Illustration: Wilhelm Busch
Illustration: Wilhelm Busch
Illustration: Wilhelm Busch
Wilhelm Busch, geboren am 15. April 1832, gestorben am 9. Januar 1908, ist mit Goethe und Schiller der bekannteste und meistzitierte deutsche Dichter. Busch hat den Sprichwörterkanon der Deutschen entscheidend geprägt; selbst wer meint, ihn nicht zu kennen, hat doch viele seiner Sentenzen parat und bringt sie bei mehr oder minder passender Gelegenheit gern an: Rotwein ist für alte Knaben Eine von den besten Gaben. Ist der Ruf erst ruiniert, Lebt sich's gänzlich ungeniert. Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. Drei Wochen war der Frosch so krank! Nun raucht er wieder, Gott sein Dank! Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör! Diese und zahllose andere Verse von Wilhelm Busch sind geworden, was man "geflügelte Worte" nennt - sie wurden als Wort mithin zu jenem "lieben Federvieh", dem die beiden Titelhelden in "Max und Moritz" den Garaus machen. Die Witwe Bolte, der sie damit das Herz brechen, wurde in der Dichtung von Wilhelm Busch ebenfalls unsterblich: Dass sie von dem Sauerkohle Eine Portion sich hole, Wovon sie besonders schwärmt, Wenn er wieder aufgewärmt. Man hört es förmlich: Busch war selbst ein fröhlicher und leidenschaftlicher Esser. "Lieber ein bissel zu gut gegessen, als wie zu erbärmlich getrunken", schrieb er und rechnete "einen guten Braten" unbedingt "zu den guten Taten". Auch solcher einfach empfundenen, saftigen Lebensfreude wegen, die auch aus seinen durchaus erotischen Zeichnungen spricht, wurde Busch von der Kritik noch lange bis über seinen Tod hinaus als Volksversemacher abgetan. Was ihnen Vergnügen bereitet und sie lachen macht, schätzen viele Kritiker künstlerisch gering - wohl weil sie sich selbst nicht über den Weg trauen, und sie müssen es ja wissen. Das Publikum aber trank vom Quell der freudigen Erkenntnis, sog die Weisheit und den Humor von Wilhelm Busch ein und gab diesen Schatz an die nächsten Generationen weiter. Auch Leute, die sonst nichts oder allenfalls Konfektionsware lasen, hatten ihren Wilhelm Busch im Haus. Die zwei dicken, schweren Bertelsmann-Bände mit den roten Buchrücken - herausgegeben übrigens von einem Lektor namens Rolf Hochhuth (ja, der Rolf Hochhuth) - standen auch bei meiner Großmutter im Regal. Es war ein Fest, in den Bildergeschichten zu schmökern, in "Fipps der Affe" oder in "Plisch und Plum", und sogar das, was alle kannten, "Max und Moritz", war aufregend erzählt: "Aber wehe, wehe, wehe! / Wenn ich auf das Ende sehe!" Wer das für grausam hält, für finstere, schwarze Droh-Pädagogik und nicht für hohe Dichtkunst, dem fehlen die nötigen Antennen, dem mangelt es an Freud und Freude. Mein Lieblings-Busch ist "Tobias Knopp"; den hatten meine Eltern mir und meinen Brüdern vorgelesen, als wir kleine Kinder waren. Hinreißend sind die Abenteuer des unzufriedenen Junggesellen, der, einen Ehehafen suchend, durchs Land strummselt und eiert. Busch hat auch hier Klassiker der komischen Dichtkunst geschaffen; ohne sie zu verstehen, hatte ich schönste Verse wie diese abgespeichert: Transpirierend und beklommen, Ist er vor die Tür gekommen, Oh, sein Herze klopft so sehr, Doch am Ende klopft auch er. Wie erschrak die Gouvernante, Als sie die Gefahr erkannte. Schwierig, aus verschiednen Gründen Ist das Schlüsselloch zu finden. Und es steigert noch die Lust, Wenn man immer sagt: du musst. Da sitzt jede Silbe, die Präzision von Rhythmik und Melodie verleiht dem spöttischen Gehalt die Leichtigkeit, die alle von Busch Ertappten und Getroffenen zögern lässt, in verräterische Nöckerei oder allzu lautes Wutgeheul auszubrechen. Gleichwohl lösten seine komischen Verse Unmut aus; Busch wurde als bösartiger Weltverneiner geschmäht - oder aber als Possenreißer für die ganze Familie verharmlost. Beides trifft nicht zu. Busch sah genau hin und hörte genau zu, er war ein Großspötter, ein Welt- und Menschendurchschauer von Schopenhauer'schen Ausmaßen und trieb seine Späße mit allem und allen. In der Eröffnung der "Frommen Helene", heißt es: Wie sie schauen, wie sie grüßen! Hier die zierlichen Mosjös, Dort die Damen mit den süßen Himmlisch hohen Prachtpopös. - Die nächste Strophe des 1872 geschriebenen Werks hat viele gut meinende Menschen nachträglich sehr in Rage gebracht: Und der Jud mit krummer Ferse, Krummer Nas und krummer Hos Schlängelt sich zur hohen Börse, Tiefverderbt und seelenlos. - Tiefverderbt und seelenlos, schlängelnd sich zur Börse - böse ist das. Busch griff ironisch auf, was im Schwange war, spielte virtuos mit Klischees, auch mit antisemitischen, und teilte in alle Richtungen gleichermaßen aus. Er war anti-bürgerlich, anti-klerikal, anti-pädagogisch, anti-alles. Gleich die nächsten Zeilen in der "Frommen Helene" lassen den Papst wie seine Gegner nicht unverspottet: Schweigen will ich von Lokalen, Wo der Böse nächtlich prasst, Wo im Kreis der Liberalen Man den Heilgen Vater hasst. - Heute meint man diesen Ton von der Neuen Frankfurter Schule zu kennen. Das ist nicht verwunderlich: Die großen und populären deutschen Dichterzeichner, die nach Busch kamen - Loriot, Hans Traxler, Robert Gernhardt, F.W. Bernstein - stammen allesamt von Wilhelm Busch ab. Und wussten, beziehungsweise wissen das ganz genau. Das letzte Wort hat Wilhelm Busch, mit diesen Versen aus der "Kritik des Herzens": Ach; ich fühl es! Keine Tugend Ist so recht nach meinem Sinn; Stets befind ich mich am wohlsten. Wenn ich damit fertig bin. Dahingegen so ein Laster, Ja, das macht mir viel Pläsier; Und ich hab die hübschen Sachen Lieber vor als hinter mir. (Wiglaf Droste / ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 20/21.04.2007)