Samuel Pepys: "Der erotische Pepys".
Ausgewählt von Helmut Krausser, übersetzt und kommentiert von Georg Deggerich. € 20,50/238 Seiten. Eichborn, Berlin 2007.

Buchcover: Eichborn

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Foto: Archiv
Zwischen 1660 und 1669 führte der englische Karrierist und Sinnesmensch Samuel Pepys akribisch Tagebuch. Über hundert Jahre später wurden die fast 4000 Seiten umfassenden Aufzeichnungen in der nach dessen Tod in Cambridge verwahrten Bibliothek des Bibliophilen entdeckt. Heute zählt man sie zur bemerkenswertesten Literatur des 17. Jahrhunderts.

Sie sind ein Dokument aus einer Zeit des Umbruchs, der Remonarchisierung und des beginnenden Bürgertums, doch beileibe nicht nur für Historiker interessant. Da Pepys das Tagebuch allein für sich und in einer nur mühsam rekonstruierten Geheimschrift abfasste, musste er seine Gedanken nicht zensurieren. Das betrifft sowohl seine politischen Ansichten wie auch die Schilderungen der moralischen Nöte, in die sich der Erotomane immer wieder selbst brachte.

Im Eintrag vom 9. Februar 1668 (mit dem Zusatz "Tag des Herrn" versehen) etwa widmet er sich anregender Lektüre: "Vormittags in meinem Zimmer und im Büro gearbeitet und auch ein wenig in L'escolle des filles gelesen, ein ganz und gar obs-zönes Werk, aber durchaus lesenswert für einen charakterfesten Mann, der sich über die Verderbtheit der Welt informieren will."

Nur war Pepys eben das nicht: charakterfest. Er war mit jenem schwachen moralischen Überbau ausgestattet, den sich kaum jemand selbst eingestehen würde und den doch jeder aus eigener Erfahrung kennen dürfte. Genau das macht die Lektüre seiner Geheimen Tagebücher, die vor ein paar Jahren in einer Ausgabe von Volker Kriegel und Roger Willemsen dem deutschsprachigen Lesepublikum erstmals breiter bekannt gemacht wurden, so reizvoll.

Pepys' oft unfreiwillig komische Schilderungen erlauben durchs Schlüsselloch nicht nur den Blick auf einen englischen Casanova, sondern gleichfalls den verschämten Blick auf sich selbst und allzu menschliche Schwächen wie Geldgier, Geilheit oder Eifersucht. Nebenbei: Kann es ein Zufall sein, dass der Name des Verfassers "pi:ps" - wie "he peeps" (er spechtelt) - ausgesprochen wird?

"Weil mir vom vielen Trinken heiß war", heißt es einmal im März 1660, "gelobte ich am nächsten Morgen, in dieser Woche ganz auf starke Getränke zu verzichten, weil ich nachts davon schwitze, und sie mich auch sonst ganz durcheinander bringen." Doch der Geist ist ebenso schwach wie das Fleisch. Schon kurze Zeit später berichtet Pepys von einem Besuch bei Bekannten: "Ich trank, bis die Tochter des Hauses sehr aufdringlich und anschmiegsam wurde; ich fürchte, sie ist nicht so tugendhaft, wie es sich gehört."

Ständig ist der verheiratete Pepys, der durchaus lange, tiefsinnige Gespräche mit seiner Ehefrau führte, aber auch jede Kammerzofe begrabschen musste, hin- und hergerissen. Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück: Einmal gelobt er sich selbst, noch härter an seiner Karriere als Beamter im damals sehr einflussreichen Marineamt zu arbeiten, nur ein paar Tage später wird er seine Mittagspause weit in den Nachmittag hinein ausdehnen, um sich mit der Ehefrau eines von ihm abhängigen Mannes zu verlustieren.

Die Tagebücher ermöglichen auf manchmal humorvolle, manchmal auch schockierende Art Einsichten in menschliches Empfinden. Im Besonderen natürlich in männliches Empfinden, wie Helmut Krausser, selbst Verfasser viel beachteter Tagebücher, nun als Herausgeber des schmucken Bändchens Der erotische Pepys bemerkt: "[W]er Einblicke in eine jugendlich-männliche Seele jenseits aller Verschleierungs- und Entschuldigungsstrategien begehrt, wird hier, auch auf Kosten einer eventuellen Desillusionierung, bestens bedient."

Der erotische Pepys ist freilich nicht in erster Linie als Rat-geber zu lesen, wie Männer ticken, und auch nicht nur als Schmunzel-Lektüre auf hohem Niveau. Obwohl das Buch lediglich einen Bruchteil der Geheimen Tagebücher enthält, funktioniert es als Auswahl daraus erstaunlich gut und macht sogar einen recht kompletten Eindruck.

Krausser fasst den Begriff "Eros" - so heißt übrigens auch sein jüngster Roman - denkbar weit. Neben einigen explizit schlüpfrigen Stellen, die Pepys durch französische und italienische Ausdrücke zusätzlich verschlüsselte, finden auch die anderen Leidenschaften des Verfassers Platz.

Zur damaligen Zeit konnte ein Karrieremensch sich noch an Kunst erfreuen. Speziell das Theater hatte es Pepys angetan, auch wenn er mit kaum einer Aufführung einverstanden war. Zudem war er Mitglied der Royal Society, später sogar deren Präsident, aber auch süchtig nach dem Klatsch über die Affären von Charles II. und leidenschaftlicher Sänger selbst verfasster Lieder.

1669 gehen seine Aufzeichnungen relativ plötzlich zu Ende. Pepys sieht immer schlechter, hat Angst zu erblinden und bricht das Tagebuch ab. Zu diesem Ende beigetragen mag auch haben, dass er nach jahrelangem Versteckspiel schließlich von seiner Frau in flagranti mit einer Zofe erwischt wurde: "Ausgerechnet in dem Moment, als ich con meiner Hand sub su Rock war und meine main tatsächlich in ihrer Ritze hatte, stand plötzlich meine Frau im Zimmer."

Pepys schreibt vom "größten Kummer ..., den ich je erlitten habe." Nicht dass er wirklich reumütig gewesen wäre oder sich nach dem Tod seiner Frau, ein Jahr später, groß verändert hätte. Er soll weiterhin zahlreiche Affären unterhalten haben. Geheiratet hat er später nicht mehr. Samuel Pepys erreichte das für seine Zeit sehr hohe Alter von 70 Jahren. Er hinterließ keine Nachfahren. (Sebastian Fasthuber/ DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.4.2007)