Kein Sozialminister seit dem legendären, 1989 tragisch verunglückten Alfred Dallinger hat die sozialpolitische Debatte so belebt wie Erwin Buchinger. Als Arbeitsmarktspezialist versteht er das komplexe Zusammenspiel von Beschäftigung und Sozialem, das Spannungsfeld von Standortpolitik und Wertschöpfung unter Bedingungen der Globalisierung.

Wie schon bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung geht es bei den Steu-ergutschriften für Niedrigverdiener um eine nachgerade bahnbrechende Neuerung im österreichischen Sozialsystem: den Regimewechsel von passiven Sozialhilfetransfers auf aktivierende Lohnzuschüsse ("in-work benefits") für Arbeitnehmer/in-nen, deren Arbeit und Anstrengung kein Auskommen ("sustainable livelihood") für sie und ihre Kinder sichert. Das betrifft nicht nur die "working poor", sondern geht längst in den unteren Mittelstand hinein - über 21 Millionen Amerikaner/in-nen mit bis zu 35.000 Dollar Jahreseinkommen für Eltern mit zwei Kindern.

Radikaler Pragmatismus

Dass der "linke" Buchinger, der sich selbst im Falter als "Klassenkämpfer für die sozial Schwachen" (gegenüber einem "Klassenkämpfer für die Beamten" wie GÖD-Chef Neugebauer) bezeichnet, für diese solidarische Umverteilung sich ausgerechnet die "negative income tax" des erzneoliberalen Nobelpreisträgers Milton Friedman aneignet, die in weithin liberalen Wirtschaftssystemen, aber unter nicht konservativen Regierungen (Clinton, Blair) große sozialpolitische Erfolge hatte, zeigt radikalen Pragmatismus.

Unbekümmert um ideologische Spinnweben hat er einen werteverwurzelten, doch ganz erfolgsorientierten (mitunter auch durchaus populistischen) Zug zum Tor: Was immer Wachstum und Beschäftigung fördert und Arbeitslosigkeit, Armut, Ungleichheit verringert, ist gut. Und das ist für einen Sozialdemokraten, dem die soziale Frage zentral sein muss, gut so.

"Sozialromantiker"

"Sozialromantiker" à la Katholische Sozialakademie würden Massen-"Arbeitslosigkeit enttabuisieren" und damit hinnehmen und mit ihrem "bedingungslosen Grundeinkommen" von "existenzsichernden" 70 Prozent des mittleren Einkommens jene Massenarmut überhaupt erst erzeugen, zu deren Bekämpfung sie gutgläubig aufrufen. Diesen Armenhauskommunismus muss jede (nicht nur moderne) Sozialdemokratie fürchten wie der Teufel das Weihwasser; während Dynamisierung und Zähmung des Kapitalismus ihr politisches Geschäft ist - "solidarische Hochleistungsgesellschaft".

Mit den Steuergutschriften ist ein wichtiges, großes Thema auch für die Steuerreform 2009/2010 gesetzt, das die schmerzlichen Niederlagen der Sozialdemokratie gegenüber dem Regierungspartner bei Solidarbeitrag für Spitzenpensionen und Abschaffung der Erbschafts- und Vermögenssteuer auffangen könnte. Jedenfalls sind mit Mindestsicherung und Steuerboni für einkommensschwache Familien sozial-politische Kernthemen gesetzt. Und den politischen Prozess bestimmt, wer Themen setzt - und ihre Umsetzung durchsetzt.

Bewährungsproben

Dabei kommen auf den Sozialminister noch Bewährungsproben zu. Neben der Finanzierbarkeit wird entscheidend sein, die eigenen Genossinnen davon zu überzeugen, dass sein Modell der Steuergutschriften den Hauptdefekt haushaltszentrierter (Negativ-)Steuern vermeidet: nämlich "zweitverdienende" Ehefrauen (im Gegensatz zu Alleinverdienenden) "zurück an den Herd" - oder in geringfügigere Teilzeitarbeit - zu subventionieren. Davon demnächst. (Von Bernd Marin, DER STANDARD, Printausgabe 23.4.2007)