Erwin Buchinger, Männerminister

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Die Koalition mit der ÖVP werde mittelfristig halten, es gebe keine Alternative, sagte er zu Michael Bachner.

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STANDARD: Sie sehen schon wieder aus wie vor Ihrer Haar-und-Bart-ab-Aktion. Verwenden Sie Haarwuchsmittel, damit das schneller geht?

Buchinger: Das brauche ich Gott sei Dank nicht. Ich sehe jetzt, es sind viele Varianten möglich. Vielleicht kommt der Bart wieder einmal weg, vielleicht die Haare wieder kürzer. Wie es mir grad passt.

STANDARD: Sie geben auch anderes in Interviews preis, wie es grad passt. Zum Beispiel, dass Sie bügeln, oder im Internet, dass Sie diese Woche jeden Tag mit Halsschmerzen und Aspirin ins Bett mussten. Wo ist für Sie die Grenze zum Privaten?

Buchinger: Meine Familie würde ich ins politische Geschäft nicht hineinziehen. Von meinem Privatleben verrate ich nur insofern etwas, als ich der Auffassung bin, dass es eine politische Aussagekraft hat.

STANDARD: Selbst ein viel gestresster Minister kann im Haushalt helfen. Ist das die Bügel-Aussage?

Buchinger: Bügeln habe ich ganz bewusst verwendet, weil ich als Männer-Minister in einem gewissen Ausmaß Vorbildwirkung habe. Man schaut halt drauf, was macht der Männer-Minister. Wenn man hört, der bügelt, rege ich vielleicht zum Nachdenken an.

STANDARD: Und wie weit geht das? Sagen Sie bald auch Dinge wie „ich pinkle im Sitzen“?

Buchinger: Wenn das Relevanz hätte, wäre das kein Problem. Inhaltlich stimmt es natürlich. In meiner Jugend war ich nicht so weit. Mir hat das meine erste Freundin beigebracht.

STANDARD: So wollen Sie Vorbild für andere Männer sein?

Buchinger: Ja, wir haben 2007. Es ist höchste Zeit.

STANDARD: Zu traditionellerer Politik gefragt: Sind Ihre Halsschmerzen symptomatisch für den Zustand der Koalition?

Buchinger: Ich glaube nicht, auch im Büro waren einige Personen krankheitsbedingt beeinträchtigt. Ich schreibe das im Internet, weil es Teil des Bildes ist, das ich zeichnen will. Der Minister ist ein ganz normaler Mensch wie hunderttausende andere auch.

STANDARD: Sie sind aber kein ganz normaler SPÖ-Minister, wenn man so will. Zumindest haben Sie sich klar links positioniert. Warum hauen Sie nicht lauter auf den Tisch, wenn droht, dass sich die ÖVP wieder einmal durchsetzt?

Buchinger: Ich muss aufpassen, dass das, was ich vertrete, im Rahmen meiner Tätigkeit umsetzbar ist und ich nicht als Streithansel wahrgenommen werde. Das wird einem relativ rasch umgehängt, weil die Menschen harmoniebedürftig sind. Ich kann auch damit leben, wenn einmal ein Kompromiss oder ein Scheitern das Ergebnis ist.

STANDARD: Wirklich? Kanzler und Vizekanzler haben sich geeinigt, die Erbschaftssteuer auslaufen zu lassen. Sie sind für eine neue Vermögenssteuer und wollten die Erbschaftssteuer für einen Pflegefonds.

Buchinger: Die SPÖ hat sich nicht auf ein Auslaufen der Erbschaftssteuer geeinigt. Die SPÖ hat sich nicht durchgesetzt, die ÖVP dafür zu gewinnen, ein verfassungskonformes und sozial gerechteres Modell zu wählen. Also eine höhere Bewertung von Grundstücken plus großzügige Freibeträge. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die ÖVP für keinen Kompromiss zu gewinnen war.

STANDARD: Also zurück zur Tagesordnung?

Buchinger: Anstatt monatelang eine Diskussion zu führen, wo die ÖVP von Anfang an klar gemacht hat, dass es für sie keine Bewegung gibt, ist die Diskussion beendet worden mit dem Hinweis, dass das bei der nächsten Steuerreform gegengerechnet werden muss. Vor allem, weil das keine Entlastung des Mittelstandes ist, sondern einige wenige Reiche sehr sehr stark entlastet werden. Mich berührt das unangenehm, weil eine Steuer in der Größenordnung von 80 Millionen Euro für Soziales wie die Pflegefinanzierung keine Bagatelle ist.

STANDARD: Das erinnert an die Cap-Aussage von der nötigen Kompromisskultur.

Buchinger: Nicht einmal Kompromisskultur. Wenn ein Partner sagt, kein Millimeter ist möglich, dann kann man nur sagen, bleib in deinem Winkerl, wir können dich da nicht herausholen.

STANDARD: Sie üben nur Kritik am Koalitionspartner. Das wirkt wie die Ruhe vor dem Sturm, bevor auch die Kritik am Parteichef losgeht.

Buchinger: Ich spüre immer wieder innerparteiliche Kritik. Meistens heißt es: Warum gelingt euch in der Regierung nicht eine deutliche sozialdemokratische Politik. Am Beispiel Erbschaftssteuer, Studiengebühren, Eurofighter oder Pflege.

STANDARD: Und wo ist die klare rote Handschrift?

Buchinger: Ich versuche um Verständnis zu werben dafür, dass eine eindeutig sozialdemokratische Politik in dieser Koalition nicht möglich ist. Die ÖVP ist ja seit dem 1. Oktober nicht sozialdemokratisch oder sozial geworden. Das ist in den Grundzügen dieselbe neokonservative, in vielen Bereichen neoliberale Partei, die sie auch vor dem 1. Oktober 2006 war. Die ÖVP will die Politik der letzten sieben Jahre fortsetzen.

STANDARD: Das verwundert Sie aber nicht wirklich, oder doch?

Buchinger: Nein, aber was wir sagen ist, wir haben jetzt eine Kurskorrektur vielleicht nicht um 180 Grad, sondern um 90, 70 oder 60 Grad. Aber doch eindeutig. Österreich wird jetzt ein Stück sozialer. Wären wir nicht in der Regierung, gäbe es keine Verlängerung der Langzeitversicherungsregelung, keine Halbierung der Korridorpensionen, keine verbesserte Anrechnung der Kindererziehungszeiten oder keine Verbesserungen für die pflegenden Angehörigen.

STANDARD: Aber unterm Strich überwiegen die Misserfolge.

Buchinger: Man kann auch auf das schauen, was nicht gelungen ist. Da gibt es nichts schönzureden. Nicht gelungen ist etwa der Ausstieg beim Eurofighter. Weil aber auch die ÖVP einen Vertrag gemacht hat an der Grenze der Sittenwidrigkeit. Das ist ein Knebelungsvertrag, der sogar erlaubt, dass Schmiergelder von Dritten gezahlt werden. Wir können jetzt aus diesem Vertrag, so scheint es, bei bestem Willen nicht aussteigen. Aber ich bin zuversichtlich, dass mit den ersten inhaltlichen Erfolgen, wenn etwa die 67. ASVG-Novelle beschlossen ist und die Pensionisten sehen, es gibt mehr, die Kritik abnehmen wird.

STANDARD: Wie schätzen Sie eigentlich die Haltbarkeit der großen Koalition ein?

Buchinger: Meine Einschätzung ist, die Regierung wird mittelfristig halten. Keine der beiden Parteien hat eine vernünftige Alternative. Von uns haben viele eine Minderheitsregierung gefordert. Aber da hätten wir etwa keine Pensionsreform zustande gebracht. Da hätten wir nur dahindümpeln können – ohne Problemlösungsperspektive.

STANDARD: Klingt wie die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Buchinger: Nein, das wären ja zwei gleichwertige Übel. Die Koalition mit der ÖVP, so schwierig sie ist, hat derzeit keine Alternative. Auch nicht für die ÖVP. Die Volkspartei hat versucht, eine Regierung rechts der Mitte zu bilden und ist gescheitert. Für Österreich war das gut, sonst hätten wieder sieben Jahre Schwarz-Blau-Orange gedroht.

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Zur Person Sozialminister Erwin Buchinger (52) war bis zu seinem Eintritt in die Landesregierung 2004 AMS-Chef in Salzburg. Der SPÖler ist auch für die „Männerpolitik“ zuständig. Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2007)