Slavoj Zizek, International Director des Birkbeck Institute for the Humanities in London, ist Philosoph. Zuletzt erschienen von ihm "Parallaxe", Suhrkamp, 2006.

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Seit Khalid Shaikh Mohammeds dramatische Bekenntnisse zur Veröffentlichung freigegeben wurden, haben sich unter die moralische Empörung über das Ausmaß seiner Verbrechen auch Zweifel gemischt. Ist seinen Behauptungen zu trauen? Was, wenn er mehr gestand, als er tatsächlich begangen hat, weil er einfach aus Eitelkeit als der große Planungschef der Terroristen in Erinnerung bleiben wollte, oder weil er bereit war, alles Mögliche zuzugeben, nur um dem "waterboarding" (Untertauchen unter Wasser) und weiteren "verstärkten Verhörtechniken" ein Ende zu setzen?

Wenn in dieser Situation irgendetwas überraschend war, so hatte dies weniger mit den Geständnissen selbst zu tun, als mit der Tatsache, dass zum ersten Mal seit vielen Jahren Folter auf die Tagesordnung gesetzt und als etwas Akzeptables präsentiert wurde. Die ethischen Konsequenzen, die daraus folgen, sollten uns allen Kopfzerbrechen bereiten.

Während das Ausmaß von Mohammeds Verbrechen klar und erschreckend ist, ist es wert festzustellen, dass die Vereinigten Staaten scheinbar nicht in der Lage sind, ihn wenigstens wie ihre ärgsten Schwerverbrecher zu behandeln - denn in der zivilisierten, westlichen Welt wird sogar der schlimmste Kindermörder verurteilt und bestraft. Aber jedes Gerichtsverfahren und jede Bestrafung von Mohammed ist jetzt unmöglich - kein Gericht, das im Rahmen der westlichen Rechtssysteme operiert, kann sich mit illegalen Inhaftierungen, durch Folter erlangten Geständnissen und ähnlichem befassen.

Scheinbar müssen jetzt nicht nur die Terroristen selbst in der Grauzone der Legalität agieren, sondern auch all jene, die den Terrorismus bekämpfen. Demnach gibt es also de facto "legale" und "illegale" Kriminelle: solche, die rechtlichen Verfahren unterzogen werden müssen, und solche, die außerhalb der Legalität handeln und die daher Militärtribunalen und offenbar endlosen Freiheitsstrafen ausgeliefert sind.

Mohammed ist zu dem geworden, was der politische Philosoph Giorgio Agamben den "homo sacer" nennt: ein rechtlich totes Wesen, das biologisch aber noch lebt. Und der Scheich ist nicht der Einzige, der in einer Zwischenwelt lebt. Die amerikanischen Behörden, die mit den Häftlingen zu tun haben, sind zu einer Art Gegenpol des homo sacer avanciert: Sie treten als Rechtsmacht auf, operieren aber in einem Vakuum, das durch das Recht zwar aufrechterhalten, aber durch die Gesetze der Rechtsordnung nicht geregelt wird.

Manche finden das sicher nicht Besorgnis erregend. Das realistische Gegenargument lautet: Der Krieg gegen den Terrorismus ist schmutzig, plötzlich entstehen Situationen, in denen die Leben von Tausenden von Informationen abhängen, die wir von Inhaftierten bekommen können, und da müssen eben auch extreme Maßnahmen herhalten. Wie Alan Dershowitz von der Harvard Law School es ausdrückt: "Ich befürworte sicherlich keine Folter, aber wenn sie eingesetzt wird, sollte sie verdammt noch mal zumindest mit Genehmigung des Gerichts erfolgen." Also, wenn das "Ehrlichkeit" sein soll, dann bleibe ich lieber bei der Scheinheiligkeit.

Ja, die meisten von uns können sich eine einzige Situation vorstellen, in der wir auf Folter zurückgreifen würden - nämlich, um vielleicht einen geliebten Menschen vor direktem, unaussprechlichem Schaden zu bewahren. Ich kann mir das vorstellen. In einem solchen Fall ist es jedoch grundlegend, dass ich diese verzweifelte Wahl nicht zu einem Allgemeinprinzip erhebe; ich muss mir über den besonderen Schrecken meiner Tat bewusst bleiben. Und wenn Folterung nur zu einer weiteren Maßnahme auf der Liste der Techniken gegen Terrorismus wird, geht damit jedes Gefühl für den mit ihr verbundenen Schrecken verloren.

Als sich in der fünften Staffel der TV-Serie "24" herauskristallisierte, dass der Chefplaner hinter dem Terror-Anschlag niemand anderer als der Präsident selbst war, warteten viele von uns begierig darauf, ob Jack Bauer wohl bei dem "Führer der freien Welt" seine Standard-Technik für die Behandlung von Terroristen anwenden würde, die keine Geheimnisse preisgeben wollen, obwohl dadurch vielleicht Tausenden das Leben gerettet wird. Wird er den Präsidenten foltern?

Die Realität hat das Fernsehen jetzt überholt. Während in "24" Jack Bauers Wahl immer noch als verstörend dargestellt wurde, wird sie jetzt als normaler Alltag, als "Business as usual", präsentiert. In gewissem Sinn sind diejenigen, die Folter zwar nicht offen befürworten, aber als legitimes Diskussionsthema akzeptieren, gefährlicher als jene, die sie ausdrücklich unterstützen. Moral ist nie nur eine Angelegenheit des persönlichen Gewissens. Sie gedeiht nur, wenn sie von etwas, das von Hegel "objektiver Geist" genannt wird, wach gehalten wird, nämlich der Sammlung ungeschriebener Regeln, die den Hintergrund der Aktivität jedes Einzelnen bilden und uns sagen, was akzeptabel und nicht akzeptabel ist.

Beispielsweise gilt als klares Zeichen von Fortschritt in der westlichen Gesellschaft, dass gegen Vergewaltigung nicht argumentiert werden muss: "Dogmatisch" ist jedem klar, dass Vergewaltigung "falsch" ist. Setzte sich jemand für die Legitimität von Vergewaltigungen ein, würde er so lächerlich wirken, dass er sich von jeder weiteren Beachtung disqualifizierte. Und dasselbe sollte auch für Folter gelten.

Sind wir uns darüber bewusst, was am Ende der Straße liegt, die wir durch die Normalisierung von Folter geöffnet haben? Eine wichtige Einzelheit aus Mohammeds Geständnis gibt uns einen Hinweis. Es wurde berichtet, dass die Vernehmungsbeamten sich selbst dem "waterboarding" unterzogen und die Behandlung weniger als durchschnittlich 15 Sekunden lang aushielten, bevor sie bereit waren, alles und jedes zu gestehen. Mohammed gewann jedoch ihre widerstrebende Bewunderung dafür, dass er der Prozedur zweieinhalb Minuten lang standhielt.

Sind wir uns darüber bewusst, dass zum letzten Mal solche Dinge Teil des öffentlichen Diskurses waren, als wir uns tief im Spätmittelalter befanden? Damals war Folterung noch ein öffentliches Spektakel, ein ehrenhaftes Mittel, mit dem ein gefangener Feind auf die Probe gestellt wurde, der auch die Bewunderung der Massen gewinnen konnte, wenn er die Qual mit Würde ertrug? Wollen wir wirklich zu einer solch primitiven Kampf-Ethik zurückfallen?

Deswegen sind tatsächlich die größten Opfer des "Torture-as-usual" der Rest von uns, die informierte Öffentlichkeit. Ein wertvoller Teil unserer kollektiven Identität ist unveränderbar verloren gegangen. Wir befinden uns mitten in einem Prozesses moralischer Korruption: Die an der Macht versuchen buchstäblich, einen Teil unseres ethischen Rückgrats zu brechen, auszulöschen und ungeschehen zu machen, was unbestreitbar zur größten Errungenschaft unserer Zivilisation gehört, nämlich das Wachstum unserer spontanen, moralischen Empfindsamkeit. (Übersetzung: Dörte Eliass/DER STANDARD, Printausgabe, 31.3./1.4.2007)