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Spanische Treppe, Rom.

Foto: APA/EPA/Renata Alice Thieck
Alle Wege führen zum "sinkenden Schiff", dem berühmten Brunnen vor der Spanischen Treppe. Für die rund 100 Kanuten, die jedes Jahr im April 400 Kilometer auf dem Tiber zurücklegen, ist die Wildwasserroute von Umbrien nach Rom dennoch die schönste.

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Imposant erheben sich vor uns die Tuffsteinfelsen. Eine mittelalterliche Festung thront hoch oben auf jenem Vorsprung, unter dem wir nun die frische Brise eines Akazienmeeres an uns vorbeiziehen lassen. Wir folgen dem Tiber, der sich seit Ewigkeiten seinen Weg durch die Schlucht von Forello bahnt. Sicher, die Aussicht von der Felsenfestung über das Tal muss traumhaft sein, aber auch von unten, in Wasserhöhe, ist das Schauspiel atemberaubend. Hier in den Fluten ist die Begegnung mit der Landschaft das, was man beim Sprachkurs als "full immersion" bezeichnen würde: ein intensives und unvermitteltes Eintauchen.

Paddeln von Umbrien bis Rom

Die Möglichkeit dazu bietet eine Tiberfahrt, die alljährlich vom 25. April bis zum 1. Mai stattfindet. In sieben Tagen paddeln wir von Città di Castello in Umbrien bis nach Rom ? eine Abenteuerreise, die durchaus auch von Anfängern zu meistern ist. Denn der durchschnittliche Schwierigkeitsgrad der Tour liegt gerade mal zwischen WW I und WW II auf der Wildwasserskala, nur in seltenen Fällen wird die Stufe WW III erreicht, was in der Terminologie der Kanuten hohe, unregelmäßige Wellen, einzelne Blöcke, kleinere Stufen, größere Walzen und Schwalle bedeutet. Gute Kondition muss man natürlich mitbringen, um das Tagespensum von circa 25?35 Kilometern zurückzulegen, aber vor allem Lust am spartanischen Leben in der Gruppe.

Sportliches Gesellschaftsspiel

Die Tiberfahrt ist kein Wettkampf, sondern ein sportliches Gesellschaftsspiel. Tagsüber paddeln wir gemeinsam durch die grüne Hügellandschaft, abends lassen wir uns die einfache aber robuste Mahlzeit aus der Feldküche mit typischen Produkten der Region schmecken. Und wenig später strecken wir bereits die müden Glieder auf Luftmatratzen in den Turnhallen oder Campingplätzen aus, die von den Ortsgemeinschaften längs der Strecke zur Verfügung gestellt werden.

Schlichte Fahrgemeinschaft

Von Komfort kann hier nicht die Rede sein, aber offenbar ist es gerade die naturverbundene Schlichtheit, die die Tiberfahrt zu einer beliebten Tour unter Hobbypaddlern gemacht hat. Pünktlich und immer zahlreicher ? zwischen 80 und 100 Teilnehmer zählt diese Fahrgemeinschaft ? treffen sie am 24. April in Città di Castello ein. In den letzten Jahren gesellen sich nun auch häufiger Kanuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Truppe, auf dem Willkommensfest im Kanuclub vernimmt man ein fröhliches Kauderwelsch italienisch-deutscher Verständigungsversuche. Für viele ist das Fest ein Wiedersehen, denn einmal mitgepaddelt, meinen eingefleischte Old Shatterhands, kann man sich dem Tibersog kaum mehr entziehen. Er beginnt am Morgen des 25. April an der ersten Einsatzstelle bei Città di Castello.

Der Tiber ist hier noch relativ schmal, obwohl er bereits über ein Drittel seines Wegs zurückgelegt hat. In den Apenninen auf 1348 Metern Höhe am Monte Fumaiolo entspringt er oberhalb der Ortschaft Balze, die noch zur Region Emilia Romagna gehört, nach einem kurzen Abstecher in die Toskana erreicht er hinter der Ortschaft Sansepolcro Umbrien. Nach längerem Grenzverlauf zwischen Umbrien und Latium entscheidet er sich schließlich kurz hinter Orte für Latium, durchquert die römische Campagne, Rom selbst und fließt bei Fiumicino ins tyrrhenische Meer.

Flotte Strömung

Das erhebliche Gefälle, das auf der 406 Kilometer langen Strecke von der Quelle bis zur Mündung entsteht, sorgt für jene flotte Strömung, die uns Paddlern auf den ersten drei Etappen ? bevor der Stausee von Corbara den Fluss ein wenig bändigt ? mehrere schwierige, kenterverdächtige Passagen beschert. So erwartet uns gleich beim Einstieg der erste Schwall, nach rund 100 Metern ein Wehr und kurz darauf noch eine verblockte Stromschnelle. Anfängern helfen die professionellen Begleiter der Truppe über diese Passagen ? notfalls fischen sie gekenterte Kanuten einfach aus dem Wasser. Trotz der zunächst eher wie eine Wildwasser- denn eine Zahmwassertour anmutenden Reise, hat man bei den Verschnaufpausen Gelegenheit genug, die Schönheit der Natur zu genießen.

Urgewalt des Wassers

Pappeln und Weiden spiegeln sich im Wasser, Schluchten wechseln mit seeartigen Ausdehnungen des Flusses ab und vor allem im Oberlauf erfährt man die Urgewalt des Wassers, das sich durch die dicht bewaldeten Tuffsteinkämme unbeirrbar und in unzähligen Windungen einen Weg talabwärts gegraben hat. Biber huschen durch die Fluten, Wasserschildkröten sonnen sich träge am Ufer, und weiter südlich, in den sumpfigeren Gebieten, nisten im Schilfrohr seltene Vogelarten wie Blässhühner, Haubentaucher und Fischreiher.

Der Tevere für Clevere

Im Naturschutzgebiet Tevere Farfa bei Nazzano lohnt sich die längere Rast. Denn die Ufer werden hier von Wanderwegen mit Vogelwarten gesäumt, und im Dorf selbst befindet sich ein Flussmuseum, in dem der Besucher Wissenswertes über das Ökosystem des Tibers, seine Pflanzen und Tiere und die wichtigen Mikroorganismen erfahren kann. Vom einst so regen Schiffsverkehr auf dem Tiber zeugen bei Otricoli nur noch die Reste eines alten römischen Hafens.

Triumphaler Einzug

Die Ankunft in der Ewigen Stadt gleicht einem triumphalen Einzug, wie er eben nur Eroberern vorbehalten bleibt. Ein Polizeiboot begleitet nun die bunte Schar der Kajaks und Kanadier von Giubileo, der letzten Raststation vor den Toren Roms, bis zur Ponte Milvio. Auf der Brücke werden wir bereits von einer jubelnden Menge erwartet, der wir noch ein letztes Mal unser Können beweisen dürfen. Denn kurz vor dem Ziel bietet eine lebhafte Schwallstrecke die finale Möglichkeit, vielleicht doch noch zu kentern.

Tränen wie Wildbäche werden beim Abschied im Kanuclub Rom nicht vergossen, dafür sorgt schon die Tombola: Der erste Preis ist nämlich ein Wildwasserboot, mit dem der Gewinner bereits in den Wild- und Wanderbächen zuhause für die Tiberfahrt im kommenden Jahr heimlich üben kann. (Eva Clausen/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8./9.4.2007)