Graz – Dass die Themenstellung Mittelmaß oder Experiment? nicht zwingend ein Gegensatzpaar sei, stellte Gerfried Sperl gleich zu Beginn der "Jour fixe"-Diskussion fest, die am Dienstagabend im Kunsthaus Graz stattfand. Moderiert vom STANDARD-Chefredakteur, erörterten Kulturanthropologin Elisabeth Katschnig-Fasch, Architekt Wolf D. Prix, der Grazer Finanzstadtrat Wolfgang Riedler und Hausherr Peter Pakesch die Problematik des Mittelmaßes.

Dass Experimente höchst Mittelmäßiges produzieren können, dafür nannte Elisabeth Katschnig-Fasch den Bildungssektor als Beispiel. "Der Bologna-Prozess führt im geisteswissenschaftlichen Bereich zum Mittelmaß", warnte die Volkskunde-Professorin.

"Das Schreckliche am Mittelmaß ist, dass es verhindert, dass etwas passiert", sagte Prix von Coop Himmelb(l)au. "Mittelmaß provoziert verinnerlichten Zwang und vorauseilenden Gehorsam, also Stillstand." Dem hielt der Finanzstadtrat in provokativer Absicht ein "Lob des Mittelmaßes" entgegen. "Warum verstecken sich viele im Mittelmaß?", fragte Wolfgang Riedler: "Weil es einen vor dem Scheitern bewahrt." Auf Graz bezogen meinte der SP-Politiker: "In Graz ist gut scheitern. Doch diese Stadt hat es verlernt, zu streiten."

Das war das Stichwort für Pakesch. "Im 20. Jahrhundert gab es in der Kunst eine auffällige Stärke der Peripherie. In Städten wie Mönchengladbach oder Basel fanden Experimente statt, die in den Hauptstädten nicht möglich waren. Davon hat auch Graz profitiert. Heute möchte sich Graz als europäischer Player definieren." Pakesch ist überzeugt, dass die Qualität, die man dazu brauche, nur in einem Spannungsfeld entstehen könne, in dem auch Ambivalenzen gelten. Dass dieses Spannungsfeld noch existiert, davon hatte sich Pakesch vor wenigen Wochen überzeugen können, als nach einer Polemik in der Kleinen Zeitung eine Diskussion über die Quotentauglichkeit des Kunsthauses ausgebrochen war.

Katschnig-Fasch hielt diese Diskussion für gut, denn: "Die Auseinandersetzung ist der Motor, um etwas zu entwickeln." Sie schuf den Ausdruck "Durchschnittsmittelmaßmensch": Dieser brauche die Auseinandersetzung, um mit einem avantgardistischen Raum wie dem Kunsthaus zurecht zu kommen. Womit sich der Kreis zur Bildung schloss.

Sperl griff die aktuelle Argumentation österreichischer Philosophen auf: "Die Abwesenheit von Philosophie in den öffentlichen und politischen Diskursen führt dazu, dass das Bewusstsein für die Bedeutung von geistigen, ideologischen Positionen immer geringer wird. Wenn es ganz verschwunden ist, dann werden sich nur noch jene durchsetzen, die sich darauf beschränken, alles nach den Maßstäben des Praktischen und der Berechenbarkeit zu sehen." Mittelmaß ante portas. (Werner Schandor/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.3.2007)