Gibt es eine verborgene Struktur hinter dem Universum – so wie ein Uhrwerk hinter der Uhr? Eher nicht, vermuten Wiener Quantenphsiker nach ihrem neuesten Experiment.

Foto: IQOQI
Wien/London - Existiert der Mond, auch wenn niemand hinschaut? Unser Alltagsverstand und die klassische Erkenntnistheorie bejahen die Frage: Wir können davon ausgehen, dass ein Objekt - unabhängig davon, ob wir diese beobachten oder nicht - "reale" Eigenschaften besitzt (wie Farbe, Form, Ort oder Geschwindigkeit).

In der Quantenphysik hingegen gelten solche uns selbstverständlichen Annahmen nur bedingt. Und nach einem neuen Experiment von Wiener Quantenphysiker um Markus Aspelmeyer und Anton Zeilinger, das heute in der Wissenschaftszeitschrift "Nature" veröffentlicht wird (Bd. 446, S. 871-875), lässt sich sagen: weniger denn je.

Zum besseren Verständnis ihrer neuen These, die von den Physikern vor einem Jahr selbst noch "für sehr unwahrscheinlich" gehalten haben, wie Markus Aspelmeyer im STANDARD-Interview betont, muss man freilich etwas weiter ausholen.

Ging die klassische Physik noch davon aus, dass es eine externe Realität unabhängig von der Beobachtung gibt ("Realismus") und dass sich genügend weit entfernte Objekte nicht beeinflussen können ("Lokalität"), so wurden diese uns selbstverständlichen Annahmen durch Quantenexperimente widerlegt: Es gibt entfernte Lichtteilchen, die aber mittels "spukhafter Fernwirkung" (Einstein) miteinander verschränkt sein können: Bestimmt man die Polarisation (also die Schwingungsebene des Lichts) des einen Teilchens, so kennt man augenblicklich auch den Zustand des anderen Teilchens.

Eine Beschreibung der Natur, die beobachtete Quantenphänomene mit einschließt, muss folglich entweder auf "Lokalität" oder "Realismus" verzichten. Bleibt die Frage: auf welche dieser beiden geläufigen Annahmen? Oder gar auf beide? Diese Fragen konnten bislang nicht beantwortet werden.

Das Experiment des Wiener Teams wirft ein neues Licht auf diese Frage. Angeregt wurden sie dabei von einer theoretischen Arbeit des Physik-Nobelpreisträgers 2003, Sir Anthony J. Leggett. Er erkannte, dass die gemeinsame Annahme von Nichtlokalität und von einer anschaulichen Form des Realismus (nämlich dass Teilchen gewisse Eigenschaften unabhängig von Messungen besitzen) im Widerspruch steht zu bestimmten Vorhersagen der Quantentheorie.

Die Wiener Quantenphysiker testeten nun Leggetts Theorem experimentell, fanden es bestätigt und können deshalb bessere Antworten auf die Frage nach dem Verzicht von "Lokalität" und "Realität" geben. In den knappen Worten Aspelmeyers: "Es genügt jedenfalls nicht, bloß das Konzept der Lokalität aufzugeben." Es müssen zwangsläufig gewisse anschauliche Eigenschaften der Wirklichkeit aufgegeben werden.

Anwendungen sieht der junge Quantenphysiker bei dieser neuen Arbeit, die im Grenzgebiet zwischen Physik und Erkenntnistheorie angesiedelt ist, nicht wirklich. Doch sie habe Konsequenzen für unser Verständnis der Quantentheorie. Ein mögliche Lösung sei zum Beispiel ein "nicht-realistischer" Ansatz, den Anton Zeilinger gemeinsam mit seinem Kollegen Caslav Brukner ausgearbeitet hat und der Information ins Zentrum stellt.

Ihre Kernthese: Ein elementares System kann nur eine begrenzte Menge an Information tragen, woraus sich die quantenphysikalischen Phänomene ergeben. Im konkreten Experiment war nicht genügend Information da, um die Realität, d.h. die Polarisation des einzelnen Teilchens vor der Messung, vollständig zu definieren. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.4.2007)