Milder Sonnenschein über einer englischen Strandpromenade, Wellen, die hoch aufragend an die Kaimauer klatschen und kichernde Halbwüchsige mit einem salzigen Sprühregen überziehen - mit einer Rückblende kurz nach Beginn vermitteln Danny Boyle (Regie) und Alex Garland (Drehbuch) Momente eines kleinen Alltagsglücks. Und Sunshine entwickelt sich dann zu einem jener mittlerweile eher seltenen Filme aus dem Genre Science Fiction, die dem Wortsinn auch ganz entsprechen; die Binnenlogik verzichtet auf Fantasy. So steht dann in einem auf die Sonne zugleitenden Raumschiff der Bordpsychologe am simulierten Panoramafenster, weiß natürlich vom euphorisierenden Effekt des Lichts, spielt gerne mit Selbstversuchen. Doch, so mahnt der Kontrollcomputer, Selbstbeschädigung darf nicht passieren, wird er doch noch dringend gebraucht - in einer Weltallmission, die sich durchaus knapp umreißen lässt:

Foto: Centfox

Nach 2050 läßt die Sonne etwas nach, auf der Erde ist's arg ungemütlich, und so soll - mit so viel spaltbaren Materialien an Bord der "Ikarus 2" wie möglich - den solaren Kernfusionen wieder auf die Sprünge geholfen werden. Auftrag hat höhere Priorität als wohlbehaltene Rückkehr, das weiß jeder im Wissenschaftler-Oktett, und die Anspannungen äußern sich typisch: zwei sind zu gockelhaft hitzig, zwei zu introvertiert, zwei ganz kühle Ratio, zwei kalmierend. Es ist die Endphase der Hinreise, Pannen passieren, Behebung kostet Ressourcen und Nerven - und dann tauchen beim Planet Merkur konkrete Spuren der sieben Jahre zuvor gestarteten, erfolglos wie mysteriös verschollenen "Ikarus 1" auf. Kompetenzstreitereien über Prioritäten, Zielkonflikte und das weitere Vorgehen schaukeln hoch - zumal immer klarer zutage tritt, dass ihre Vorgänger massiv religiösen Wahnvorstellungen anheim gefallen sind.

Foto: Centfox

Sunshine richtet sich an Zuseher, die etwa die bizarren Basteleien und Stimmungsschwankungen in der Raumstation MIR mitverfolgt haben, die bei technischem Zeugs mitdenken wollen und sich ihre Faszination für Hitze-Kälte-Extreme erhalten haben. Der Schwenk von der '2001'-artigen Handlungsstruktur in das Finale mit seinem Ghostship-Gruselthrill ist zumindest kurzweilig - auch weil durch äußerst stimmige Charakterzeichnungen aufgebaut. Die Besetzung ist konzentriert (Michelle Yeoh, Cillian Murphy, Chris Evans ...), die Visualisierung adäquat, die Blog-Begleitung stimmig (sunshinedna.de). Speziell die Erfahrungen mit dem von Garland verfassten '28 Days Later' fließen ein, nach 'The Beach' ist dies eine weit gelungenere Zusammenarbeit mit Danny Boyle - und erneut zeigt sich der Innovationswunsch des britischen Genrekinos! Empfehlung. [hcl]

Fotos: Centfox

Die diesseitsgewandte Metaphysik der Wissenschaft und die Religionen - das ergibt immer wieder mal ein weltanschauliches Minenfeld. Ganz einer Campbell'schen Wanderungsdramaturgie aus spiritueller Abwendung, Neusuche und Heimkehr verpflichtet ist jedenfalls The Reaping - Die Boten der Apokalypse. Die Prämisse liegt unter Stephen Hopkins' Regie darin, dass eine Wissenschafterin (Hillary Swank) deswegen eine so fanatisch glaubensfeindliche Aufklärerin ist, weil sie ein Tochtertrauma verdrängt: in einer Missionsstation in Afrika durch einen Ritualmord verloren! Und somit ist sie natürlich wie geschaffen, um in großem dramatischen Bogen zum Glauben zurückzufinden - dank einem kleinen Südstaaten-Städtchen, das von den zehn biblischen Plagen bedroht wird. Und zwar wortwörtlich!

Fotos: Warner

Ein derartiger Stoff-Bombast, so absurd er sein mag, ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Special-Effects-Abteilung: Und so dürfen denn die Heuschrecken einfallen und Kröten in Blutseen platzen, dass es eine rechte Freude ist ... [hcl]


Wer sich freilich einen solchen präpuberträren Manichäismus in Ethikfragen - kompiliert aus gut/böse, richtig/falsch und hell/dunkel - nicht antun will, für den hat das US-Kinoschaffen gottlob auch noch eine Alternative parat, ...

Fotos: Warner

... Richard Linklaters Breitseite gegen die Mechanik der US-Essensbranche. Frei vom eiferischen Duktus der Herren Moore und Spurlock kommt Fast Food Nation als erhellende Satire daher, mit Greg Kinnear als Burger-Marketer mit Kolibakterien-Problem, mit Kris Kristofferson als Old-School-Ranger, mit schuftenden mexikanischen Illegalen, mit Ethan Hawke und, ganz Linklater-gemäß, mit zahlreichen hübschen jungen Gesichtern. Ganz Linklater ist auch das Dahinmäandern der Handlung, die Redseligkeit aller Beteiligten - und die demokratische Grundhaltung, dass ein entspannt belustigtes Erkennen der Realitäten schon eine ganze Menge ist. [hcl]

Fotos: Senator Film

Der Wollschaal über dem saloppen Jackett ist ein wenig zu kräftig geschlungen und über die Schulter geworfen als für die Jahreszeit nötig, der junge Mann darin flaniert durch Paris, kein Plakat eines Filmstars oder einer Plakatschönheit bleibt unstudiert. Eben hat er eine Suche-Zimmer-Annonce an ein schwarzes Brett geheftet, da schiebt sich eine spitznasige Mamselle (Frédérique Bel) ins Bild: "Excusez-moi, Monsieur, mais...". Und keine Minute später wissen wir dreierlei über Emmanuel Mourets "fantaisie amoureuse" Changement d'adresse: Wir sind definitv in einer französischen Post-Nouvelle-Vague-Komödie. Die Beiden sind einfach füreinand geschaffen. Und: Es wird noch achtzig Filmminuten brauchen, bis die das auch beiläufig selbst erkennen. Schrullig sind die Jobs (reproduktiv beide: sie betreibt einen Copy-Shop, er ist klassischer Hornist), schrullig die jeweiligen Privatphantasmen: bei ihr mit großer räumlicher Distanz ein Ethnologe, ...

Fotos: Cinestar

... bei ihm eine junge, melancholische und darin ziemlich gut aussehende höhere Tochter (Fanny Valette), deren Mutter (Ariane Ascaride) findet, Musikunterricht täte der Tranigen gut. Doch zum Glück hat der Film-Autor langfristig Nachsicht mit seinem schüchternen Helden (Kunststück: es ist Emmanuel Mouret in Personalunion) und zaubert einen zupackenden Angeber mit Lederjacke und Sozialehrgeiz herbei (Dany Brillant, ein Glücksgriff: Kandidat für Jean-Reno-Nachfolge). Und es bedarf wohl kaum einer Erwähnung, dass der Weg zum Happyend der Schusseligen mit viel komischem Dialog-Charme gespickt ist. Publikumsliebling in Cannes '06. [hcl]

Fotos: Cinestar

Die Antike aus der geistigen Vereinnahmung durch die Faschisten zu befreien und inhaltlich neu zu besetzen - das war vor allem in den ersten Jahren nach dem Krieg ein europaweites Projekt: Der italienische Autor Cesare Pavese profilierte sich darin, das französische Regie-Paar Jean-Marie Straub und Danièle Huillet hängt gleichfalls dieser Denkschule an - und hat nach 'Dialoghi con Leucó' ('Gespräche mit Leuko') nun auch Quei loro incontri ('Jene ihre Begegnungen' von 1947) für die Leinwand adaptiert - in ihrem spezifischen, sperrigen, dem Thema also durchaus sehr angepassten Regiestil. [hcl]

Wien, Stadtkino

Fotos: Stadtkino

Musik hat viele Freiheiten. Michael Glawoggers dokumentarische Studie über die fragwürdigen, aber eben darin auch bildkräftigen Aspekte globaler 'Megacities' (1998) hatte Zeit, ihre thematische Wirkung zu erzielen und kulturtheoretische Diskussionen zu überstehen. Sie und zusatzätzlich gedrehtes Material sind jedenfalls Ausgangpunkt für Timo Novotny (The Sofa Surfers) für Life in Loops - Megacities rmx, einer mehrfach prämierten, noch bei weitem ästhetizistischeren musikalischen Umarbeitung - mit "symbiotischer Beziehung von Bild und Ton", so der Remixer. [hcl]

Fotos: Filmladen

Eigentlich erzählte sie nichts Neues, die große Berliner Wehrmachtsaustellung 1995: dass nämlich auch reguläre Truppen der NS-Armee in vielen Fällen an Kriegsverbrechen aktiv beteiligt waren. Dann doch überraschend war die Dimension des Aufruhrs rund um sie - belegte dies doch, wie hartnäckig und unreflektiert die Phantasie des "sauberen Landsers" in Köpfe steckte. Anlass für Der unbekannte Soldat, eine verdienstvolle und materialreiche Dokumentation von Michael Verhoeven über historische Bildquellen, die Ausstellung und das Danach. [hcl]

Fotos: Filmladen

Marktanalysen haben ergeben, dass die kleinen Roller zwar noch viel Zukunft haben, der Markt für schwere Mottorräder jedoch in sich kollabiert - und sich auf Biedermänner der Alterklasse 40plus einengt. Passend dazu kommt die Disney-Komödie Born To Be Wild - Saumäßig unterwegs / Wild Hogs (Regie: Walt Becker) mit John Travolta, Martin Lawrence, William H. Macy und Tim Allen. Als Weekend-Biker mit Selbsterfahrungswünschen begegnen sie darin "echten", angeführt von Ray Liotta. Ein Aufeinandertreffen mit Rechtsanarchisten könnte theoretisch in einen 'Deliverance'-artigen Showdown münden, hier bleibt's bei Turbulenzen mit Slapstick-Elementen. Denn, variiert, Marktanalysen haben ergeben ... [hcl]

Foto: Buena Vista

Schrulliger, aber weithin gängiger Denke gemäß bedeutet ein Attentat auf den US-Präsidenten (wie auch auf Skyscraper) eine Frontalattacke auf US-Männlichkeit an sich. Symbolik, körperlich empfunden - das Genre der "Bodyguard"-Filme ist denn auch eines der pathetisch verdichteten Maskulinitätsdiskurse. "Streetwise" ist das Etikett, welches "Marky" Mark Wahlberg im Vergleich mit seiner Kollegenriege Leo, Matt und Ben zufällt, und markig fällt in dem von Antoine Fuqua ('Training Day') effizient hochgedrehten Politthriller Shooter der Held aus: einzelgängerischer Scharfschütze gegen ranghohe Korrupte. Na schön, sei so. [hcl]

Ausführlicheres siehe in der Besprechung von Dominik Kamalzadeh

Link: shooter-film.de

Foto: UIP

Fernab der Hollywood-Maschinerie läuft von 25. bis 29. April im Wiener Schikaneder sowie an anderen Orten Kino bei freiem Eintritt das Underdog Filmfest 2007 (Im Bild: 'Un peu de couleur').


Und weiterhin läuft im Metro Kino die vom Filmarchiv Austria ausgerichtete Retrospektive Peter Kern - siehe dazu den Artikel von Claus Philipp

Details, Programm: filmarchiv.at

Foto: Underdogfilmfest

Eine kleine feine Premiere: Vom 19. bis 22. April findet im Topkino das Erste türkische Frauenfilmfestival in Wien statt. Das Motto ist "Filmemacherinnen aus der Türkei", was bedeutet: Auch im Film soll es nicht grauen Eminenzen oder Wölfen überlassen sein, wie Frauen repräsentiert sein sollen - und was türkisch ist. Formale und inhaltliche Vielfalt ist Programm, Feminismus und Alltag sind ja nichts Papierenes. Mehrere Regisseurinnen sind als Gäste, Gesprächspartnerinnen und (warum auch nicht) Vorbilder zugegen. Kernzielgruppe sind die Töchter und deren Bekanntenkreis, konstruktiv und homogen soll Bewußtseinsentwicklung ja ablaufen. Die Themenfelder sind vielfach alltagsnahe, einige Dosen an (vielfach unfreiwilligem) Humor sind, bei allem Problembewußtsein, eingestreut. Es soll kein Einmal-Event bleiben, Fortsetzung im nächsten Jahr ist schon in Planung. [hcl]

Wien, Topkino
Details, Programm: kadinfilm.com

Fotos: Kadinfilm

Bei der Retrospektive Josef von Sternberg im Österreichischen Filmmuseum stehen in diesen Tagen mehrere Vorträge am Programm: am Do., 19.4., um 18:30, von Werner Sudendorf zu "Sounds like Sternberg" und dem Dietrich-Mythos, gefolgt um 19:45 von der Kompilation 'The Case of Lena Smith und andere Sternberg-Raritäten' - mit Präsentation eines neuen Buches dazu; am Freitag, 20.4., um 18:30, dann von Janet Bergstrom zu "Sternberg, a Study in Paradox" vor der Ausstrahlung von 'The Salvation Hunters' (19:45, o.). Spezielle Konsumempfehlung für 'Jet Pilot' am 25.4. (l.u., Kalter-Kriegs-Spass, 'Ninotchka' meets Proto-James-Bond, John Wayne im Liebhaberpart) und 'Dishonored' (r.u., 21.4., 21:15): drolliges Phantasie-Wien, in einigen Detailaspekten ein 'Dritter Mann'-Vorläufer - und mit einem diesmal zaristischen Aviator. [hcl]

Ausführlicheres zur Retrospektive siehe im Artikel von Isabella Reicher

Fotos: Filmmuseum

Vorschau mit Empfehlung auf die Retrospektive Peter Watkins vom 25. April bis 4. Mai 2007, die mit seinem legendären Film 'The War Game' (1965) eröffnet, der hypothetischen "Rekonstruktion" einer Nuklearattacke auf England: daheim verboten, 1967 Oscar-prämiert. Politischer Biss, Hellsicht und eine bewegliche Verwendung dokumentarischer Formen kennzeichnen den gebürtigen Briten. Zwei sehr zugängliche Ansätze: 'Privilege' von 1967 (26.4. 21:15) behanmdelt eine mögliche Instrumentalisierung von Popstars zur Vermittlung reaktionärer Inhalte und 'Punishment Park' von 1971, der, bereits in den USA, die Hypothese einer aggressiver werdenden Nixon-Regierung und ihrer (gesetzlich gedeckten) Behandlung des "internen Sicherheitsnotfall" der Antikriegsproteste entrollt. P.S.: Gar so paranoid, wie's klingen mag, sind die Werke nicht, die Historie wendete sich nur zum Besseren. Empfehlung jedenfalls. [hcl]

Details, Programm: filmmuseum.at

Fotos: Filmmuseum

Und schließlich: Von weiten Teilen Österreichs ist Linz nicht mehr als drei Stunden entfernt; es gibt also relativ wenig Ausreden, das wie gewohnt sehr qualitätsbedacht ausgewählte Linzer Filmfestival Crossing Europe (vom 24. bis 29. April) nicht besucht zu haben. Es sind jeweils Werke mit regionaler Verankerung und internationalem Blickwinkel (drei Specials etwa kommen aus Katalonien, Bosnien und Rumänien), es sind meist junge Produkte, die Musikbetonung ist eine starke. Und wer etwa den skandinavischen Chansonnier Magnus Aronson noch nicht erlebt hat, wie er in Laurin Federleins 'Build a Ship, Sail to Sadness' schottische Highlandbewohner mit der Idee einer reisenden Disko missionieren will ... tja, der hat was versäumt. [hcl]

Details, Programm: crossingeurope.at

Hans Christian Leitich [hcl], 19. 4. 2007

Fotos: CrossingEurope