Marie Zimmermann: Die Theaterermöglicherin und Festwochen-Managerin konfrontierte die Stadt Wien mit den Einsichten einer notorisch Unzufriedenen – eine Aufklärerin in schwierigen Zeiten.

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Marie Zimmermann hat sich am Mittwoch in Hamburg das Leben genommen.

Hamburg/Wien – "Geht nicht – gibt's nicht": Mit hemdsärmeligen Mottos wie diesen hatte sich die gelernte Journalistin und Dramaturgin Marie Zimmermann (51) ein Macher-Image verpasst, das ihrer so resoluten wie stupenden Intelligenz entsprach. Zimmermann, die heuer ihre letzte Saison als Schauspielchefin der Wiener Festwochen absolviert hätte, war kopfüber in die Donau-Metropole eingetaucht. Sie machte aus ihrem Status als hinzugezogene Fachkraft jedoch niemals ein Hehl: Vermied achtsam jene Näheberührungen, die hierorts als Ausweis von Integrationsleistung gelten.

Die gebürtige Aachenerin, Tochter einer katholischen Großfamilie, fand auch außerhalb der Festwochen-Saisonen Gehör. Sie war, als Theatermanagerin mit bewunderungswürdiger Stadttheaterausbildung, strikte Vertreterin der Moderne. Nur ideologisieren konnte man mit ihr schlecht: Auch wenn sie jederzeit druckreif über die Belange von Bühnenkunst und Gesellschaft dozierte, sang sie der "bundesrepublikanischen" Fortschrittsgewissheit – gemeiniglich an das Jahr 1968 und dessen vielfach niederschmetternde Folgen gebunden – ein eher garstig Liedlein hinterher.

Zimmermann war Praktikerin. Auch wenn sie gelegentlich wie ein Durchlauferhitzer von Diskursproben und -brocken wirkte, schloss sie mit den Repräsentationsbedürfnissen nicht nur der Wiener eine Art Kompensationsfrieden. Sie konnte sich gedanklich, aber auch ganz kindlich an Aufführungen erfreuen, die Tore zur Weltgesellschaft aufschlossen, indem sie keine ästhetischen Gehalte vergeudeten. Vor allem aber war Marie Zimmermann "Theatertier".

Festival-Erfahrungen

Brannte für ein Gewerbe, das sie großteils an der Seite ihres Intendanten-Gemahls Friedrich Schirmer erlernt und verinnerlicht hatte – etwa in Freiburg und in Stuttgart. Sie leitete das Festival "Theaterformen" in Braunschweig und Hannover, und sie war – nach 2007 – am Sprung nach Nordrhein-Westfalen, wo sie die Ruhrtriennale übernommen hätte. Ein Schritt, den Zimmermann als eine Art Heimkehr empfand. Nun wird nichts mehr daraus ...

Als "Jägerin" und "Sammlerin" verstand sie sich: Im Zeitalter der Management-Künstler war Zimmermann ein rares "Medley aus Suhrkamp Wissenschaft und Fußballplatz" (Süddeutsche Zeitung), das den Wechselfällen einer unbarmherzigen Globalisierungsbewegung unverdrossen hinterherspürte, um im nächsten Moment das traumatische Jahr 1934 (bei den Festwochen) auszuloten oder um in Stuttgart den "Schwabenblues" von vielköpfigen Chören singen zu lassen.

Die Überführung des Projektes "Aufklärung" auf weniger erschlossene Gebiete – worunter man auch Wien ob gewisser Strukturprobleme zählen darf – hat den Konsumenten etwa Begegnungen mit osteuropäischen Theatermachern beschert. Den verantwortlichen Politikern aber die Geschliffenheit eines Diskurses, der von ihr meist dann unwilliger betrieben wurde, wenn sie spürte, wie sehr hierzulande "Personalfragen" nüchterne Erwägungen des Wünschbaren dominieren. Dass sie selbst eine Zeit lang als Nachfolgerin von Emmy Werner für die Direktion des Wiener Volkstheaters gehandelt wurde, erscheint, so gesehen, schon wieder als Witz.

Zimmermann litt die vergangenen eineinhalb Jahre an einer manisch-depressiven Erkrankung. Sie setzte ihrem Leben vorgestern Mittwoch in einem deutschen Klinikum ein Ende. Die hiesigen politischen Nachrufer verliehen ihrer Betroffenheit vor allem mit Helligkeitsmetaphern Ausdruck. Kulturstadtrat Mailath-Pokorny (SPÖ) erhob sie zur "Lichtgestalt". Bundeskanzler Gusenbauer bezeichnete ihren beruflichen Werdegang als "Lichterkette". Festwochen-Chef Luc Bondy, der sie 2001 geholt hatte, blieb schlicht: Seine "große Freundin" habe sich "entschlossen, aus dem Leben zu gehen". Seine große Trauer teilen viele. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.4.2007)