"Kein vernünftiger Mensch legt sich aus purem Spaß unters Messer", so der plastische Chirurg Jörg Knabl.

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Früher, sagt Jörg Knabl, hätte er die Antwort sofort gewusst. Ohne viel "Wenn" oder "Aber". Denn früher, meint Jörg Knabl, "habe ich die klassisch-volkstümliche Definition von ,Krankheit' bemüht: Wenn die Krankenkasse eine Operation bezahlt, ist sie notwendig. Und alles, was die Kasse nicht zahlt, ist ästhetisch motiviert." Bloß: Das war eben früher. Anfang der 1990er-Jahre. Und im Lauf der Jahre, räumt der plastische Chirurg aus Wien ein, wären ihm dann "mehr und mehr Zweifel" gekommen. Zweifel, ob die Grenze zwischen "guter" (weil notwendiger) und "eitler" (weil ästhetisch motivierter) Schnippelei tatsächlich so strikt gezogen werden kann: "Heute", kratzt sich Knabl an der Stirn, "ist die Grenze für mich nicht mehr klar - denn schließlich geht es in jedem Fall um die Lebensqualität des Patienten. Und die ist immer subjektiv."

Darüber hinaus, so der Chirurg, werde oft ausgeblendet, dass er und die meisten Kollegen seiner Zunft nicht nur in der TV-Magazin-kompatiblen Behübschung weiblicher Kurven aktiv sind: "Soll ein von einer Wucherung befreites Augenlid hässlich bleiben, weil es medizinisch nicht zwingend notwendig ist, da noch weiter nachzubessern? Ganz abgesehen davon, dass die Wiederherstellung der Form meist auch die Funktionalität unterstützt." Doch das zu erkennen, so der seit 1991 als Arzt und seit 1994 als Plastiker tätige Mediziner, entspräche eben nicht der gängigen öffentlichen Nip-Tuck-Rezeption.

Schritt zurück ins Leben

Freilich: Die Steigerung der Lebensqualität reduziert sich längst nicht immer auf die optische Behübschung, betont Knabl dann selbst. Ästhetik werde erst dann zu einem Faktor der eigenen Lebensqualität, wenn andere, wesentliche, mitunter lebenswichtige Bedürfnisse erfüllt sind: Ein Querschnittgelähmter, der am Gesäß so wund ist, dass erst eine plastische Operation es ihm wieder erlaubt, vom Bett in den Rollstuhl zu wechseln, fragt nicht, wie hübsch oder unsichtbar Operationsnarben sind. "Da ist die Steigerung der Mobilität das, worum es geht." Und für Unfallopfer, denen Muskeln und Haut von andere Regionen transplantiert werde, "stellt die plastische Operation oft den Schlusspunkt eines monate- oder gar jahrelangen Leidensweges dar. Da wird die Operation oft als Schritt zurück ins Leben gesehen."

Auch bei schweren Verbrennungen, so der Arzt, gehe es oft "primär ums Überleben. Also darum, die Funktionstüchtigkeit eines Organs - der Haut - wiederherzustellen." Ästhetische Überlegungen stünden da - wenn überhaupt - in der zweiten oder dritten Reihe. Obwohl die durch die oft kaum mehr reparablen Entstellungen verursachten psychischen Belastungen enorm wären. Dass der nächste Schritt deshalb immer heiße, diese Belastungen nach Kräften zu lindern, stehe außer Streit, betont Knabl. Nicht nur bei Verbrennungs- oder Unfallopfern: Und hier endet dann die Definition streng nach medizinischen Kriterien gerechtfertigter Eingriffe, meint Knabl: Die Brustrekonstruktion nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung sei schließlich nicht überlebensnotwendig, aber "darüber, dass das für die Psyche und das Selbstbewusstsein vieler betroffenen Frauen unendlich wichtig ist, besteht wohl Einigkeit."

Kein Verständnis für Wünsche anderer

Hier, meint der Arzt, ende dann die Zone der einfachen Antworten: "Kein vernünftiger Mensch legt sich aus purem Spaß unters Messer." Erst recht nicht, wenn er über Risken und Schmerzen und Kosten des Eingriffes Bescheid weiß. Und darüber hinaus mit wenig Verständnis der Umwelt rechnen darf: Umfragen unter nicht plastisch operierten Frauen belegen, dass fast 100 Prozent dieser Frauen dem Wunsch anderer nach einer Brustvergrößerung mit Ablehnung oder Unverständnis gegenüberstehen. Vorausgesetzt, dass sie selbst ihre Brüste als "groß" oder "groß genug" empfinden. Auch (nicht operierte) Männer stehen ästhetischen Eingriffen mehrheitlich kritisch gegenüber - erwarten aber gleichzeitig von ihren Partnerinnen, immer stärker einem von außen vorgegebenen, ästhetischen Ideal zu entsprechen. Knabls Analyse: "Wer selbst in einer befriedigten Situation ist, hat sehr oft kein Verständnis für die Bedürfnisse und Wünsche anderer. Maßt sich aber an, darüber zu urteilen." Freilich gelte das nicht nur in seinem Metier. (Thomas Rottenberg/Der Standard/rondo/13/04/2007)