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Grafik: APA
Wien - Nicht nur Vermögen kann vererbt werden - auch Armut und schlechter Bildungsstandard sind gewissermaßen "erblich". Das geht aus einer Studie der Statistik Austria über die Einkommens- und Lebensbedingungen in Österreich hervor, die am Montag gemeinsam mit Sozialminister Erwin Buchinger präsentiert wurde. Demnach ist rund eine Million Österreicher armutsgefährdet, fast eine halbe Million lebt in "manifester Armut". Überdurchschnittlich hoch ist die Armutsgefährdung bei Alleinerziehern, Familien mit mehr als zwei Kindern, bei Ausländern und bei Personen, deren Eltern bereits schlecht verdient haben.

Weniger als 900 Euro

Zu den Zahlen: Zwölf Prozent der österreichischen Bevölkerung (rund eine Mio. Menschen) sind "armutsgefährdet", haben also pro Monat weniger als 900 Euro zur Verfügung. Fünf Prozent (420.000 Personen) leben in "manifester Armut", können sich also wegen ihres niedrigen Einkommens grundlegende Dinge nicht leisten - also etwa eine ausreichende Heizung für ihre Wohnung, neue Kleidung, den jährlichen Urlaub, ein Handy, Gesundheitsversorgung oder eine ordentliche Wohnung.

Buchinger verwies angesichts der Zahlen darauf, dass die Armutsgefährdung in Österreich immer noch unter dem EU-Schnitt liege. Im Durchschnitt sind nämlich 16 Prozent der Bevölkerung der 25 EU-Staaten armutsgefährdet. Ohne Sozialleistungen (Pensionen, Arbeitslosenversicherung, Familienbeihilfe) wäre freilich auch die Armutsgefährdung in Österreich höher und würde nicht bei zwölf, sondern bei 42 Prozent liegen.

Mindestsicherung

Mit dem geplanten Mindestlohn von 1.000 Euro, der Mindestsicherung und einer "Vollbeschäftigungspolitik" will Buchinger die Armutsgefährdung bis 2010 auf unter elf Prozent senkten. "In etwa diese Größenordnung müsste erreicht werden."

Allerdings gestand Buchinger ein, dass die ab Anfang 2009 flächendeckend geplante "Mindestsicherung" allein nicht ausreichen wird, um die Betroffenen über die Armutsgrenze zu heben. Grund: Die Armutsgefährungs-Schwelle liegt derzeit bei 900 Euro monatlich, die geplante Mindestsicherung bei rund 850 Euro monatlich (genauer: bei 14 mal 726 Euro).

Vollbeschäftigung

Der Sozialminister verwies diesbezüglich darauf, dass die Armutsgefährdungs-Grenze zuletzt schneller gewachsen sei als die Erwerbseinkommen. Daher sei eine automatische Anhebung der Mindestsicherung auf diese Grenze nicht machbar. Außerdem habe er immer betont, dass die Mindestsicherung die Armutsgefährungs-Grenze des Jahres 2004 (also rund 850 Euro) abdecken werde. Und, so Buchinger: "Das Hauptinstrument zur Reduzierung von Armut ist nicht die Mindestsicherung, das Hauptinstrument ist die Vollbeschäftigungspolitik."

Kinder betroffen

Wie Statistik Austria-Generaldirektor Peter Hackl erläuterte, sind Kinder und Jugendliche unter 20 besonders häufig von Armut betroffen. Obwohl sie nur 22 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung ausmachen, liegt ihr Anteil an den armutsgefährdeten Personen bei über einem Viertel (27 Prozent). Insgesamt liegt ihr Armutsrisiko bei überdurchschnittlichen 15 Prozent (verglichen mit zwölf Prozent bei der Gesamtbevölkerung).

Auch hier zeigt sich: Je mehr Kinder eine Familie hat, desto höher das Armutsrisiko (37 Prozent der armutsgefährdeten Jugendlichen stammen aus Familien mit drei und mehr Kindern). Ausländer haben ein höheres Armutsrisiko als gebürtige Österreicher (31 Prozent der armutsgefährdeten Jugendlichen stammen aus Familien mit Migrationshintergrund). Und Alleinerzieherinnen sind ebenfalls gefährdet (17 Prozent der armutsgefährdeten Kinder leben in einem Alleinerzieher-Haushalt).

Kein Urlaub

Von den armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen kann sich mehr als die Hälfte nicht einmal einen Urlaub pro Jahr leisten. Für elf Prozent ist ein PC, für 23 Prozent das Internet zu teuer. Elf Prozent der armutsgefährdeten Kinder leben in einem Haushalt, der mit seinen Zahlungen im Rückstand ist.

Deutlich lässt sich aus der Studie auch ablesen, dass Armut über mehrere Generationen vererbt wird. Sprich: Aus armen Kindern werden häufig auch arme Erwachsene. Bei den 25-45-Jährigen, die aus einem finanziell sehr schlecht gestelltem Elternhaus stammen, ist die Armutsgefährdung nämlich doppelt so hoch (22 Prozent) wie bei den Gleichaltrigen aus sehr guten finanziellen Verhältnissen. Ein möglicher Grund: Das Bildungsniveau und damit das Einkommen hängt zum Teil von der Ausbildung der Eltern ab. So erreichen nur fünf Prozent der Kinder von Pflichtschulabsolventen einen Universitätsabschluss. Bei Akademiker-Haushalten sind es 46 Prozent.

Ausgleich durch Sozialleistungen

Geringer als im EU-Durchschnitt aber immer noch beträchtlich ist in Österreich auch die Einkommensschere zwischen Niedrig- und Vielverdienern. Die zehn Prozent der wohlhabendsten Haushalte haben pro Kopf nämlich drei Mal so viel Geld zur Verfügung, wie die untersten zehn Prozent. Allerdings wäre dieser Unterschied ohne Sozialleistungen deutlich größer - ohne Pensionen, Arbeitslosengeld und Co hätten die obersten zehn Prozent fünf Mal mehr als das unterste Zehntel.

Die Studie der Statistik Austria basiert auf EU-Vorgaben und wird seit 2003 jährlich durchgeführt. Die aktuellen Zahlen stammen aus 2005. Um Armut und Armutsgefährdung zu messen, zieht der "Survey on Income and Living Conditions" (SILC) nicht nur das verfügbare Einkommen heran, sondern fragt auch nach Benachteilungen in zentralen Lebensbereichen (Freizeit, Wohnen, Gesundheit, Konsum). Ergebnis: Nur zwei Drittel der Österreicher (67 Prozent) müssen keine Einschränkungen hinnehmen.

Österreich im EU-Vergleich vierter

Mit einer Armutsgefährdungs-Quote von zwölf Prozent liegt Österreich im EU-Vergleich an vierter Stelle - gleichauf mit Dänemark und Finnland. Nur Schweden (neun Prozent), Tschechien (zehn Prozent) und die Niederlande (elf Prozent) liegen besser, wie aus Zahlen des EU-Statistikamtes Eurostat hervorgeht. Deutlich höher ist die Armutsgefährdung Süd- und Osteuropäischen Ländern, wo teilweise bis zu 20 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet gelten (siehe Tabelle).

"Armutsgefährdet" sind nach EU-Definition Personen, die pro Kopf weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben. Das "Medianeinkommen" oder "mittlere Einkommen" entspricht jenem Wert, der in der Mitte der Verteilung liegt (50 Prozent haben mehr, 50 Prozent weniger) - ist also nicht gleichbedeutend mit dem "Durchschnittseinkommen". Eingerechnet werden Erwerbseinkommen, Pensionen, Sozialleistungen und Unterhaltszahlungen - Steuern und Abgaben werden abgezogen. (APA)