Paestrum liegt nur rund 20 Kilometer von Castellabate entfernt.

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Der kleine Badeort Santa Maria di Castellabate schmiegt sich an den südlichen Ausläufer des Golfs von Salerno, dort, wo das Land noch einmal ins Meer hinausdrängt, wenn auch zaghafter und nicht mehr so selbstbewusst wie weiter oben in Sorrent. Überhaupt scheint hier alles etwas kleiner, bescheidener als an der schicken Amalfiküste oder am Golf von Neapel mit seinen Publikumsmagneten Ischia und Capri, auch wenn in der Hochsaison wahre Menschenmassen die Flaniermeile mit ihren Eisdielen, Restaurants und Souvenirläden heimsuchen. Abseits der beleuchteten Straßen und Plätze jedoch kann man sich in verwinkelten Gassen verlieren, wo sich üppig blühende Oleander und Bougainvilleas über die Mauern lehnen und nur ab und zu eine dürre Katze vorbeistreicht.

Kein Zweifel: Hier geht es nicht so mondän zu wie weiter nördlich. Das Pflaster ist nicht ganz so international, die Klientel hauptsächlich einheimisch - und die Preise gemäßigt. Und doch fehlt es an nichts; auch im Cilento gibt es herrliche Landstriche, lukullische Überraschungen, Zitronenbäume und geheimnisvolle Grotten. Selbst das altrömische Pompeji hat hier ein Pendant aus der Magna Graecia: Paestum. Ein Grund mehr, unter dem Sonnenschirm hervorzukommen und sich auf Entdeckungsreise zu begeben. Zum Beispiel bei einer Mini-Kreuzfahrt zu den Inseln vor Palinuro.

Mythen aus dem Mikro

"Parco Nazionale del Cilento" schallt es immer wieder durch das Mikrofon, während wir an Bord des "Cilento Explorer" die schroffe Steilküste entlangtuckern, die reich an bizarren Felsenzinnen, malerischen Buchten und Grotten ist, um die sich allerlei Mythen ranken. Unser braun gebrannter Kapitän erzählt von Hexen und Sirenen und zeigt uns die Wehrtürme, die im Frühmittelalter gegen die anstürmenden Sarazenen errichtet wurden. Dann steigen wir auf ein Motorboot um, das uns ins schillernde Innere der Blauen Grotte bringt. Sie ist kleiner und weniger berühmt als ihre nördliche Schwester auf Capri, doch die Magie des himmelblau schimmernden Wassers bezaubert uns dennoch. Wir sind zufrieden und hätten auf die Schwefelgrotte, aus der es deutlich nach faulen Eiern riecht, verzichten können.

Kleines Antiquarium

Eine Zeit lang hatten wir das kleine Puppentheater mit den Figuren aus der Commedia dell'Arte für den kulturellen Höhepunkt von Santa Maria di Castellabate gehalten oder höchstens noch die Plastikmadonna mit den Plastikblumen und Plastikrosenkränzen zu ihren Füßen dazugezählt, die den Ort vor den Unbilden des Meeres schützen soll. Dann entdeckten wir das kleine Antiquarium, das unscheinbar zwischen hohen Pinien versteckt liegt. Der Museumswärter freut sich über Besucher, die offenkundig eher rar sind, und gibt uns sogleich eine kostenlose Führung durch das Museum. Viele der antiken Ausstellungsstücke, die wir hier besichtigen können, stammen aus der Zeit der Magna Graecia, als sich das Reich der Griechen bis nach Süditalien und Sizilien erstreckt hatte. So befindet sich zum Beispiel nicht weit von Castellabate der kleine Ort Velia, der früher Elea hieß und wo der Philosoph Parmenides seine ontologische Lehre in Verse fasste. Wir sind auf den Geschmack gekommen und setzen unseren Streifzug durch das antike Griechenland in Paestum fort.

Längst abgetaucht

Im Reiseführer lesen wir von gut erhaltenen Tempeln und dem archäologischen Museum mit der berühmten Tomba del tuffatore, dem Grab des Tauchers, der sich kopfüber vom einen ins nächste Leben stürzt. Vor Ort treffen wir dann auf ein weitläufiges Ausgrabungsgelände, das an diesem heißen Tag nur spärlich besucht ist. So haben wir die prachtvollen Bauten fast für uns allein und spazieren an den hohen Säulenhallen der Tempel, am Amphitheater und der antiken Stadtmauer vorbei. Im kühleren Museum bestaunen wir die kunstvoll bemalten Amphoren und Götterstatuen, und auch das Grab des Tauchers finden wir hier, das uns zuvor schon an den Souvenirständen in unzähligen Versionen als Postkarte, Magnetbild oder Teller begrüßt hatte. Ein bisschen sieht er jetzt verloren aus, der kleine nackte Mann, der da zwischen Leben und Tod in der Luft hängt, so als hätte er es eilig, unseren Blicken zu entspringen. Wir wenden uns verständnisvoll ab. Zu sehen gibt es ohnehin noch genug.

Nette Überraschungen

Als wir am letzten Tag unsere Rechnung begleichen, fällt sie niedriger aus als erwartet. Mittlerweile erstaunt uns das nicht mehr: In den vergangenen Tagen war uns bereits klar geworden, dass die Preise sich hier doch oft deutlich von denen im Norden unterscheiden (aber auch, dass man bei Speisekarten immer das Kleingedruckte lesen sollte - Aufschläge für den Service bis zu 15 Prozent der Gesamtsumme sind nicht unüblich). Unser Gepäck ist schwerer geworden seit unserer Ankunft, im Kofferraum stapeln sich die Mitbringsel: Büffelmozzarella, Mandelkekse und Wein - von den verschiedenen Broschüren, Fotos, Steinen und dem Sand in den Kleidern einmal ganz abgesehen.

Wir reisen also in jeder Hinsicht reicher ab: Der Cilento hat uns beschenkt - nicht nur durch die herzliche Gastfreundschaft seiner Menschen, die sich diese Tugend aus der Zeit der alten Griechen herübergerettet zu haben scheinen. Ein letzter Blick zurück auf die einfachen Häuser, die Palmen und ausgetrocknete Hügeln. Was bleibt, ist der Geschmack von Salz auf den Lippen, natürlich der Sand in den Schuhen und möglicherweise sogar die Fähigkeit, im Lärm des Alltags ganz leise die Sirenen singen zu hören. (Selma Mahlknecht/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.3.2007)