"Politik taugt mir prinzipiell schon, auch wählen mit 16 passt. Lächerlich wird's nur, wenn sich Politiker am Tag nach der Wahl an ihre Versprechen nicht mehr erinnern wollen. Solche Lügen machen Politik für uns Junge echt uninteressant." Carina, Lehrling, 17

Foto: Standard
"Normale" 08/15-Nachrichten im Fernsehen sind ein gutes Mittel, um Jugendliche von politischer Bildung fernzuhalten. "Erwachsenen-TV", nein danke, sagen die MTV-Kids. Politische Bildung, die wirken soll, darf nicht quasseln, sondern muss alltagstauglich sein und machen lassen.

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Die Message war so klar für die einen wie kryptisch für die anderen. "So please, Herr Bürgermeister, pimp our St. Johann." - Ein politischer Handlungsauftrag, unmissverständlich für die Jugendlichen auf der einen Seite, und einigermaßen unverständlich für die meisten Älteren auf der anderen. Junger MTV-Jargon kollidierte mit altem Polit-Sprech. Oder wie es ein Mädchen ausdrückte: "Die Erwachsenen sehen es von rechts. Wir von links - und so kommen wir nie zusammen."

Gemeinde aufmotzen

Um das zu vermeiden, sei an dieser Stelle sicherheitshalber ein Exkurs in sprachlicher Generationenkunde eingeschoben: "Pimp My Ride" heißt eine beliebte "Aufmotz-Show" des Musik-TV-Senders MTV, bei der Schrottkisten mit Schnickschnack und glitzerndem Bling-Bling generalüberholt werden, auf dass das rollende Gefährt dann so richtig cool und abgefahren sei.

Doch zurück zum Thema: Die eingangs geschilderte Szene entstammt einem Stück politischer Bildungsarbeit, die von der Wiener Jugendforscherin Beate Großegger vom "Institut für Jugendkulturforschung - jugendkultur.at" entwickelt und wissenschaftlich geleitet wurde. Es zeigt exemplarisch, wie politische Bildung wirksam sein kann, wenn man sie richtig macht.

In St. Johann in Tirol wollte man es richtig machen. Der Kulturverein "Musik Kultur St. Johann" engagierte vergangenes Jahr Großeggers Team und den Tiroler Filmemacher Simon Meade, die gemeinsam mit Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren das Projekt "Video Culture St. Johann" realisierten. Dabei sollten die Teenager mit Videokameras die von ihnen als defizitär empfundene Freizeitsituation aus ihrer Perspektive dokumentieren. Wie, war ihnen völlig freigestellt. Einfach nur machen.

Das ist schon ein entscheidender Punkt in einem Setting für politische Bildung, sagt Jugendforscherin Großegger im Gespräch mit dem Standard: "Wichtig war ein radikal partizipativer Ansatz. Jugendliche können sich in Bildern sehr gut artikulieren. Da ist ein Lehrling genauso souverän wie eine AHS-Schülerin."

Dementsprechend landeten die Videokunst-Jungpolitiker natürlich bei popkulturellen Zitaten aus der von ihnen konsumierten Fernsehwelt, um politische Argumente und Forderungen zu formulieren. Ergebnis: der "Pimp"-Sager.

TV aufpeppen

Schwierigkeit dabei: Die erwachsenen Politiker müssen juvenile Ästhetik und Texte erst mal richtig entschlüsseln. Dasselbe ist umgekehrt die Erklärung dafür, warum die Kids etwa News im Fernsehen großräumig ausweichen und weiterzappen: "Nachrichten gelten als ,Erwachsenenprogramm'. Nichts wie weg von da", erklärt Großegger, warum das Fernsehen als "politischer Bildner" für Jugendliche nicht funktioniert. "Man muss mit den ,richtigen' Bildern arbeiten." Gerade öffentlich rechtliche Sender müssten "junge Formate probieren. Allerdings müssen wir Erwachsenen dann auch das akzeptieren, was die Jugend interessant findet, quasi die Brille der Jugendlichen akzeptieren", so Großegger.

Denn die entscheidende Kategorie in der politischen Bildung sei die "Anschlussfähigkeit an die Alltagserfahrungen der Jugendlichen" - und an der mangle es. "Politischer Bildungsarbeit müsste es gelingen, die Jugendlichen in ihrer konkreten Lebenserfahrung anzusprechen."

Beate Großegger nennt ein Beispiel: Warum das Thema Rechtsextremismus mit den 1930er Jahren, die für die Jugendlichen völlig aus der Welt sind, anfangen - und nicht mit Skinheads, die sie aus ihrer Lebenswelt kennen? "Politische Bildungsarbeit müsste stärker in die Lebens- und Bildwelten der Jugendlichen hinein und in den pädagogischen Bereich einen stärkeren Jugendkulturaspekt bringen, dann kann die Vermittlung politischer Inhalte klappen."

Überhaupt sei ein Kernproblem in Österreichs politischer Bildung, dass sie "zu sehr auf der diskursiven Gesprächsebene" bleibt, wohingegen Deutschland in der politischen Bildungsarbeit "sehr stark auf der handlungsorientierten Ebene angesetzt wird".

Diese Richtung unterstützt auch eine Studie der Fakultät für Psychologie der Uni Wien über die Wirksamkeit des Unterrichtsfachs "Politische Bildung". Dabei wurde eine HAK-Klasse, die ein Jahr Politik-Unterricht hinter sich hatte mit einer HAK-Klasse und zwei AHS-Klassen, die keine "politische Bildung" hatten, verglichen.

Spurenloser Unterricht

Das Ergebnis war "ernüchternd", berichtet Psychologie-Professorin Christiane Spiel: "Der Unterricht in politischer Bildung ist spurlos vorübergegangen. Er hat den Schülern weder Faktenwissen vermittelt, noch eine Einstellungsänderung zu politischen Sachverhalten ausgelöst. Da muss man sich fragen: Welchen Sinn hat das überhaupt?"

Die Schlussfolgerung der Bildungspsychologin lautet: "Politische Bildung muss adäquate Information unbedingt kombinieren mit dem tatsächlichen Erleben von demokratischen Prinzipien, sonst wirkt sie nicht." Das setze spezifisch ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer voraus, aber nicht unbedingt ein eigenes Fach.

Eine Gelegenheit zum Politik Erleben bietet die von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) initiierte "Demokratiewerkstatt". Am 9. Mai gibt es statt "Second Life" im Internet Real Life im Parlament. (Lisa Nimmervoll/DER STANDARD Printausgabe, 26. April 2007)