistisch: "Denn anders als zum Beispiel in der Türkei gibt es hier keine wirkliche Gegentendenz gegen die Islamisierung." (Reiner Wandler aus Algier/DER STANDARD, Printausgabe, 16./17. Mai 2007)