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Europajuristin Christine Stix-Hackl würde einen abgespeckten Verfassungsvertrag begrüßen.

Foto: APA/Günter R. Artinger
STANDARD: In EU-Rechtsfragen herrscht "Ignoranz" in Österreich, monierte der ehemalige EU-Botschafter Gregor Woschnagg. Sehen Sie das auch so?

Stix-Hackl: Nein, aber es bestehen manchmal Tendenzen, die Augen vor Dingen zu verschließen, bis der sprichwörtliche Hut brennt. Im Unterschied etwa zu skandinavischen Ländern.

STANDARD: Wie sieht es hierzulande mit der Umsetzung des EU-Rechts aus?

Stix-Hackl: Österreich liegt durchaus im oberen Bereich. Naturgemäß sind bei der Umsetzung von EU-Recht Mitgliedstaaten mit föderaler Struktur mit anderen Schwierigkeiten konfrontiert als zentralistisch organisierte Staaten.

STANDARD: Und wie steht Österreich bei den Vorabentscheidungen da?

Stix-Hackl: Am Beginn der Mitgliedschaft hat Österreich sehr viele Anfragen an den EuGH gestellt. Das ist jetzt etwas zurückgegangen.

STANDARD: Woran liegt das?

Stix-Hackl: In Österreich gab es schon vor dem Beitritt Interesse am Gemeinschaftsrecht und man beschäftigte sich damit, zumal die Urteile des Gerichtshofs ja in deutscher Sprache verfügbar waren. Das war ein Vorteil gegenüber Finnland und Schweden, die gleichzeitig mit Österreich beigetreten sind. Österreichische Richter haben daher schon zum Beitrittszeitpunkt über entsprechende Kenntnisse verfügt. Und auch die Anwaltschaft hat wohl ihren Beitrag dazu geleistet, das Gemeinschaftsrecht präsent zu machen.

STANDARD: Was halten Sie von dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs, dass der Grad der Nicht-Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in nationales Recht reduziert werden soll? Die Beschlüsse des Europäischen Rates sind ja rechtlich nicht bindend.

Stix-Hackl: Das ist eine wichtige Entscheidung.

STANDARD: Kommen wir zum EuGH-Urteil wegen des diskriminierenden Uni-Zugangs. Wie beurteilen Sie das neue Inskriptionssystem mit Ausländerquoten? Ein Hauptstreitpunkt ist ja das Medizinstudium, das nicht von deutschen Studenten überlaufen werden soll.

Stix-Hackl: Vorausschicken muss man, dass die aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Verflechtung über die Grenzen hinausweisenden Aspekte der steigenden Mobilität physischer – und auch juristischer – Personen immer mehr in den Vordergrund treten. Und damit auch die Inanspruchnahme und letztlich Durchsetzung dieses Rechts. Quotenregelungen sind im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich nicht unproblematisch. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich solche zum Schutz von Allgemeininteressen als erforderlich erweisen. Für nationale Einschränkungen gilt jedoch generell, dass sie nicht über das notwendige Ausmaß hinausgehen dürfen.

STANDARD: Inwieweit urteilt der Gerichtshof pragmatisch im Hinblick auf politische Folgen im Mitgliedstaat?

Stix-Hackl: Ein politischer Verhandlungsspielraum endet mit einem Gang zu Gericht. Politische Überlegungen, das gilt für die EU-Institutionen wie für die Mitgliedstaaten, unterliegen nicht der Kontrolle durch den EuGH. Sehr wohl aber sind Gründe, die im öffentlichen Interesse liegen, wie etwa die Gesundheitsversorgung, entsprechend zu berücksichtigen.

STANDARD: Agiert der Gerichtshof nicht manchmal als Quasi-Gesetzgeber?

Stix-Hackl: Aufgabe des Gerichtshofs ist die "Wahrung des Rechts". Das Gemeinschaftsrecht ist eine lückenhafte Rechtsordnung und die allgemeine Sprache europäischer Texte unterliegt, bewusst oder unbewusst, zusätzlich interpretativem Spielraum. Wie jedes Höchstgericht muss der EuGH Fragen, die an ihn herangetragen werden, beantworten. Das ist vielleicht nicht immer zur Freude aller.

STANDARD: Zum Beispiel?

Stix-Hackl: Im Steuerbereich gibt es in der Gemeinschaft eine bruchstückhafte Teilharmonisierung durch einzelne anlassbezogene Entscheidungen des EuGH. Das könnte man als eine Art "umgekehrte Integration" bezeichnen. Ein echtes Alternativsystem wird dadurch jedoch nicht geschaffen, das kann nur durch den Gemeinschafts-Gesetzgeber, also durch die Mitgliedstaaten, geschaffen werden.

STANDARD: Was würde der auf Eis liegende Europäische Verfassungsvertrag (EVV) dem EuGH bringen?

Stix-Hackl: Der EVV würde grundsätzlich Nichtigkeitsklagen gegen allgemeine Rechtsakte auch für betroffene Einzelne ermöglichen.

STANDARD: Als Zugeständnis an die oft beschworene Nähe zum Bürger?

Stix-Hackl: Ja, als Fortschritt in Richtung Bürgernähe und natürlich als Verstärkung des Rechtsschutzes.

STANDARD: Oder glauben Sie, dass es im zweiten Anlauf nur einen abgespeckten neuen Grundlagenvertrag geben wird?

Stix-Hackl: Auch ein Grundlagenvertrag wäre ein starkes Signal nach außen. Er würde im Kern wohl auch – und das sollte man nicht unterschätzen – die Grundrechte festschreiben. Es ist zu hoffen, dass dieses starke Signal auch wirklich gesetzt werden kann. (Heike Hausensteiner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.04.2007)