Sonja, Leben einer einsamen Träumerin: Erzählt (Jevgenijs Isajevs, re.) und erspielt (Gundars Abolins) unter der Leitung des lettischen Regisseurs Alvis Hermanis.

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Wien - Sonja - ein Frauenleben: Groß das Herz und ihr Pflichteifer, köstlich ihre Torten, berühmt ihre Schneiderkunst, berührend ihre Gabe, Kinder zu beglücken. Sonjas reizloser Körper aber und ihr einfacher Geist ziehen ihr Spott zu statt Liebe.

Kein Mann liebt die plumpe, tumbe Sonja. Ada aber, die schöne, begehrte, macht sich einen Spaß daraus, ihr Briefe zu schreiben, als Nikolaj, ein Verehrer. Entzündet eine Leidenschaft, die zehn Jahre währen wird. Allmonatlich gewechselte Worte, täglich gesandte Gefühle als kostbarer Schatz eines Lebens. Nur eine Illusion?

Auf der Grundlage einer Kurzgeschichte der 1951 geborenen russischen Autorin Tatjana Tolstaja entwickelte der lettische Regisseur Alvis Hermanis in Riga seine Produktion Sonja.

"Unsere Gehirne sind zu groß und unsere Herzen sind manchmal zu klein", sagte Hermanis kürzlich anlässlich seiner Dankrede in Thessaloniki, wo er den Europäischen Theaterpreis für Neue Realitäten entgegennahm. Er suche den "vergessenen Weg zur Harmonie".

Sein Wille, die Herzen des Publikums zu öffnen, schimmert durch viele der Produktionen des 1965 geborenen Regisseurs, der seit zehn Jahren als künstlerischer Leiter des Neuen Theaters in Riga wirkt. Und bleibt stets eine Gratwanderung, hart am Rand zur Sentimentalität.

Eine Gratwanderung, die immer dann glückt, wenn er sich auf die auch gestisch präzise Zeichnung von Menschen konzentriert. Die Liebe - auch jene des Schauspielers für die von ihm verkörperte Person - erweist sich nicht zuletzt in der Aufmerksamkeit für Details, in der Genauigkeit der Wahrnehmung. Der genau wahrgenommene Mensch kann nicht kitschig, kann nicht sentimental sein. Er ist undurchschaubar und wahr. Die Gefahr droht in der Reduktion, im Rückgriff auf das wohlfeile Klischee, auf das bisschen Durchschaute.

Eine Gefahr, die geradezu Alarm schrillt, wo Männer in Frauenröcke schlüpfen. Rar sind die großen Momente, in denen eben die Fremdheit Wahrheit generiert - etwa im Spiel Sepp Bierbichlers als Achternbuschs Ella. Näher liegt der Schritt zu Charley\s Tante. Ein Schritt, den Hermanis und sein Schauspieler Gundars Abolins als Sonja nicht ganz ungegangen ließen.

Hermanis reduziert das Ensemble auf zwei Personen: Zwei Einbrecher, die in eine verlassene Wohnung eindringen und sich nach und nach das Leben der Abwesenden (Toten?) erzählend (Jevgenijs Isajevs) und stumm spielend ertasten.

Ein schöner Grundgedanke - der in der Ausführung jedoch kläglich scheitert. Wie schon das Bühnenbild nicht dadurch wahrer wird, dass es Stück für Stück Realien häuft - gemäß dem von Hermanis geäußerten Grundsatz: "Die Welt der Dinge erzählt am meisten über den Menschen."

Wahr. Nur: Die Bühne bleibt eine durch und durch künstliche Welt. Weshalb sie der bewussten Auswahl einiger solcher Dinge bedarf, um Realität im Kopf des Betrachters zu erwecken.

Desgleichen das Spiel. Kleid und Schürze helfen wenig, wo die Annäherung an ein vom Glück karg besonntes Frauenleben sich knapp zwei Stunden lang in kuhäugiger Verzückung und tiefen Seufzern erschöpft.

Sonjas Stolz sind ihre Torten, heißt es. Davon ist wenig zu spüren in der lieblosen Hast, mit der Abolins schnell mal die Schokotorte verziert. Warum nicht alle Zeit des Abends für diese hingebungsvolle Tätigkeit? Wir hätten mehr von Sonja verstanden. (Cornelia Niedermeier, DER STANDARD, Printausgabe, 14.05.2007)