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Mit einfachsten Mitteln wurden in polnischen Städten nach Ende des Zweiten Weltkrieges Wohnhäuser errichtet. Heute handelt es sich dabei praktisch um unsanierbare Bauruinen.

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Der französisch-polnische Bauträger Orco baut im Warschauer Zentrum einen Wohnturm aus der Feder von Daniel Libeskind.

Foto: Orco
Seit Kurzem hat Magda ein echtes Problem. Seit sechs Monaten arbeitet sie als Konzipientin täglich 16 Stunden und mehr in einer bekannten, auf Immobilientransaktionen spezialisierten Anwaltskanzlei in Warschau. "Was sollte ich denn machen? Unsere Kanzlei erstickt förmlich in Aufträgen, noch nie hatten wir so viele Immobilienverkäufe abzuwickeln", sagt Magda verzweifelt. Das kann auch Michael Atwell vom Immobiliendienstleister Cushman & Wakefield bestätigen: "Im Vorjahr sind die Immobilieninvestments in Zentral- und Osteuropa um 45 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro geklettert - vor allem in Polen."

Kaum verfügbare Wohnungen in den Städten

Magda hilft das nicht weiter. Denn zurzeit hat sie kein Dach mehr über dem Kopf - ein fundamentales polnisches Problem. In den großen Städten gibt es kaum noch verfügbare Wohnungen, das Warschauer Consultingunternehmen Rednet hat errechnet, dass im gesamten Land weit über 1,5 Millionen Wohnungen fehlen. Das sind rund zehn Prozent des Gesamtbestandes. Dagegen erscheinen die rund 100.000 Wohnungen, die derzeit jährlich neu gebaut werden, als Tropfen auf den kochend heißen Stein.

"In Wahrheit ist das Problem noch weit größer", erklärt Rednet-Präsident Robert Chojnacki, "allein in Warschau sind 41 Prozent der bestehenden Häuser in derart schlechtem Zustand, dass sie nicht mehr sanierbar sind, sondern abgerissen werden müssten". In ähnlichem Ausmaß treffe dies auf alle Großstädte zu. Der Grund: Diese Häuser wurden kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit einfachsten Mitteln errichtet. Heute handelt es sich dabei praktisch um unsanierbare Bauruinen.

Wohnungen unleistbar

"Mit meinem Einkommen ist es praktisch unmöglich, sich allein eine Wohnung zu leisten", sagt Magda. Die aktuellen Rednet-Statistiken liefern den Beweis: Ende 2004 betrug der durchschnittliche Quadratmeterpreis für eine Neubauwohnung in Warschau noch 4341 Zloty (rund 1000 Euro), heute sind es knapp 8000 Zloty (2000 Euro). Hinzu kommt, dass die angebotenen Wohnungen - wie dies in Polen durchaus üblich ist - im Edelrohbau übergeben werden. Um die Wohnung tatsächlich bewohnbar zu machen, sind nochmals bis zu 500 Euro pro Quadratmeter lockerzumachen.

Kein Wunder also, wenn sich die ganze Immobilienwelt gerade in Polen trifft, um hier Wohnungen zu bauen. Polnische Unternehmen, Israelis, Franzosen, Spanier und Österreicher wie beispielsweise der Wiener Ostpionier UBM - sie alle beteiligen sich am anhaltenden Wohnungs-Hype in Polen. Gleich mehrere Developer stürzten sich auf ein 147 Hektar großes Gelände am Rande Warschaus, das seinerzeit vom polnischen Softwareriesen Prokom angekauft wurde. Trotz des stolzen Quadratmeterpreises von 11.000 Zloty (knapp 3000 Euro) wurden alle 8000 Wohnungen ab Plan verkauft.

Spekulationsrausch

Mittlerweile haben es sich findige Polen zum einträglichen Geschäft gemacht, solche Wohnungen anzuzahlen, um diese knapp vor Fertigstellung mit einem Gewinnaufschlag von 30 bis 40 Prozent wieder am Markt anzubieten. Man könnte von einem wahren Immobilienspekulationsrausch sprechen: Neuerdings kaufen die Polen zu Spekulationszwecken nicht nur bestehende Wohnungen auf, sondern ganze Baugründe. Damit bewirken sie, dass sich die Grundstückspreise - beispielsweise um Warschau und um Krakau - in den letzten Monaten glatt verdoppelt haben. In diesen guten Lagen haben die Wohnungspreise mittlerweile das vergleichbare österreichische Niveau überschritten.

In Warschaus Zentrum entsteht ein Wohnturm aus der Feder von Architekt Daniel Libeskind. Mit seinen 251 Luxusapartements darf das Bauvorhaben des französisch-polnischen Bauträgerriesen Orco bereits jetzt als teuerster Hort über dem Warschauer Himmel erachtet werden. Folgerichtig erinnern die Quadratmeterpreise eher an die Park Avenue in New York als an Warschau.

Keine Unterstützung

Vom Staat dürfen sich Magda und ihre Leidensgenossen keine Hilfe erwarten. Zwar hat die polnische Regierung kürzlich eine Art Wohnbauzuschuss für die geplagten Bürger beschlossen, dieser wird jedoch nur für Wohnungen unter 1000 Euro pro Quadratmeter gewährt. Dafür gibt es in den Großstädten nicht einmal eine Gartenhütte. (Gerhard Rodler aus Warschau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.4.2007)