Zur Person
Dagmar Rabensteiner, 1963 in Innsbruck geboren eröffnete vor fünf Jahren die eigene Privatordination für Innere Medizin und Sportmedizin in Wien. Schwerpunkt: Innere Medizin (Stoffwechselerkrankungen), Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung, Gesundheitsmanagement.

Seit 2003 ist sie Rennärztin des Vienna City Marathon und hat die ärztliche Leitung des Österreichischen Frauenlaufs.

Ihre sportlichen Erfolge: Mehrere österreichische Rekorde im Marathonlauf. 12. Platz im Marathon Europameisterschaften München 2002, 3. Platz Amsterdam Marathon 2000 und 3. Platz Vienna City Marathon 2002.

Sie ist verheiratet und hat einen Sohn

Foto: Rabensteiner
derStandard.at: Braucht man körperliche Vorraussetzungen um mit dem Laufen zu beginnen?

Rabensteiner: Sie sind günstig, aber man kann auch laufen, wenn die körperlichen Vorraussetzungen nicht optimal sind. Mit einer entsprechenden Begleitung und einem gut strukturierten Training kann man auch jemanden, der primär nicht die körperlichen und konditionellen Vorraussetzungen mitbringt an eine gute Laufleistung heranführen.

derStandard.at: Für wen eignet sich der Laufsport nicht?

Rabensteiner: Bei einigen wenigen internistischen und orthopädischen Erkrankungen ist vom Laufen abzuraten. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von kleineren Handicaps, die das Laufen zwar erschweren, aber nicht unmöglich machen.

derStandard.at: Wie überprüft man, ob ein Laufanfänger die richtigen Vorraussetzungen besitzt?

Rabensteiner: Von internistischer Seite muss man primär erkennen, ob die medizinische Belastbarkeit gegeben ist. Das heißt, dass durch den Laufsport keine negativen gesundheitlichen Folgen entstehen. Herzklappenfehler oder eine nicht kontrollierte Schilddrüsenfunktion verbieten beispielsweise von vornherein das Laufen. Ein schlecht eingestellter Diabetes ist ebenfalls riskant.

Eine diabetische Entgleisung kann beim Laufen tödlich enden. Grundsätzlich spricht aber nichts dagegen, dass ein Diabetiker läuft. Der Diabetes muss vom Internisten gut eingestellt sein und der Diabetiker braucht ganz konkrete Anweisungen auf welche Blutzuckerwerte er achten muss und wie er auch unter Belastung damit umgeht. Orthopädische Probleme dagegen, enden zwar nicht tödlich, sind aber meist schmerzhaft und für den Betroffenen bitter, wenn sie das Laufen unmöglich machen.

derStandard.at: Der erste Schritt für den Laufanfänger ist also die internistische Begutachtung?

Rabensteiner: Jemand, der bewegungsarme Jahre hinter sich hat, sollte ab dem 40. Lebensjahr einmal zum Sportarzt. Liegen entsprechende Risikofaktoren vor, empfiehlt es sich ab dem 35.Lebensjahr. Hat ein Laufanfänger eine Erkrankung, von der er weiß, wie Diabetes oder ein bekannter Herzklappenfehler, so sollte er auch in jüngeren Jahren einen Sportarzt aufsuchen. Der Sportarzt testet wie belastbar der Betroffene ist, also ob er von internistischer Seite fähig ist, Läufe im trainingswirksamen Bereich ohne gesundheitliche Gefährdung auszuhalten.

derStandard.at: Und wie misst man ob er auch leistungsfähig genug ist, um zu laufen?

Rabensteiner: Mit einem sportartspezifischen Stufentest. Für den Läufer eignet sich am besten das Laufband. Die Messung von Intensitätsparametern, wie Herzfrequenz, Laktat oder maximale Sauerstoffaufnahme geben sehr genau Aufschluss über die aktuelle Leistungsfähigkeit. Anhand der Ergebnisse der Leistungsanalyse gestaltet man die Trainingsempfehlungen.

derStandard.at: Macht so eine Leistungsanalyse auch für den Laufanfänger Sinn?

Rabensteiner: Das macht sogar viel Sinn. Viele Laufanfänger oder Hobbyläufer, die ein regelmäßiges Lauftraining aufnehmen wollen, merken, dass sie eigentlich gar nicht laufen können. Oft weil ihnen innerhalb kürzester Zeit die Luft ausgeht. Das bedeutet vielleicht nur, dass diese Menschen von ihrer Leistungsfähigkeit einfach noch nicht für das Laufen geeignet sind.

derStandard.at: Also vielleicht doch besser gleich bleiben lassen?

Rabensteiner: Nein, denn man kann sehr wohl jemanden, der nicht die körperlichen und konditionellen Vorraussetzungen besitzt, zum Laufen bringen. Am besten funktioniert das mit sogenannten Low impact Sportarten, wie Radfahren oder Nordic Walking. Sie schaffen die nötigen körperlichen Vorraussetzungen, erhöhen die Leistungsfähigkeit und machen so das Laufen schließlich möglich.

derStandard.at: Mit dem Stufentest misst man die Ausdauerleistungsfähigkeit. Was ist mit Kraft?

Rabensteiner: Die Muskelkraft ist eine wesentliche Komponente, auch für Ausdauersportarten. Sie unterstützt die Laufleistung und ist eine Verletzungsprophylaxe. Für Übergewichtige ist ein Lauftraining ohne ausreichend kräftige Beinmuskulatur nur schwer möglich.

derStandard.at: Was ist mit anderen motorischen Grundfähigkeiten wie Koordination oder Beweglichkeit? Werden diese vor dem Laufbeginn getestet?

Rabensteiner: Prinzipiell verbessern Koordination und Dehnbarkeit die Laufökonomie. Ein erfahrener Sportarzt kann die koordinativen Fähigkeiten anhand des Laufstils beurteilen. Die Schulung der koordinativen Fähigkeiten mit dem Lauf-ABC oder mit Steigerungsläufen sind wesentliche Bestandteile des Ausdauertrainings. In welchem Ausmaß ein Koordiantionstraining erforderlich ist, ist individuell sehr verschieden.

derStandard.at: Was ist für den Laufanfänger entscheidend: Dass er die richtige Lauftechnik beherrscht, oder dass er versteht in welcher Intensität und in welchem Umfang er trainieren soll?

Rabensteiner: Für den Laufanfänger ist entscheidend, dass er sein Lauftraining richtig dosiert. Er muss wissen wie oft, wie lang und vor allem wie schnell er die einzelne Laufbelastung gestalten soll. Das ist am Anfang sicher wichtiger, als Anweisungen zum Laufstil. Ich bin der Meinung, dass man zuerst versucht mit den Gegebenheiten zu arbeiten, die der einzelne von seinem Laufstil mitbringt und ihm durch ein gut gesteuertes Training eine gewisse Leistungssteigerung ermöglicht. Manchmal kommen laufkoordinative Fähigkeiten dann ganz von selbst durch die höheren Laufumfänge.

derStandard.at: Wie oft, wie viel und wie schnell, gibt es hier allgemein gültige Empfehlungen?

Rabensteiner: Das ist individuell sehr unterschiedlich. Die Trainingsgestaltung ergibt sich immer anhand der aktuellen Leistungsfähigkeit und diese wird mit der Leistungsanalyse bestimmt. Es gibt aber Minimalkriterien. Man profitiert nicht davon, wenn man weniger als zweimal wöchentlich läuft. Drei bis fünfmal ist optimal. Ergibt der Laufbandstufentest ein niedriges Leistungspotential, dann führt tägliches Training zu ständiger Ermüdung und nicht zur Verbesserung.

derStandard.at: Das Ziel jeder Trainingsberatung ist demnach immer die Steigerung der Leistungsfähigkeit?

Rabensteiner: Das muss das Ziel sein. Wenn eine Leistungsanalyse, mit der daraus resultierenden Trainingsplanung, nicht mit großer Sicherheit eine Leistungssteigerung bewirkt, dann sollte der Sportarzt die Gründe hinterfragen. Mit dem Trainingsprogramm, das ich als Sportarzt erstelle, muss eine Leistungssteigerung kalkulierbar werden.

derStandard.at: Viele Hobbyläufer bemerken trotz regelmäßigem Laufen keine Leistungssteigerung. Woran kann das liegen?

Rabensteiner: Diese Situation betrifft sehr viele Hobbyläufer. Rund die Hälfte aller Hobbyläufer, die erstmalig einen sportärztlichen Rat in meiner Ordination suchen, beklagen eine Leistungsstagnation. Der Grund ist fast immer eine falsche Trainingssteuerung und ein schlecht strukturiertes Lauftraining.

derStandard.at: Woran merkt der Läufer, dass sich seine Leistungsfähigkeit verbessert?

Rabensteiner: Indem er mit gleicher Anstrengung schneller laufen kann und das höhere Tempo länger durchhält und das bei gleichbleibender Herzfrequenz.

derStandard.at: Spielt es eine Rolle in welchem Herzfrequenzbereich man trainiert?

Rabensteiner: Die Herzfrequenz ist ein wesentlicher Intensitätsparameter in der Trainingssteuerung. Sie zeigt, wie anstrengend das jeweilige Tempo für das Herz-Kreislaufsystem des Läufers ist. Der Sportarzt braucht zur Bestimmung der individuell richtigen Trainingsherzfrequenzen einen zweiten Intensitätsparameter, beispielsweise Laktat. Dieser Stoffwechselparameter zeigt an woher der Muskel gerade seine Energie bezieht. Mit Hilfe der Pulsuhr überwacht der Läufer sein Lauftraining selbst.

derStandard.at: Gibt es allgemein gültige Empfehlungen für Trainingsherzfrequenzen?

Rabensteiner: Die Herzfrequenz ist wie ein genetischer Fingerabdruck, also individuell sehr verschieden. Sie ist abhängig vom Alter, vom Geschlecht und vom Trainingszustand. Ein Läufer trainiert mit 150 Herzschlägen pro Minute und ein anderer mit einer Herzfrequenz von 110.

derStandard.at: Und erreicht damit trotzdem dasselbe?

Rabensteiner: Ja. Aber unter der Vorraussetzung, dass sich Laktatwerte beider auf dem gleichen Niveau befinden. Es kann auch sein, dass ein Läufer bei Herzfrequenz 150 trainiert und nichts erreicht, weil er ständig zu schnell unterwegs ist. Ein anderer Läufer liegt dagegen mit der gleichen Herzfrequenz genau im richtigen Intensitätsbereich und verbessert damit seine Leistung.

derStandard.at: Kann ein Laufanfänger in kurzer Zeit fit genug werden, um einen Marathon zu laufen?

Rabensteiner: Wenn er jung und gesund ist und sich durch andere Sportarten eine gewisse Leistungsfähigkeit erworben hat, dann kann bringt man ihn in drei bis vier Monaten realistischerweise soweit, dass er eine gute Marathonleistung erbringen kann. Einen älteren übergewichtigen Laufanfänger, der sein Leben lang kaum Bewegung gemacht hat, in kurzer Zeit zum Marathon zu bringen, ist dagegen oft schwierig. Damit das gelingt, braucht es Geduld.

derStandard.at: Halten Sie es für wichtig, dass ein Laufanfänger vor dem ersten Lauf einen Sportarzt aufsucht?

Rabensteiner: Dagegen wehre ich mich. Ich würde nie sagen: Fang bloß nicht zu laufen an, bevor nicht ein Belastungs-EKG gemacht wurde und die richtigen Herzfrequenzbereiche ermittelt sind. Mit diesen Hürden hört man mit dem Laufen auf, bevor man damit begonnen hat. Das wäre schlecht, denn jeder sollte sich bewegen, wenn er soweit gesund und belastbar ist.

derStandard.at: Also einfach drauf los?

Rabensteiner: Die Botschaft lautet: Man kann nicht zu langsam mit dem laufen anfangen. Man kann nur zu schnell anfangen. Am besten nicht an jemandem orientieren, der schon länger läuft und nicht aus jedem Lauftraining einen Wettkampf machen. Laufumfang kommt vor Intensität. (Regina Phillipp)