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Es ist ein ungewisses Gefühl,

das einen befällt, wenn man sich mit dem "zweiten Leben" auseinandersetzt. Ein zweischneidiges, besser gesagt.

Will man der Weltpresse Glauben schenken und den blumigen Berichten in diversen Internet-Foren, könnte man meinen, dem realen Alltag wurde eine kommunikative Online-Oase beigefügt. Ein Schlaraffenland für Chatter und eifrig Kontaktsuchende. Fünf Millionen Seelen - steht es auf der Entwicklerseite geschrieben - kreisen umher, laden zum kollektiven Erforschen einer sich ständig verändernden Welt ein, in der die Grenzen, so scheint es, nur temporär vom Schlaf der Programmierer gesetzt werden.

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Und von der Ferne klingt es recht poppig und krisp. So ist die Premiere, die Jungfernfahrt auch gleich gemacht, ein Avatar erstellt, die Einverständniserklärung akzeptiert und das System eingeloggt. Prompt kommt die Ernüchterung. Denn die zweite Seite des Gefühls schneidet ein.

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Legoland

Der erhoffte Garten Eden ist ein verwaschenes Legoland, die Kommunikation recht abgehackt und die Gewissheit, dass auch in der virtuellen Welt alles Coole kostet, so gar nicht berauschend. Oder doch?

Denn immer dort, wo irgendetwas etwas kostet, verdient immer irgendjemand etwas Geld. So hakt der Journalist die unbedingt zu erwähnende Binsenweisheit ab und widmet sich der Praxis. "Linden Dollar" heißt die Währung - für einen echten Dollar-Schein gibt es rund 270 virtuelle. Zumeist landet dieses Geld in den Taschen des Betreibers Linden Lab. Grundstücke und sonstige Annehmlichkeiten sind nämlich zu bezahlen, erstere sogar monatlich.

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Ebbe

Als nun freudiger Jungunternehmer, nachdem man gemerkt hat, dass mit "nur Spaß" nichts ist, sucht man sich eine Insel nach Belieben und checkt mit feuchten Händen ins Second-Business ein. Die zweite Ernüchterung folgt zu gleich. Von den fünf Millionen angepriesenen potentiellen Kunden sind gerade einmal zehn Prozent regelmäßig online. Das Gefühl als Strandverkäufer in der Sahara gelandet zu sein, stellt sich ein. Schlimmer noch, abgesehen von einem selbst, zieht ein ganzes Geschwader an Verkäufern durch die phantasievoll texturierten Straßen.

Und selbst als Grundstückdesigner oder virtuelle Prostituierte ist kaum Geld zu machen. Laut Angaben der Betreiber verdienen gerade einmal 450 Anwender über 1.000 Dollar im Monat – damit scheint es als aufgehender Stern am E-Commerce-Himmel also nicht getan.

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Sex sells

Links und rechts werfen Shops bekannter Fabrikanten und Unterhaltungskonzerne ihre Schatten auf die sporadisch frequentierten Gassen. (Genau genommen, tun sie das nicht, denn im zweiten Leben gibt es keine Schatten.) Vielleicht gibt es also hier etwas zu holen. Sortieren wir die Fakten. Ist man kein Programmierer, als Barkeeper hinter dem Polygontresen nicht gewillt zu stehen und auf ein Rendezvous im digitalen Rotlichtmilieu kann man auch verzichten, gibt es eigentlich nichts zu holen.

Es sei denn die Kommunikation ist eines Jemands Gabe, Herr IBM und Frau Toyota brauchen bestimmt jemanden, der ihren 2.000 Dollar-Inseln (zusätzlich etwa 300 Dollar monatlich) einen Sinn einhaucht. Aber selbst dabei ist man längst nicht mehr allein.

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Kommunikation ist der Schlüssel

Kommerz ist alles und unabdingbar für den Erfolg ist die Anpreisung des Produkts. Während Nachrichtenagenturen wie Reuters von der Berichterstattung aus der Zweitwelt zu profitieren versuchen, der Spiegel in Blog-Form seine Online-Zeilen mit Second-Dies und Second-Das füllt und derStandard.at rasch, aber skeptisch sich dann auch den News aus der Zweitwelt widmet, wittert die andere Seite der Kommunikationsbranche das große Geld im Run auf die ernst gewordene Spaßgalaxie.

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Zusammenkunft

Medien-Events, Werbeveranstaltungen, "Gatherings" bieten sich wie im echten Leben an, Menschen zu ködern, sie für sich zu gewinnen. "Ein strategischer Ansatz ist wichtig", gibt Peter Harlander zu Bedenken. Zusammen mit Martin Sternsberger und Arne Schönleben betreibt er die auf Second-Life spezialisierte PR-Agentur Second Promotion. Die drei Salzburger sehen in der virtuellen Realität die Chance für Unternehmen zielführend Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. "Wir wollen nicht auf einen kurzfristigen Hype und das momentane Medien-Echo setzen, die Projekte müssen langfristig Sinn machen", so Hallander.

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Der Spaßfaktor

"Die Auftritte (der Unternehmen) müssen für den Spieler einen Mehrwert bieten", ansonsten gäbe es auch kaum Gründe für Anwender neue Orte zu besuchen, nachdem Second-Life selbst kein Spielziel bietet. "Für die Firmen besteht die große Chance darin, so ein Spielziel zu generieren", meint der IT-Rechtsexperte. Ein Konzept, auf das er hier anspricht, hat der Automobilbauer Nissan bereits umgesetzt. Eine Looping-Strecke soll die Gäste erheitern und so wiederum ein gutes Licht auf den Konzern werfen.

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Bildung

Second Promotion selbst hat mit dem Weiterbildungsinstitut der Wirtschaftskammer (WIFI) ein erstes Projekt umsetzen können. "Wir haben die Internet-Präsenz geschaffen und führen in Second-Life für das WIFI Schulungen durch", bestätigt Geschäftsführer Martin Sternsberger. Das Bedürfnis Innovationsfreudigkeit zu zeigen und das Profil des typischen S-L-Anwenders - zwischen 20 und 40, gut gebildet, zumeist überdurchschnittlich wohlhabend – seien aus Sicht der Agentur ausschlaggebend für das WIFI gewesen in das zweite Leben einzusteigen.

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3D

"Gegenüber anderen Web 2.0-Projekten sehen wir den Vorteil von Second-Life in seiner Dreidimensionalität, die ganz andere Darstellungsformen ermöglicht als übliche Internetauftritte", bemerkt Sepp Tschernutter, CEO der österreichischen Niederlassung der international agierenden Agentur Trimedia. Als Zusatzangebot zu den langjährig etablierten Dienstleistungen, bietet das Unternehmen seit letztem Jahr auch Öffentlichkeitsarbeit in der virtuellen Welt an.

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Plattform

Eigens zu diesem Zweck wurde gleich eine ganze Insel, in Form von Europa, aus dem Boden gestampft. Besucher sollen hier die Möglichkeit haben in die Medienwelt von S-L einzutauchen. Ein Kiosk soll alle Publikationen zur Verfügung stellen, die über das virtuelle Geschehen berichten. Das Herzstück der Insel liegt allerdings über den Wolken, verpackt in einem Trimedia-Diamanten. In diesem Zentrum sollen regelmäßig Podiumsdiskussionen abgehalten werden. Journalisten können sich hier zum Beispiel treffen, um über das Web 2.0 zu diskutieren. "Wir wollen unseren Kunden den Rahmen anbieten", der in Gestalt von 3D-Räumen Platz für Veranstaltungen lässt, betont Tschernutter und fügt hinzu "weiters wollen wir Produkte über unsere Plattform distribuieren", die sich dann drei- oder zweidimensional präsentieren lassen.

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Finanzstark

Dass auch ja genug finanzkräftige Investoren an die Türen klopfen, scheint die beiden Agenturen nicht zu sorgen. An Konzernen wie Adidas sähe man die Bereitschaft viel Geld in die Hand zu nehmen, um virtuell präsent zu sein. "Die Konzerne stecken einige hunderttausende Euro, wenn nicht mehr in ihrer Auftritte", schätzt Tschernutter. "Man darf aber nicht darauf warten, dass jemand auf der Insel vorbeikommt", so der Trimedia-Geschäftsführer. Wesentlich sei, beide Welten miteinander zu verknüpfen, sowohl einen Link nach außen setzen, als auch gezielt Einladungen in die virtuelle Realität auszusenden. Demnach setzt die Agentur darauf, die Insel als Treffpunkt für Interessierte aus aller Welt oder zumindest aus Europa zu machen. Für internationale Events und Vorträge reicht es künftig also sich ins Netz einzuloggen, anstatt den Flieger zu buchen.

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Hürden

Bei allem Optimismus stößt der Einwand, so umgänglich wirke die Welt dann doch nicht, auf Einsicht. Beide Unternehmen sehen Verbesserungspotential in der optischen Darstellung. "Gerade bei Produktpräsentationen ist die grafische Aufbereitung wesentlich". Defizite in der Handhabung von Second-Life sind ebenfalls nicht abzustreiten. "Interessant wird es erst wirklich, wenn die Sprachsteuerung hinzukommt", meint Tschernutter.

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Am Horizont

In jedem Fall wollen sich weder Trimedia noch Second-Promotion auf das Universum von Linden Lab festlegen. "Es geht darum eine Expertise aufzubauen und von Anfang an dabei zu sein", betont Sternsberger. Potentiellen Nachfolgern wie dem kürzlich für die Playstation 3 vorgestellten home oder dem österreichischen Papermint sehen die beiden Unternehmen positiv entgegen. "Entweder diese Plattform entwickelt sich weiter oder es wird eine andere", gibt sich Tschernutter offen.

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Man-Power

Ob der Sprung ins Polygon-Wasser für Trimedia ein finanzielles Risiko darstellt, beantwortet der CEO gelassen: "Es kostet vor allem Man-Power, so etwas zu entwickeln, aber für das gesamte Unternehmen sind die Ausgaben marginal". Martin Sternsberger, der hauptberuflich noch eine andere Internet-Agentur leitet, sieht im Geschäft mit dem zweiten Leben definitiv einen Vollzeit-Job. Mut zum Risiko dürfte aber auch im zweiten Leben niemandem, der etwas erreichen will, erspart bleiben. "Wir haben gesehen, da strömen Weltkonzerne rein und es gibt keine Agenturen dazu. Da haben wir uns gesagt, wir machen das", so Harlander.

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Überkommerzialisierung?

Wie lange Second-Life noch im Fokus der Unternehmen stehen wird, traut sich schlussendlich niemand zu sagen. Nach wie vor macht die Offenheit dieser Welt das unternehmerische Treiben so attraktiv. Wie im echten Leben wird aber auch hier der Verbraucher entscheiden und darüber hinaus die Frage beantworten, ob eine derart reale Kommerzialisierung auch im virtuellen Leben tragbar ist. (Zsolt Wilhelm)

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