derStandard.at: Sind Österreichs Medien rassistisch?
Birungi: So vereinfacht kann man das nicht sagen: Nicht alle Medien in Österreich sind immer nur rassistisch. Aber was rassistische Tendenzen betrifft, haben österreichische Medien im Vergleich mit dem EU-Ausland doch einen gewissen Aufholbedarf. Um hier ansetzen zu können, muss man sich aber zunächst bewusst machen, was eigentlich rassistisch ist.
derStandard.at: Nämlich?
Birungi: Zunächst einmal ist schon "Rasse" an sich eine Konstruktion: Es gibt keine "Schwarze" oder "Weiße" "Rasse". Medizinisch gesehen unterscheiden sich die Gene innerhalb der angeblichen "Rassen" stärker als zwischen verschiedenen "Rassen".
Rassismus meint dann, dass Menschen aufgrund körperlicher, also äußerlicher Merkmale, mit negativen Werturteilen belegt werden und ihnen ein untergeordneter Status zugeordnet wird. Das kann auch Menschen unterschiedlicher Ethnie oder Religionszugehörigkeit betreffen; doch bei Rassismus geht es um die negative Beurteilung aufgrund körperlicher, also äußerlicher Merkmale. Charakteristisch für Rassismus ist auch, dass man diesen Status eben aufgrund der vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer konstruierten "Rasse" nicht mehr verlassen kann. Medien handeln also vor allem dann rassistisch, wenn sie ein ausschließlich negatives Bild der betreffenden Gruppe zeichnen.
derStandard.at: Wenn also diese konstruierten Gruppen bewusst in negative Zusammenhänge gesetzt werden bzw. positive Meldungen vermieden werden?
Birungi: Genau: Alle "Schwarzen" sind dann Drogendealer, alle "Afrikaner" sind Asylwerber, alle "dunkelhäutigen" Menschen sind arm und ungebildet etc. Dass oftmals nur dieses eine Bild in den Medien gezeichnet wird, hat reale Konsequenzen für die betroffenen Gruppen. Diese sind spürbar in den Bereichen Wohnen, Job, im täglichen Leben und führen oftmals zu Ausgrenzung, nach dem Motto "Tut uns leid, einen 'Schwarzen' Bankangestellten können wir unseren Kunden nicht antun" auch wenn hier alle Qualifikationen auf Bewerberseite vorhanden wären oder "Die Wohnung ist schon vergeben", auch wenn die Wohnung für "Weiße" noch frei wäre.
derStandard.at: Inwieweit wird dabei in den Medien ein Bild des "kriminellen Fremden" konstruiert?
Birungi: Vorweg: Auch Menschen, die aus dem Ausland kommen, können kriminell handeln; wie auch Schwarze Menschen, ob aus Österreich oder sonstwoher. Es geht nicht darum, dies in den Medien zu verschweigen. Man muss jedoch von einer Überpräsenz "Hautfarbe oder Herkunft" ist gleich "kriminelle Handlung" abgehen. Weg also von der gedanklichen Verbindung "fremd – kriminell – multikulturell – multikriminell", aufgrund derer dann von vornherein alle „Schwarzen“ Menschen kriminell seien, alle so genannten Fremden nur Asyl- oder Sozialmissbrauch betreiben würden, alle Menschen afrikanischer Abstammung arm und/oder ungebildet wären usw. Dies führt dann nämlich wieder zur praktischen Konsequenz, dass Schwarze Menschen im Alltag diskriminiert werden.
derStandard.at: Damit ist praktisch jeder Bericht über ein negatives Ereignis, in dem die Hautfarbe oder auch Herkunft genannt wird, rassistisch?
Birungi: Als rassistisch anzusehen ist eine Überbetonung der äußerlichen Merkmale im negativen Kontext. Das kann offen geschehen – wenn also die Hautfarbe oder Herkunft und die kriminelle Handlung im Text in Verbindung gebracht wird – oder aber verdeckt, beispielsweise wenn zu einem Bericht über Drogenkriminalität, in dem es nicht um „Schwarze“ Menschen geht, ein Bild einer „Schwarzen“ Person dermaßen eingeblendet wird, dass die Zuseher einen Zusammenhang bilden müssen.
derStandard.at: Und ab wann beginnt für Sie die „Überbetonung“?
Birungi: Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist das „Wieso“. Wieso ist es interessant, ob ein Drogendealer aus Sierra Leone kommt oder aus Hallein? Wieso ist es interessant, ob ein „Schwarzer“ oder ein „Weißer“ Mann ein Verbrechen begeht? Wieso ist es wichtig, welche Hautfarbe eine verhaftete Prostituierte hat? Es gibt nämlich nur einen Grund, warum das äußerliche Merkmal Hautfarbe oder aber auch die Herkunft zu benennen ist – wenn es sich um Fahndungshilfe handelt.
Ansonsten dient die Überbetonung der Hautfarbe, Abstammung, Religionszugehörigkeit oder Herkunft nur dem reißerischen Aufmachen und damit dem Medium selbst. Die Folgen lassen sich in der Vergangenheit gut ablesen. Marcus O., Seibane Wague und Bakary J. wurden alle mit ihrer Hautfarbe in Zusammenhang gebracht. Das hatte lebensbeendende bzw. lebensbedrohende Konsequenzen für sie, die sich aus der jeweiligen Situation nicht ergeben hätten dürfen, selbst wenn sie kriminell gehandelt haben oder hätten. Doch das wird nicht mitgedacht, vielmehr kommt es zur klassischen Täter-Opfer-Umkehr. "Er war ja ein Verbrecher", "Er hat es verdient". Auch die Medien hatten oftmals nichts Besseres zu tun, als die Lebenshintergründe der Opfer in einen kriminellen Zusammenhang zu setzen. Diese rassistischen Tendenzen zeigen sich leider immer wieder.
derStandard.at: Wie glauben Sie, kommt es dazu? Quotenzwang? Ungebildete JournalistInnen?
Birungi: In den Medien ist das „Andere“ interessant - was auch immer dann als „das Andere“ definiert wird. Damit werden dann aber Behinderte, Alte, Frauen, "Schwarze", Muslime usw. als von der Norm abweichend beschrieben: Ihnen wird die Normalität verwehrt. Insofern ist Rassismus also durch das Heischen nach Schlagzeilen bedingt. Was die JournalistInnen betrifft, sind sie wohl einerseits zu bequem, um von althergebrachten Strukturen abzuweichen. Andererseits fehlen aber auch die Bezugsmöglichkeiten. Sprich: Wo ist der "Schwarze" Journalist, wo ist die "Schwarze" Moderatorin, wo ist schlicht die Repräsentanz verschiedener Gruppen unserer Gesellschaft?
derStandard.at: Mehr Arabellas also?
Birungi: Arabella Kiesbauer hat es bereits vorgelebt, in Deutschland und in England ist eine "dunklere" Hautfarbe auch eher schon "normal". Hier müsste Österreich einhaken, nicht nur in den Medien, sondern generell. Wenn ein "Schwarzer" Busfahrer oder Krankenpfleger, eine "Schwarze“ Polizistin oder Lehrerin zum normalen Alltag gehören, dann käme es wohl auch JournalistInnen merkwürdig vor, gewisse negative Kontexte übertrieben häufig zu setzen. Und generell würde die Gesellschaft wohl auch anders mit rassistischen Tendenzen – in den Medien und außerhalb – umgehen.
derStandard.at: Gegen welche Gruppen richtet sich dieser Rassismus besonders?
Birungi: In meinem Buch habe ich plakativ gesagt "Rassismus ist das einzige Phänomen, das nicht rassistisch ist", weil sich die Diskriminierung gegen jeden und damit gegen jedes Merkmal wenden kann: Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Ethnie, Religion. Rassismus ist aber keineswegs mit Fremdenfeindlichkeit gleichzusetzen: Rassismus bewertet äußere Merkmale, also Hautfarben, Haarstrukturen und ähnliches, negativ. Das bedeutet, dass die Diskriminierung nicht aufhört, nur weil man integriert ist, perfekt Deutsch spricht oder bereits die Großeltern zugewandert sind. Das hat also nicht unbedingt etwas mit "fremd-sein" zu tun. Ein "Schwarzer" Mensch in Österreich kommt ja nicht zwangsläufig aus Afrika – genau diesem Alltagsdenken sollten ja gerade Medien entgegenwirken.
derStandard.at: Gibt es dabei auch geschlechtsspezifische Unterschiede?
Birungi: Medial gab und gibt es die Tendenz "Schwarze" Männer zu diskriminieren, indem man sie in das Eck Drogendealer stellt. Dies ist auch durch die Berichte von ECRI oder ZARA gut dokumentiert. Als Folge davon werden dann "Schwarze" nicht mehr in Lokale eingelassen, überproportional häufig von der Polizei kontrolliert und auch von etwaigen DrogenkonsumentInnen darauf angesprochen.
Frauen dagegen haben eher mit der Zuschreibung von Charaktereigenschaften zu kämpfen. Sie werden meist doppelt diskriminiert, rassistisch und zugleich sexistisch. Frau, "Schwarz", immer willig, konsumierbar. Gerade dieses Sujet wird ja auch gerne in der Werbung benutzt. Die praktische Konsequenz ist dann, dass man einer "Schwarzen" Frau wenig anderes zutraut – Go-Go-Tänzerin, Prostituierte, Scheinehefrau – mehr darf sie ohnedies nicht sein.
Glücklicherweise gibt es aber auch immer mehr Role-Models, die diesem Trend entgegenwirken und selbstbewusst ein anderes Bild zeichnen.
derStandard.at: Gibt es in Bezug auf den Rassismus in der Berichterstattung Unterschiede zwischen Qualitäts- und Boulevardmedien?
Birungi: In der Quantität und Ausdrücklichkeit sicherlich. Boulevardmedien leben einfach davon, über Ereignisse plakativ, einfach und absatzfördernd zu berichten. Das heißt, es gibt einen Unterschied der Sensibilität. Trotzdem – es geht nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen. Es geht schlicht darum, welche Gesellschaft wir haben wollen und welche Medien diese Gesellschaft abbilden. Daran werden sicher die Qualitätsmedien eher zu messen sein als die Boulevardmedien.
derStandard.at: Was sollten Medien Ihrer Meinung nach tun? "Affirmative Action" im Sinne von Nicht-Benennen?
Birungi: Klar, konstruierten "Rassenbildungen“ und damit verbundenen negativen Zuschreibungen kann man mit Nicht-Benennen entgegentreten: Wenn es keinen Grund für die Benennung gibt, unterlasse ich sie. Auf der anderen Seite sollte schlicht Normalität Einzug halten. Unsere Gesellschaft besteht nun mal aus verschiedenen Gruppen und dies wird sie immer tun – man muss diesem Kategoriendenken jedoch nicht immer unreflektiert anhaften.
Für Österreichs Medien und Gesellschaft wird jedoch ein Zwischenschritt der positiven Repräsentanz "Schwarzer", aber auch "fremder“ Menschen notwendig sein. Denn auch das Weglassen positiver Ereignisse rund um "Schwarze" Menschen kommt einem Leugnen von Tatsachen gleich. Ein besonders gelungener erster Schritt war sicherlich die Plakatkampagne von blackaustria.at.
derStandard.at: In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit Sitcoms wie der Bill Cosby-Show oder dem Prince of Bel Air, wo also "Schwarze" Männer und Frauen "nett" dargestellt werden. Kann so dem Bild des "kriminellen Fremden" entgegengewirkt werden?
Birungi: Ich denke nicht, dass es wichtig ist, jemanden als „nett“ darzustellen, sondern schlicht in einen „normalen“ Kontext zu setzen, sodass sich das Publikum damit identifizieren kann. Meine Untersuchung hat hier ergeben, dass die von Ihnen genannten Serien als zu amerikanisch abgetan werden und daher zu keiner realen Verknüpfung herangezogen werden können. Hier hätte die ORF-Reform ansetzen sollen; den Starmania-Mut hätte ich mir auch bei der hauseigenen Sitcom "Mitten im Achten" gewünscht. Gerade der 8. Wiener Bezirk ist nicht nur gutbürgerlich, sondern auch wegen seiner Offenheit bekannt. Daher hätte man hier gekonnt "Schwarze" Charaktere im normalen Alltag darstellen und ein neutrales Image aufbauen können, ohne auf das Merkmal Hautfarbe besonders aufmerksam machen zu müssen. Das Ziel sollte eine Darstellung von "Schwarzen" Personen sein, bei der nicht mehr die Hautfarbe oder Herkunft einer Person im Mittelpunkt steht, sondern die Leistung bzw. Qualifikation eines Menschen. Normalität eben! (derStandard.at, 26.4.2007)