Eine für Wien verlorene Tochter mit ihrer Familie: Alice "Lizzy" Winkler (li.) in "Vienna's Lost Daughters".

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Graz/ Wien - Vienna's Lost Daughters - das sind acht Wiener Jüdinnen, die 1938/39 als Kinder und Teenager teils mit ihren Eltern, teils (für immer) von diesen getrennt mit so genannten Kindertransporten aus Österreich flüchten mussten. In New York fanden sie schließlich eine neue Heimat. Für die alte hegen sie immer noch "gemischte Gefühle". So gemischt wie das wienerisch gefärbte Deutsch, in das hie und da - nicht nur im Film, auch beim Pressegespräch mit den Damen - ein englisches Vokabel Eingang findet: "Man darf nicht vergessen, because wenn man vergisst, kann das wieder passieren."

Im Dokumentarfilm Vienna's Lost Daughters, der am Dienstag bei der Diagonale Premiere feierte, geben die Frauen, die inzwischen über achtzig sind, einerseits in Interviews Auskunft über ihre Erlebnisse. Andererseits folgt ihnen die Kamera in ihren New Yorker Alltag. Das erlittene Trauma und das Nachwirken der Vergangenheit spielen dabei eine wichtige Rolle: ganz explizit bei Informationsveranstaltungen zur Prävention von Diskriminierung, eher unerwartet, wenn es plötzlich gilt, seine nationale Zugehörigkeit zu definieren.

Im Zentrum von Vienna's Lost Daughters, einem Projekt von Sonja Amman, Lisa Yuen (Buch) und Mirjam Unger (Regie), stehen dabei jedoch immer die Gegenwart und die "geglückten Leben", die vor dem Hintergrund der einstigen Verfolgung auch etwas Widerständiges haben.

Außerdem wird hier bei allem Verbindenden (dem Festhalten an bestimmten Traditionen, den Vorlieben für Wiener Lieder, die Oper oder Sachertorte) zuerst der jeweiligen Individualität der Protagonistinnen Raum gegeben.

Etwa im Hinblick auf spezifische innerfamiliäre Umgangsformen: die perfekt eingespielte, liebevolle Interaktion zwischen Mutter und erwachsenem Sohn ("My baby!") oder der Austausch zwischen Großmutter und Enkelin (die Tradierungslinien von einer Frauengeneration zur nächsten werden im Film wiederholt thematisiert). Oder auch in Bezug auf unterschiedliche Milieus: zwischen properem Vorstadtheim und Wohnung in der Bronx, zwischen geselligen Bridge-Runden und Yogastunden in Manhattan.

Unauflösbar

Vienna's Lost Daughters ist nämlich nicht zuletzt auch ein schöner Film über das Altern: Da entspinnt sich etwa ein lebhafter Dialog zwischen zwei betagten Freundinnen, die darüber klagen, dass der Umgang mit gleichaltrigen Bekannten mitunter beschwerlich werde - "die reden so langsam" - und man sich für solche Fälle besser ein Kreuzworträtsel neben das Telefon lege.

Aber auch auf diese Episode trifft schließlich zu, was eine der Frauen irgendwann formuliert: "Einerseits sind wir wie alle anderen - aber ...". Dass diese Erfahrung prägend, unauflösbar und vor allem ursächlich fremdverschuldet ist - das hält der Film im Bewusstsein. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 3. 2007)