Der neue Roman von Sibylle Mulot, ein schmales, fast könnte man sagen: fetzig geschriebenes Buch, nimmt sich eines Themas an, das neben all den Phänomenen menschlicher Artigkeit und Abartigkeit bislang kaum Eingang in die Literatur gefunden hat: die Manie.

Dass dieses Krankheitssymptom mit der Depression verbunden ist, sagt der geläufige, meist aber unreflektiert gebrauchte Begriff des Manisch-Depressiven. Die Depression wiederum gehört zu den seit jeher literaturwürdigen Themen, nämlich in Gestalt der Melancholie. Melancholiker stehen, so will es die abendländische Tradition seit der griechischen Antike, im Hauch des Genialen, sofern sie in der Lage sind, ihr Unglück zeitweise zu überwinden. Mulot kümmert sich nun weniger um den melancholisch-depressiven Aspekt des Krankheitsbildes als um den manischen, der Euphorie und Hyperaktivität bewirkt, aber auch die Kontrolle der Folgen von Handlungen schwierig macht und eine Menge Probleme mit sich bringt, zunächst für die Umwelt des Manikers, am Ende aber auch für ihn selbst.

Nachdem diese grundsätzliche Option getätigt ist, setzt die Autorin eine Serie von zumeist in mündlicher Rede erzählten, rasch aufeinanderfolgenden Szenen in Gang. Naturgemäß überwiegen dabei die komischen Effekte vor den tragischen – zeitweise fühlt man sich an eine Slapstick-Komödie erinnert (und hebt hin und wieder den Kopf, um sich zu fragen, ob denn diese Leute immer nur Spaß haben). Die beschwingte, um nicht zu sagen euphorische Erzählweise greift dabei über die eigentlich manischen Figuren hinaus.

Maniker scheinen in ihren euphorischen Phasen ansteckend zu wirken, nicht nur auf die Mitmenschen, sondern auch auf die Instanz der Erzählerin. Ein Beispiel: Professor Meiswinkel, eigentlich ein selbstbeherrschter Statistiker, stößt eines Tages auf eine Bohrmaschine, mit der er künstliche Wurmlöcher in sämtliche Holzbalken und -wände seines familiären Heims bohrt. Die plötzlich und überraschend aufgetretene Manie bewirkt schließlich die Scheidung seiner Ehe. Die Unwiderstehlichen haben eine unwiderstehliche Hauptfigur namens Dr. Ludo Asch. Die Autorin lässt in ihrem Roman jedoch verschiedene Typen von Manikern gleichsam defilieren, so dass sich ein ganzes Panorama ergibt, das durchaus auf "die Gesellschaft" umzulegen ist, da zahllose Personen, besonders solche des öffentlichen Lebens, latente oder manifeste Maniker sind.

Die Erfolgreichen schaffen es immer wieder, ihre Energie in gewissen Bahnen zu halten, während die eigentlich Kranken ständig übers Ziel hinausschießen. Der Erklärung dieser Zusammenhänge ist ein eigenes Kapitel gewidmet, wo die Erzählerin zwei Lokalpolitikern die Prinzipien der Beratungsstelle, in der sie tätig ist, mit großem (manischem?) Wortaufwand zu erläutern versucht. Anscheinend hat sie Erfolg, denn die Beratungsstelle bekommt wenig später eine Subvention durch die öffentliche Hand zugesprochen.

Es fällt auf, dass die Beratenden ausschließlich Frauen sind. Ganz so, als wären Mäßigung und Vernunft aufseiten des weiblichen, nicht des männlichen Geschlechts. Und tatsächlich genügt ein Blick in ein beliebiges Geschichtsbuch, um zu bestätigen, dass das meiste Unglück und Leid von männlichem Selbstbehauptungsstreben und Tatendurst, oft mit den besten Absichten, hervorgerufen wurde. Umgekehrt sind unter den manischen "Unwiderstehlichen" des Buchs gar keine Frauen.

Schön ist die Schlusspassage, wo die Erzählerin sich zusammen mit einem der Maniker, der sie bezaubert hat, aus der manisch-depressiven Logik gleichsam ausklinkt und in sehr schlichten Sätzen eine Abendszenerie am Stadtrand beschreibt, halb abgerissen und halb romantisch, halb realistisch und ein wenig fantastisch, als sei ihr ein stillschweigender Coup gegen die Krankheit gelungen, eine menschliche und utopische Heilung ohne die hektische Betriebsamkeit unserer Therapiegesellschaft. (Leopold Federmair / DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.03.2007)

Sibylle Mulot , "Die Unwiderstehlichen". Roman. € 18,40/160 Seiten. Diogenes, Zürich 2007.