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Gino Strada (rechts) mit Daniele Mastrogiacomo nach dessen Freilassung

Foto: Reuters/PeaceReporter/Handout
Er kennt das Leben zwischen den Fronten wie kaum ein anderer: aus Ruanda und Kambodscha, aus Kurdistan und Darfur. Er kennt die Diktate der Konfliktparteien, die Schikanen selbst ernannter Machthaber, die misstrauischen Blicke der Militärs, die Sprengkraft ethnischer Konflikte, die Blindheit des religiösen Fanatismus, die Vehemenz der Stammesfehden. Gino Strada ist auf den Kriegsschauplätzen zu Hause. Der Mailänder Chirurg ist Gründer der Hilfsorganisation Emergency, die in verschiedenen Kriegsgebieten der Welt neun Krankenhäuser und 25 Erste-Hilfe-Stationen betreibt.

Die Karriere des 60-jährigen Kettenrauchers verlief zunächst wenig spektakulär. Studium in Mailand und Südafrika, in Großbritannien und in den USA. Die Wende in seinem Leben kam 1988, als der Unfallchirurg ein Angebot des Roten Kreuzes nach Pakistan akzeptierte, wo er in Quetta an der afghanischen Grenze Kriegsopfer operierte.

"Ich wartete immer auf verletzte Soldaten, aber man legte mir fast nur Zivilisten auf den Operationstisch", schildert Strada seine damalige Erfahrung. Fast alle waren Minenopfer. "Grüne Papageien" heißt sein erstes Buch, das in Italien zwanzig Auflagen erreichte. So wurden in Afghanistan jene spielzeugähnlichen Minen genannt, die aus russischen Hubschraubern rund um die Dörfer gestreut wurden und die hauptsächlich Kinder verstümmelten.

Afghanistan ließ Gino Strada nicht mehr los. 1992 erlebte er in Kabul den Einmarsch der Mudjahedin. 1999 baute seine Organisation im Pandschir-Tal das erste Krankenhaus, zwei weitere folgten. Emergency stellt bevorzugt Frauen und durch Minen verletzte Jugendliche an. 2001 war der Italiener zur Eroberung der Stadt durch US-Truppen der einzige in Kabul geduldete westliche Ausländer.

"Einen Krieg, der die Bevölkerung verschont, gibt es nicht. In jedem Krieg sind 90 Prozent der Opfer Zivilisten", versichert der militante Pazifist, der US-Präsident George Bush gerne als Kriegsverbrecher brandmarkt. Strada hat sich nie ein Blatt vor den Mund genommen. Auch nicht bei der Befreiung des italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo, den er in seinem Krankenhaus im südafghanischen Lashkar Gah medienwirksam in die Arme schließen konnte. Dass sein Personalchef als Vermittler der Freilassung später vom afghanischen Geheimdienst festgenommen wurde, findet er "grotesk und empörend".

Gino Strada, zu dessen engsten Verbündeten seine Frau Teresa und seine Tochter Cecilia zählen, ist in Italien fast so bekannt wie Fußballstar Francesco Totti. Die Zahl seiner Tifosi ist allerdings geringer. Das hat mit seiner Kompromisslosigkeit und seinem kantigen Charakter zu tun. Und mit seiner ungebrochenen Lust an Provokation. (Gerhard Mumelter/DER STANDARD, Printausgabe, 23.3.2007)