Bärbel Klepp: "Viele können beim Arzt nicht zuhören. Ich würde mir deshalb wünschen, dass jeder Patient beim Verlassen einer Praxis einen Arztbrief bekommt."

Foto: Standard/Hendrich

Michael Musalek: "Der Patient kann die Qualität eines Arztes nicht nach dessen Fachkompetenz, sondern nur über Sympathie und Vertrauen beurteilen."

Foto: Standard/Hendrich
Ärzte und Patienten reden oft aneinander vorbei. Beidseitige Überforderung, sagt Psychiater Michael Musalek. Konsumentenschützerin Bärbel Klepp nennt Signale, die Patienten zu einem Arztwechsel veranlassen sollten. Die Fragen stellte Stefan Löffler.

STANDARD: Sie kennen sicher den Satz, ein guter Arzt muss ein guter Diagnostiker, aber ein schlechter Mensch sein.

Musalek: Selbst bei einem Pathologen oder Histologen ist das nicht gut. Wo wir mit Menschen zu tun haben, ist Kommunikation ein wesentlicher Teil des Arztberufs.

STANDARD: Wird das Gespräch mit dem Patienten im Medizinstudium gelehrt?

Musalek: Seit einigen Jahren schon, aber nicht als ich vor dreißig Jahren studiert habe. Ich bin aber privilegiert durch das Fach Psychiatrie und weil ich eine Psychotherapieausbildung gemacht habe, wo alles darauf hinzielt, wie ich ein Gespräch führe.

STANDARD: Frau Klepp, im Auftrag des Vereins für Konsumenteninformation testen Sie Ärzte. Wie schneidet die ärztliche Gesprächsführung ab?

Klepp: Wir hatten einmal einen Arzt, der unsere Testpatientin bei einem so beratungsintensiven Thema wie Osteoporose in drei Minuten abgefertigt hat, und dieses Gespräch ist auch noch dreimal unterbrochen worden, weil der Arzt Rezepte unterschrieben oder Telefonate angenommen hat.

Musalek: In dem Gespräch ist alles falsch gelaufen. Die Patientin bekam nicht das Gefühl, dass sie im Mittelpunkt des Interesses steht.

Klepp: Beim Wahlarzt kriegen Sie aus unserer Erfahrung nicht unbedingt die bessere Behandlung aber mehr Aufmerksamkeit. In Kassenpraxen ist Zeit offenbar ein so kostbares Gut, dass oft schnell therapiert und zu wenig kommuniziert wird.

Musalek: In der Kommunikation kommt es nicht nur auf die Zeitdauer, sondern oft auch auf den rechten Zeitpunkt an. Wenn der Patient in einer Angstsituation ist, und ich überschütte ihn mit Informationen, hat dieser Mensch keine Chance, es aufzunehmen.

Umgekehrt kann ich bei einem ausgeglichenen Patienten in wenigen Minuten massiv mehr bewegen. Wie versteht der andere etwas? Wie kann er es überhaupt verstehen? In vielen ärztlichen Gesprächen sind beide Seiten überfordert.

Klepp: Für den Arzt ist es manchmal leichter, wenn er missverstanden wird und auf gewisse Probleme nicht einzugehen braucht. Als bei meinem Schwiegervater ein Glioblastom diagnostiziert wurde, verstand meine Schwiegermutter, dass ihm eine gefährliche Operation bevorstand, aber wenn er die überlebt, alles in Ordnung sei. Der Arzt hätte ihr klar sagen müssen: "Hören Sie zu, das ist jetzt zwar eine Operation, aber Ihr Mann stirbt."

STANDARD: Oder ansprechen, ob diese Operation überhaupt noch gemacht wird?

Klepp: Klar, auch das wäre eine Möglichkeit gewesen.

Musalek: Mit einem Gespräch ist eine so komplexe Situation wie, ob jetzt noch operiert wird oder nicht mehr, gar nicht zu bewältigen. Da braucht es mehrere Gespräche und wahrscheinlich auch abgestufte Informationen. Das verbreitetere Missverständnis ist aber, dass ein Tumor diagnostiziert wird. Wenn heute ein Mensch Tumor hört, glaubt er nicht, dass das ein gutartiger ist ...

Klepp: ... sondern, dass er quasi schon tot ist.

Musalek: Die Diagnose hat in der Medizin einen Riesenstellenwert und natürlich auch die richtige Behandlung. Das ärztliche Gespräch wird dagegen unterschätzt.

Klepp: Dieses Imageproblem besteht auch auf Patientenseite: "Der Doktor hat nichts getan, der hat nur geredet." Der Patient ist glücklich, wenn er wenigstens mit einem Rezept rausgeht.

Musalek: Vergessen wir nicht, dass der Patient die Qualität eines Arztes in der Regel nicht nach dessen Fachkompetenz beurteilen kann, sondern über Sympathie, Vertrauen und interaktionelle Kompetenz.

STANDARD: Wie schnell bildet sich ein Patient ein Urteil über den Arzt?

Musalek: Genauso schnell wie wir alle, nämlich beim Erstkontakt. In meiner Ordination hole ich jeden Patienten im Wartezimmer ab, geb ihm dort die Hand und begleite ihn ins Ordinationszimmer. Das mach ich nicht aus Freundlichkeit, sondern dabei kriege ich schon viele Informationen.

Das ist ganz etwas anderes, als wenn der Patient über einen Lautsprecher ausgerufen wird, zum Arzt hineingeht, der hinterm Schreibtisch sitzt, noch etwas in den Computer tippt und sagt: "Ein Momenterl noch."

Klepp: Raten Sie einem Allgemeinmediziner mit Kassenpraxis zum Abholen der Patienten, erklärt der Sie für realitätsfremd.

Musalek: Das Abholen dauert 25 Sekunden, wenn ein Patient gehbehindert ist, vielleicht 35 Sekunden. Aber ich hab mir mit diesen 35 Sekunden fünf Minuten gespart, um Kontakt aufzunehmen und eine Vertrauensbasis aufzubauen. Entscheidend ist, dass der Patient spürt, dass auf ihn zugegangen wird. Wer von uns ist schon gerne Bittsteller?

Das führt bei den einen zu Aggressionen, bei den anderen zu Verschlossenheit. Wenn ich mir im Erstgespräch mehr Zeit für einen Patienten nehme, erspar ich mir später viele Nachfragen und Beschwerden.

STANDARD: Gibt es Warnsignale bei denen sich Patienten fragen sollten, ob sie beim richtigen Arzt sind?

Klepp: Wenn das Gespräch wiederholt unterbrochen wird. Wenn der Arzt schnell Leistungen anbietet, die nicht von der Kasse bezahlt werden. Oder wenn der Arzt nur auf eine einzige Option eingeht.

Der Patient hat das Anrecht zu erfahren, welche Alternativen es gibt, wie da die Prognosen sind, um sich dann gemeinsam mit dem Arzt auf eine für ihn richtige Variante zu einigen.

Musalek: Schon aus rechtlichen, vor allem aber aus menschlichen Gründen muss der Arzt den Patient aufklären, ihm auch die zweitbeste und drittbeste Lösung mitteilen. Umgekehrt bringen wir die Menschen, wenn wir vom mündigen Patienten sprechen, in Überforderungssituationen.

Mündigkeit setzt voraus, dass ich ein umfassendes Wissen habe, um entscheiden zu können. Ich plädiere dafür, dass wir nicht ins andere Extrem verfallen, indem wir dem Patienten alle Entscheidungen überlassen und ihn damit überfordern. Dann haben wir zwar dem Recht Genüge getan, aber nicht der Menschlichkeit.

Klepp: Da sind wir bei den Aufklärungsbögen in den Spitälern, die selbst für kleinste Eingriffe immer dicker werden.

Musalek: Die Entscheidung beginnt ja eigentlich erst dort, wo ich in beiden Fällen Nachteile in Kauf nehme. Wir neigen dazu, komplexe Problemstellungen auf ein einfaches Maß herunterbrechen zu wollen. Nämlich ich sag jedem alles gleich auf den Kopf zu, oder ich sag niemandem etwas - beides geht am Problem vorbei.

STANDARD: Wir haben bisher vor allem über die Schwierigkeiten der Ärzte gesprochen, wie steht es mit den Patienten?

Klepp: Viele erscheinen vor dem Arzt wie in einer Prüfungssituation. Sie sind so darauf konzentriert, was sie alles nicht zu erwähnen vergessen dürfen, dass sie nicht zuhören können. In der Folge ist es in der Allgemeinmedizin oft so, dass der Arzt Therapieschritte einleitet, und was der Patient macht, etwas sehr anderes ist.

Ich würde mir wünschen, dass jeder Patient, der eine Praxis verlässt, einen Arztbrief mitbekommt. Die meisten Ärzte mit Kassenpraxis erfassen ihre Patienten heute mit einem Computersystem. Der Arzt braucht nur einen Schritt weitergehen und daraus einen Brief kreieren.

STANDARD: Was sollte denn in so einem Brief Ihrer Meinung dann drinstehen?

Klepp: Das Datum, Ihr Name, Ihre Symptome, eine Diagnose, welches Medikament wie oft eingenommen werden soll, welche Befunde einzuholen sind, der nächste Arztbesuch. Wer etwas Schriftliches in der Hand hat, fühlt sich als Patient mehr verpflichtet, kann sich aber auch wehren und erkennen: Das will ich eigentlich nicht.

Musalek: Egal, wie ausführlich ein Arztbrief ist, er wird immer verkürzt sein, und es wird zu Missverständnissen kommen. Nach dem Erstgespräch müsste der Arzt alle Verdachtsdiagnosen draufschreiben, was einen Patienten belasten und verunsichern kann. Das Schreiben dieses Briefes würde die Gesprächssituation außerdem stark verändern.

Klepp: Aber in den Allgemeinpraxen schauen Ärzte oft ohnehin jetzt schon mehr auf den Bildschirm als zum Patienten.

Musalek: Es geht aber nicht nur darum, was wir sagen, und auch nicht nur, wie wir es sagen, sondern auch, was wir dabei körperlich tun. Nehmen Sie einen Arzt, dem während der Visite bei der Durchschau des Krankenblattes etwas auffällt und der beginnt, ernst zu werden. Da kann er leicht etwas transportieren, was dem Patienten ganz furchtbar erscheint. Oder die Sitzordnung in der Ordination: Ein breiter Schreibtisch schafft eine enorme Distanz.

Klepp: In modernen Ordinationen sitzen Arzt und Patient schon meist ums Eck ...

Musalek: ... weil es den Vorteil hat, dass ich zeitweise in Distanz gehen und dann auch wieder näherrutschen kann.

STANDARD: Wer bekommt mehr Aufmerksamkeit: Der gebildete Patient, der sein Leiden gut beschreiben und den Arzt gut verstehen kann, oder der weniger gebildete Patient, der mehr Erklärungen benötigt?

Musalek: Ich fürchte, die meiste Aufmerksamkeit bekommt der fordernde Patient. Was auch deshalb tragisch ist, weil viele nicht fordernde Patienten depressive Patienten sind.

(Stefan Löffler/MEDSTANDARD/16.04.2007)