Romni, die von Fevzijee Bahar betreut wurde.

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Fevzije Bahar

Foto: Magdalena Blaszczuk;
Viele fühlen sich von BettlerInnen gestört und wollen sich nicht damit auseinander setzen, dass es Armut gibt. "Doch im Grunde genommen", fragt Fevzije Bahar, die Sprecherin der Internationalen Roma Union, "wenn wer da sitzt und um Almosen bittet, wem tut er denn was?" Ein Interview von Kerstin Kellermann.

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derStandard.at: In den U-Bahn Stationen sieht man immer wieder Frauen und Kinder, die um Unterstützung bitten. Gerade wird in Wien wieder ein Bettelverbot diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Fevzije Bahar: Wenn sich eine Frau auf die Straße setzt und stundenlang kniet, vor einem Fetzen Papier, auf dem "Bitte helft mir, meine Familie hungert" steht, und niemandem etwas tut, sehe ich keinen Handlungsbedarf Verbote auszusprechen. Das wurde auch im Gemeinderat diskutiert. Mit einem Bettelverbot kann man die Armut nicht aus der Welt schaffen. Um Almosen zu bitten, bedeutet arm zu sein. Die Verantwortlichen, sprich die PolitikerInnen, machen es sich da ein bisschen zu leicht, denn die Roma wurden seit Jahrzehnten aufs Abstellgleis gestellt. Wenn wir schon im Jahr der Chancengleichheit leben, dann wäre es besser diese Leute in vernünftige, roma-konformen Projekten zu integrieren. Beispielsweise indem österreichische Firmen in Ost-Ländern Romas Arbeit geben.

derStandard.at: Sie sprechen es selbst an, dass viele der Bedürftigen, die man auf der Straße sieht, Roma sind.

Fevzije Bahar: Man muss das Kind beim Namen nennen. 90 Prozent der Leute, die auf der Straße um Geld fragen, sind Roma. Aber sie tun das nicht aus Jux und Tollerei, sondern aus ihrer Aussichtslosigkeit und Armut heraus. Man braucht ins ostslowakische Kosice zu fahren, um zu sehen, wie die Menschen dort leben. Das ist aber nicht nur in der Slowakei so, sondern in vielen Ländern. Beispielsweise im Schulsystem: Für die Romakinder gibt es nur Sonderschulen. Europa bekennt sich zur Kinderrechtsschutzkonvention. Warum passiert dann hier nichts? Nicht mit einem Verbot, sondern mit einem Gebot.

derStandard.at: Kommen auch organisierte Roma-Bettlergruppen nach Wien?

Fevzije Bahar: In Relation zu den vielen Roma-Familien, die nach Wien kommen, sind die so genannten organisierten Banden eine kleine Minderheit und in diesen Fällen macht die Exekutive, davon gehe ich aus, gute Arbeit. Man muss aber hinterfragen, warum die Roma ihre Kinder beziehungsweise ihre Töchter dem aussetzen. Die Armut zwingt die Roma aus ihren Herkunftsländern zu flüchten. Das bedeutet aber nicht, dass ich als Person, als Frau, als Romni oder als Sprecherin der "Internationalen Roma Union" das begrüße - im Gegenteil. Wenn Mädchen zur Prostitution gezwungen werden, dann sollte das von der Exekutive verfolgt werden. Aber das grundsätzliche Problem ist auf diese Weise nicht aus der Welt zu schaffen. Jetzt läuft es so, dass die Exekutive aufgegriffene Kinder in die Kriseninterventionsstelle der MA 11 bringt und die führt sie nach drei Tagen wieder zurück in ihre Länder. Gleichzeitig kommt wieder der nächste Schub Kinder.

derStandard.at: Wo sollte man Ihrer Meinung nach ansetzen?

Fevzije Bahar: Für Österreich ist es ganz wichtig mit einem Opferschutz-Zentrum zu beginnen. Wir brauchen einfach Räumlichkeiten. Man muss die Eltern vor Ort aufklären, was mit ihren Kinder passiert, und Projekte zwischen Österreich und den Herkunftsländern aufbauen, damit man ihnen dort Möglichkeiten anbietet. Ich habe mit sehr vielen Romafamilien hier gesprochen und die versicherten mir, wenn sie eine Arbeit in Rumänien oder Bulgarien hätten, würden sie niemals auf die Straße gehen. Ich verstehe schon, dass man nicht vier Millionen Roma aus Rumänen einen Neubeginn anbieten kann. Aber ich hatte mehrere Familien bei mir in den Beratungsstelle Internationale Romani Union und im Thara Haus, die in Österreich betteln, damit sie überhaupt den Winter überleben. Ein 13-jähriges Mädchen hatte einen Kreislaufkollaps, weil sie nichts gegessen hatte. Als wir 400 Euro für eine Familie zusammen brachten, sind die nach Hause gefahren. Jetzt habe ich von einem 17-jährigen Mädchen gehört, das gestohlen hat und einige Zeit im Gefängnis in Stein verbringen musste.

derStandard.at: Caritaspräsident Küberl meinte in der Pressestunde, dass es viele Leute nicht einmal aushalten BettlerInnen zu sehen.

Fevzije Bahar: Die Leute fühlen sich gestört in ihrem Leben, in ihrem Wohlergehen, im Wohlstand. Die Leute wollen sich nicht damit auseinander setzen, dass es Armut gibt. Denn im Grunde genommen, wenn wer da sitzt und bettelt, wem tut er denn was? Um Unterstützung zu bitten ist keine Lösung auf die Dauer, aber man lässt dem Menschen ja auch keine Wahl. Was sollen sie denn tun, bitte? Keinem von diesen Leuten würde es einfallen zu sagen, komm her, hier hast du einen Arbeitsplatz, jetzt ganz abgesehen von den Arbeitsbewilligungen etc. Wir sind zu Wohlstand gekommen, weil wir andere Rahmenbedingungen hatten.

derStandard.at: Inwieweit sollte Österreich oder die EU hier tätig werden?

Fevzije Bahar: Man muss mit den Herkunftsländern zusammen arbeiten, wobei insbesondere die EU Druck machen sollte, damit vor Ort Rahmenbedingungen für die Roma geschaffen werden. In sinnvollen Projekten: Es hat keinen Sinn, Lernprojekte für Kinder zu machen, wenn sie kein Geld für Kleidung, Schulbücher oder ein Kipferl haben. Im Dezember war ich im Kosovo. Vor dem Krieg lebten dort 450.000 Roma, jetzt sind es 40.000. 80 Prozent der Familien haben keine Arbeit. Die Jugendlichen sind sehr motiviert in die Schule zu gehen, haben aber kein Geld für die Studiengebühren von 150 Euro im Jahr für die Hochschule. Die Caritas Schweiz unterstützt mit Stipendien, aber pro Kind nur ein einziges Mal. (derStandard.at/24.4.2007)